Abgrenzung Regelungsbereich und Schutzbereich:

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Krawallmacher K nimmt mit Hunderten von weiteren Randalierern an einer Demonstration zur Abschaffung des StGB teil, die unfriedlich verläuft. K setzt während des Demonstrationszuges unter anderem parkende Autos in Brand. Die Polizei spricht daraufhin gegenüber K unter anderem einen Platzverweis aus.

Diesen Fall lösen 73,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Abgrenzung Regelungsbereich und Schutzbereich:

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Stellt die von K besuchte Demonstration eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG dar?

Genau, so ist das!

Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) ist eröffnet, wenn eine Versammlung stattfindet. Nach dem engen Versammlungsbegriff ist eine Versammlung (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung. Eine Demonstration für die Abschaffung des StGB stellt eine auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Kundgebung dar. Sie findet örtlich auf der Strecke des Demonstrationszuges und als Demonstration mit mehreren Hundert Teilnehmenden statt. Sie stellt somit eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG dar.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Wird der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auf friedliche Versammlungen beschränkt?

Ja, in der Tat!

Art. 8 Abs. 1 GG gewährt das Recht, „sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Dadurch wird der Schutzbereich beschränkt.

3. Stellt die von K besuchte Demonstration eine unfriedliche Versammlung nach Art. 8 Abs. 1 GG dar?

Ja!

Eine Versammlung ist dann unfriedlich, wenn diese einen gewalttätigen Verlauf nimmt oder sich von vornherein auf die Begehung von Straftaten richtet. Insbesondere wenn das Element der auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung und der gemeinsame Zweck der Versammlung in tätliche Gewalt umschlägt wird die Demonstration unfriedlich. Dies ist jedenfalls bei Sachbeschädigungen und Körperverletzungen der Fall. K und seine randalierenden Mitdemonstranten zünden Autos an, werfen mit Steinen und verwüsten den an der Demonstrationsstrecke anliegenden Straßenzug. Es kommt dabei zu einer Vielzahl von Sachbeschädigungen. Der mit der Versammlung verfolgte gemeinsame Zweck ist nicht mehr erkennbar. Die Demonstration stellt somit eine unfriedliche Versammlung dar. Besonders strittig sind in der Frage der Friedlichkeit einer Demonstration die Sitzblockaden-Fälle. Das BVerfG ordnet Sitzblockaden mittlerweile dem Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG zu und diskutiert das Vorliegen einer strafbaren Nötigung (§ 240 StGB) im Rahmen der Rechtfertigung. Hierzu erfährst Du mehr in der Einheit zur Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG).

4. Die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG schützt demnach keine unfriedlichen Versammlungen. Wird die von K besuchte Demonstration dennoch vom Regelungsbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst?

Genau, so ist das!

Der Regelungsbereich eines Grundrechts ist von seinem Schutzbereich abzugrenzen. Der Regelungsbereich stellt den Lebensbereich dar, indem das Grundrecht gilt. Der Schutzbereich definiert dann den Umfang des geschützten Lebensbereichs. Die von K besuchte Demonstration stellt eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG dar und fällt somit in den durch die Versammlungsfreiheit geregelten Lebensbereich. Vom Umfang der Versammlungsfreiheit werden jedoch nur friedliche Versammlungen umfasst. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist daher hier nicht eröffnet.

5. Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ist auch dann gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiär, wenn lediglich der Regelungsbereich des Grundrechts betroffen ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Ist lediglich der Regelungsbereich und nicht der Schutzbereich eines Freiheitsgrundrecht betroffen, so wird der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht gesperrt.

6. Ist die allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG durch den Platzverweis von K betroffen?

Ja!

Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG schützt als Auffanggrundrecht jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Sich an einem öffentlichen Ort aufzuhalten stellt ein menschliches Tun von K dar. Es fällt somit in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG. Um seine Funktion als Auffanggrundrecht zu erfüllen ist der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit weit auszulegen. Einschränkungen sind jedoch unter relativ geringen Voraussetzungen möglich. Insbesondere in den Fällen von unfriedlichen Versammlungen dürfte eine Rechtfertigung eines Eingriffs nicht schwer fallen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HME

Hilfloser Melancholiker

3.5.2024, 16:48:17

Ich glaube, bei der vorvorletzten Frage wurden richtig und falsch aus versehen vertauscht... der Schutzbereich von Artikel 8 GG ist ja gerade nicht eröffnet

Kathi

Kathi

15.5.2024, 17:32:45

Dabei ging es aber um den Regelungsbereich, der sehr wohl eröffnet ist, wie auch in der Vertiefung ausgeführt wurde.

FAL

FalkTG

21.5.2024, 22:39:26

Und was genau ist die Konsequenz, wenn das Verhalten vom Regelungsbereich aber nicht vom Schutzbereich des Art. 8 GG betroffen ist?

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

23.5.2024, 11:12:12

Hallo FalkTG, zum einen können dann subsidiäre Grundrechte noch zu prüfen sein, zum anderen kann der Bürger sich nicht auf das Grundrecht berufen, weil der Schutzbereich nicht betroffen ist. Viele Grüße  Max – für das Jurafuchs-Team

FAL

FalkTG

24.5.2024, 19:20:20

Ja, aber das gilt ja auch wenn der Schutzbereich nicht geöffnet ist.

QUIG

QuiGonTim

23.6.2024, 13:38:02

Müsste hier nicht vor der allgemeinen Handlungsfreiheit noch die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geprüft werden? Schließlich umfasst diese auch das Recht, an einem bestimmten Ort zu verweilen, welches durch den Platzverweis eingeschränkt wird.


© Jurafuchs 2024