Hängt die Grünen

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ (P) hängt im Stadtgebiet der sächsischen Stadt Z grüne Wahlplakate mit der weithin lesbaren Aufschrift „HÄNGT DIE GRÜNEN“ auf. Darunter findet sich ein im Vorbeigehen kaum lesbarer Text. Zs Polizeibehörde verfügt gegenüber P, die Plakate im öffentlichen Verkehrsraum der Stadt abzuhängen.

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Einordnung des Falls

Hängt die Grünen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Entfernung von Wahlplakaten aufgrund Verstoßes gegen eine Strafrechtsnorm ist nur möglich, wenn durch sie gegen allgemeine Strafgesetze verstoßen wird, die kein Sonderrecht gegen die Parteien enthalten.

Ja, in der Tat!

Parteien können sich für ihre Wahlwerbung grundsätzlich auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) berufen. Gesetze, die die Meinungsfreiheit einschränken, müssen dabei allgemein sein, d.h. sich nicht als Sonderrecht gegen eine bestimmte Meinung richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf die bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen. Allgemeine Strafnormen, die hier verletzt sein könnten, sind die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) oder Volksverhetzung (§ 130 StGB). Ein Verstoß gegen § 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit) ist dagegen nicht ausreichend (RdNr. 21). Wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) und des Gebots der Chancengleichheit politischer Parteien im Wahlkampf sind an das Abhängen von Wahlplakaten erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine Störung der öffentlichen Ordnung ist dafür nicht ausreichend (RdNr. 21). Den möglichen Verstoß gegen Strafrechtsnormen prüfst du in der Verwaltungsrechtsklausur bei der Frage, ob eine Gefahr für die öffentlichen Ordnung in Form der Unversehrtheit der Rechtsordnung vorliegt. Dabei ist aber das Erfüllen des objektiven Tatbestandes der Strafnorm ausreichend (RdNr. 20).
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2. Zur Beantwortung der Frage, ob die Aufschrift der Wahlplakate einen Straftatbestand erfüllen, ist zunächst der objektive Sinn der Äußerungen zu ermitteln.

Ja!

Dabei richtet sich der Maßstab nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Neben dem Wortlaut sind bei der Auslegung der Kontext und die Begleitumstände der Äußerung zu berücksichtigen. Wenn es sich um eine nach diesem Maßstab mehrdeutige Äußerung handelt, darf der Äußerung eine sanktionierte Bedeutung nur dann beigemessen werden, wenn zuvor alle in Betracht kommenden sanktionslosen Bedeutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen wurden. Dies folgt aus der sog. Wechselwirkungslehre, wonach die die Meinungsfreiheit einschränkenden Gesetze ihrerseits im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen sind, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene zur Geltung kommt.

3. Der Wortlaut der Plakataufschrift „HÄNGT DIE GRÜNEN“ legt nahe, dass sich diese auf die Parteimitglieder der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ bezieht.

Genau, so ist das!

OVG: Mit „Die Grünen“ werden umgangssprachlich die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ und deren Mitglieder bezeichnet. Nach dem objektiven Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums wird die Farbe grün dieser Partei zugeordnet. Demnach ist nach der objektiven Auslegung des Wortlauts der Äußerung mit „Die Grünen“ die Partei bzw. ihre Mitglieder gemeint (RdNr. 23). P hat als Parteifarbe ebenfalls grün. Das sei aber dem Großteil der Bevölkerung nicht bekannt und deswegen unbeachtlich.

4. Auf dem Plakat steht in kleiner Schrift: „Macht unsere […] Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt.“ Ändert dies das objektive Verständnis der Äußerung?

Nein, das trifft nicht zu!

OVG: Die überwiegende Mehrzahl der Passanten und Automobilinsassen, die das Plakat im Vorbeigehen oder Vorbeifahren sehen, nähmen nur der Schriftzug „HÄNGT DIE GRÜNEN!“ wahr, der nach Größe und Gestaltung eindeutig dominiert. Den kleingedruckten Satz würden viele, insbesondere Autofahrer dagegen nicht wahrnehmen (können). Dass sich die Aussage deshalb auch auf die Plakate der P beziehen könnte, werde somit für die Mehrzahl der Betrachter nicht klar (RdNr. 23). Für den Schluss, dass der durchschnittliche Plakatbetrachter den Schriftzug nur auf die Mitglieder der „Grünen“, nicht aber auf weitere grün eingefärbte Plakate der P bezieht, führt das Gericht zudem an, dass das Anbringen von Wahlplakaten regelmäßig als „Plakate kleben“ oder „Plakate aufhängen“ bezeichnet wird. Die Formulierung, jemanden „zu hängen“, wird dagegen regelmäßig dahin verstanden, jemanden aufzuhängen.

5. Nach § 130 Nr. 1 StGB wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufstachelt.

Ja!

Erforderlich ist dabei ein Angriff auf die Menschenwürde, der vorliegt, wenn den angegriffenen Personen ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen werden. Aufstacheln zum Hass setzt deshalb voraus, dass nachhaltig auf Sinne und Gefühle anderer mit dem Ziel eingewirkt wird, eine feindselige Haltung zu erzeugen (RdNr. 29). Durch die in dem Plakat zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung wird ein Teil der Bevölkerung, nämlich die Parteimitglieder der „Grünen“, böswillig verächtlich gemacht. Denn die Äußerung zeigt, dass sie aufzuhängen sind und ihnen damit ihr Lebensrecht abgesprochen wird; diese Menschen werden als unwert hingestellt . Gleichzeitig zielt die Meinungsäußerung darauf ab, eine feindselige Haltung den Grünen gegenüber zu fördern. Das Tatbestandsmerkmal des Aufstachelns zum Hass i.S.d. § 130 Nr. 1 StGB ist erfüllt (RdNr. 30).

6. Damit eine Aufstachelung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung auch geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören i.S.d. § 130 Nr. 1 StGB, muss in der Folge auch eine konkrete Gefahr eintreten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ausreichend ist die Prüfung, ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung konkret gefahrengeeignet ist. Eine Friedensstörung ist hier auch im Vorfeld von Aggressionsbereitschaft und entsprechenden Ängsten möglich, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen entsprechend behandelt werden, indem ihren Angehörigen pauschal der sittliche, personale oder soziale Geltungswert abgesprochen wird (RdNr. 31). Mit der Aufforderung "HÄNGT DIE GRÜNEN!" wird den dieser Partei angehörigen Personen das Lebens- und damit Existenzrecht abgesprochen. OVG: Die Plakate sind geeignet, das psychische Klima aufzuheizen, das Aggressionspotential im sozialen Gefüge zu erhöhen und das politische Klima durch Erzeugung von Hass zu vergiften. Eine Eignung zur Friedensstörung ist somit gegeben (RdNr. 32). Ein vertiefendes Verständnis der Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB wird von Dir in der Klausur kaum verlangt werden können, aber durchaus eine methodenreine Auslegung und Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe. Hier würde von Dir in der Klausur eine sehr saubere Arbeit mit dem Sachverhalt verlangt. Du kannst davon ausgehen, dass in Deinem Sachverhalt Informationen enthalten wären, die Dir eine saubere Argumentation ermöglichen.

7. Die Menschenwürde ist im Vergleich zur Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig.

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich hat jedermann insbesondere im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter Form Kritik zu äußern, wobei sich selbst eine scharf und übersteigert formulierte Aussage nicht schon dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit entzieht. Ein Angriff auf die Menschenwürde schränkt die Meinungsfreiheit aber ein. So ist es im Ergebnis in diesem Fall. Das Gericht hat in seiner Bewertung auch die Geschehnisse in der jüngeren Geschichte einbezogen, bei denen Angriffe auf Gesundheit und Leben politisch Andersdenkender und (Lokal-)Politiker (z.B. der Mord an Walter Lübcke) sowie auf Andersgläubige oder Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich verübt wurden (die Anschläge von Halle und Hanau) (RdNr. 34).
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