Vorzensur

26. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Filmemacher F hat einen Horrorfilm produziert. Diesen legt er der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) zur Kennzeichnung vor. Die FSK lehnt ab. Auf Antrag der FSK beschlagnahmt die Staatsanwaltschaft den Film, da er strafbare Gewaltdarstellungen beinhalte. ‌

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Einordnung des Falls

Vorzensur

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Auch die Filmfreiheit unterliegt der Schranke der allgemeinen Gesetze, Art. 5 Abs. 2 GG.

Ja, in der Tat!

Art. 5 Abs. 1 GG enthält nicht nur das Grundrecht der Meinungsfreiheit, sondern auch die der Informations-, Presse- und Filmfreiheit. All diese Grundrechte unterliegen den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG. Sie können also durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden. Vorliegend wird Fs Filmfreiheit durch § 131 Abs. 1 lit. a) i.V.m. § 74 Abs. 1 StGB eingeschränkt. Die einschränkenden Gesetze können aber nicht selbst uneingeschränkt in das Grundrecht eingreifen. Sie unterliegen sog. Schranken-Schranken.
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2. Ein in die Meinungs-/Presse-/Filmfreiheit eingreifendes allgemeine Gesetz kann keine Zensur darstellen (sog. Zensurverbot), Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG.

Ja!

Entgegen der systematischen Stellung stellt Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG kein weiteres Grundrecht dar, sondern eine Schranken-Schranke. Erfasst ist jedoch nur die Vorzensur, also „einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerks“. Dabei darf die Veröffentlichung von Werken insbesondere nicht von einer behördlichen Vorprüfung oder einer Genehmigung abhängig gemacht werden (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Bezogen auf Filme würde es eine grundsätzlich unzulässige Zensur darstellen, wenn Filme vor ihrer Veröffentlichung staatlicherseits geprüft werden müssten. Die Nachzensur als Reaktion auf bereits veröffentlichte Werke ist nach ganz h.M. von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nicht erfasst. Hier gelten die allgemeinen Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG.

3. Liegt hier in der Verweigerung der Kennzeichnung eine verbotene Vorzensur i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG?

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich können die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG durch „allgemeine Gesetze“ i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt werden. Was aber nach Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG unzulässig ist, ist eine sog. Vorzensur. Unter eine Vorzensur fällt jede einschränkende Maßnahme vor Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerks, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung eines Inhalts (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Die Vorlage zur Kennzeichnung bei der FSK ist freiwillig. F kann also immer noch frei über die Verbreitung entscheiden. Dieses Ergebnis ist umstritten, da eine fehlende Kennzeichnung durch die FSK zur Folge hat, dass der Film nicht vor Kindern und Jugendlichen gezeigt werden darf und Verstöße eine Ordnungswidrigkeit darstellen.

4. Liegt in der Einziehung des Films durch die Staatsanwaltschaft eine verbotene Vorzensur i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG?

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich können die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG durch „allgemeine Gesetze“ i.S.d. Art.5. Abs. 2 GG eingeschränkt werden. Was aber nach Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nicht möglich ist, ist eine sog. Vorzensur. Unter eine Vorzensur fällt jede einschränkende Maßnahme vor Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerks, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung eines Inhalts (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Nach § 131 Abs. 1 lit. a) StGB ist nur die Verbreitung strafbar. F hat den Film aber noch nicht verbreitet. Wird der FSK ein Film, zur Kennzeichnung vorgelegt und ergeben sich strafrechtliche Bedenken, muss dem Betroffenen zunächst die Möglichkeit gegeben werden, von der Verbreitung Abstand zu nehmen. Erfolgt dies nicht, liegt eine verbotene Vorzensur vor. Folglich wurde Fs Filmfreiheit durch die Beschlagnahme verletzt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

19.5.2024, 12:52:07

Das Erfordernis einer FSK-Freigabe erscheint mir durchaus als

Vorzensur

... "Jede einschränkende Maßnahme vor Herstellung oder Verbreitung..." Hier also vor Verbreitung. Wie seht ihr das?

LELEE

Leo Lee

21.5.2024, 16:04:07

Hallo MenschlicherBreifkasten, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, die FSK-Freigabe sei

Vorzensur

; das ist auch sehr gut nachvollziehbar. Beachte allerdings, dass das „F“ in FSK für „freiwillig“ steht (FSK steht für die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft). D.h., die Organisation, die hierfür zuständig ist, ist ein privater VEREIN und eben keine öff. Gewalt, die aber für eine

Vorzensur

tätig werden muss. Summa summarum heißt das: Was die FSK tut, könnte man als

Vorzensur

bezeichnen. Weil jedoch diese Kontrolle eben privat und freiwillig durch die private Organisation dahinter durchgeführt wird, handelt es sich nicht um eine

Vorzensur

durch den Staat! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von Jarass/Pieroth GG 18. Auflage, Jarass Art. 5 Rn. 77 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Snow

Snow

1.8.2024, 19:06:03

Okay, aber es scheint recht offensichtlich dass es eine Umgehung ist, wenn die Filme dann wiederum nicht vor Jugendlichen ausgestrahlt werden dürfen. Wie ne Art Flucht ins Privatrecht, sollte es hier auch nicht so einfach möglich sein. Nur weil freiwillig im Namen ist macht es die Angelegenheit nicht freiwillig oder rein privat, wenn die Verbreitung eingeschränkt wird.

ROBE

Robert

16.8.2024, 12:29:17

Aufgrund der Mehrdeutigkeit des deutschen Wortes ‚können‘ würde ich es begrüßen, wenn ihr die zweite Frage so umformuliert, dass dort steht, ein „…allgemeines Gesetz DARF keine Zensur darstellen“. Beim Lesen eurer Erklärung nach der Antwort wurde mir der Sinn der Frage klar, aber ich habe eben das Wort können zuerst anders interpretiert.

LR

LR

30.8.2024, 21:31:37

Ging mir genauso!

HannahML

HannahML

6.9.2024, 17:10:12

ich habe gelernt, dass nur Dokumentationsfilme unter die Filmfreiheit fallen, da alle anderen bereits durch die kunstfreiheit geschützt werden. ist das falsch?


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