Zivilrechtliche Nebengebiete

Handelsrecht

Der Handelskauf (§§ 373ff. HGB)

Unterlassener Testlauf, hätte möglicherweise zur Entdeckung des Mangels geführt

Unterlassener Testlauf, hätte möglicherweise zur Entdeckung des Mangels geführt

22. Mai 2025

2 Kommentare

4,9(8.394 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Supermarktbetreiberin S bestellt von Großhändlerin G 5.000 Dosensuppen. Hiervon waren 700 Dosen schon über dem Mindesthaltbarkeitsdatum. S unterlässt es, die Dosen zu überprüfen. Kunde K kauft zwei Monate später eine mangelhafte Dose von S und beschwert sich. S wendet sich an G.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Unterlassener Testlauf, hätte möglicherweise zur Entdeckung des Mangels geführt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit S Gewährleistungsansprüche geltend machen kann, müsste sie ihrer Rügeobliegenheit nachgekommen sein (vgl. § 377 Abs. 2 HGB).

Ja!

Die Geltendmachung von Gewährleistungs- und Nichterfüllungsansprüchen kann ausgeschlossen sein, wenn ein Verstoß gegen die Rügeobliegenheit vorliegt (§ 377 Abs. 2 HGB). Der Verstoß gegen die Rügeobliegenheit setzt (1) einen Handelskauf im Sinne eines beidseitigen Handelsgeschäfts (vgl. § 343 Abs. 1 BGB) voraus. (2) Die Ware muss abgeliefert worden sein, (3) an dieser Ware muss ein Mangel vorliegen, (4) der nicht ordnungsgemäß gerügt worden ist. (5) Zuletzt darf die Rügeobliegenheit nicht ausgeschlossen sein.V und K sind beide Kaufleute, die einen Kaufvertrag über bewegliche Sachen geschlossen haben. Die Dosen wurden S geliefert und bereits bei Anlieferung über dem Mindesthaltbarkeitsdatum, sodass sie zumindest nicht den objektiven Anforderungen entsprachen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Zum Erhalt seiner Gewährleistungsrechte müsste S den Mangel ordnungsgemäß gerügt haben (§ 377 HGB).

Genau, so ist das!

Eine ordnungsgemäße Rüge setzt (1) die Anzeige des Mangels und (2) die Rechtzeitigkeit der Anzeige voraus. Indem S der G von der mangelhaften Dose berichtet hat, hat sie ihn „angezeigt“ i.S.d. § 377 Abs. 1 HGB. Problematisch ist, ob dies auch rechtzeitig geschehen ist.Die Rüge selbst ist eine geschäftsähnliche Handlung, auf welche die Regeln über Willenserklärungen zum großen Teil analog anwendbar sind.

3. Maßgeblich für die Bestimmung der Rügefrist ist die Frage, ob ein offener oder ein versteckter Mangel vorliegt.

Ja, in der Tat!

Offene Mängel treten bei einer Untersuchung, die den Anforderungen des § 377 Abs. 1 HGB entspricht, sofort zutage. Sie sind deshalb regelmäßig innerhalb von bis zu einer Woche zu rügen (§ 377 Abs. 1 HGB). Verdeckte Mängel sind dagegen solche, die bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung nicht entdeckt worden sind bzw. bei einer hypothetischen Untersuchung mit Sicherheit nicht entdeckt worden wären. Sie sind unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) nach der tatsächlichen Entdeckung zu rügen (§ 377 Abs. 3 HGB).Maßgeblich für die Abgrenzung ist dabei insbesondere, welche Anforderungen an die Untersuchung gestellt werden (zB Stichproben, selbst wenn Teil der Ware dadurch beschädigt wird).

4. Ist eine rechtzeitige Rüge immer ausgeschlossen, wenn der Käufer die Ware gar nicht untersucht hat?

Nein!

Kommt der Käufer seiner Untersuchungsobliegenheit nicht nach, so knüpft das Gesetz daran erst einmal keine Rechtsfolgen. Lediglich die verspätete Rüge, also der Verstoß gegen die Rügeobliegenheit, führt zur Genehmigung der Ware (§ 377 Abs. 2 BGB), nicht aber die unterlassene Untersuchung. Wenn der Mangel bei einer hypothetischen Untersuchungmit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit  nicht entdeckt worden wäre, liegt ein versteckter Mangel vor. Dann ist die Rüge immer noch rechtzeitig und kann ordnungsgemäß erfolgen, wenn die Rüge unmittelbar nach dem Erkennen des Mangels geschieht (vgl. § 377 Abs. 3 HGB).

5. Wäre die Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums im Rahmen einer hypothetischen Untersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unentdeckt geblieben, sodass ein versteckter Mangel vorliegt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein versteckter Mangel liegt bei unterlassener Untersuchung auch dann vor, wenn der Mangel bei einer hypothetischen, ordnungsgemäßen Untersuchung nicht entdeckt worden wäre. Im Rahmen der hypothetischen Untersuchung ist erforderlich, dass der Mangel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entdeckt worden wäre. Es sind hier 700 Dosen mangelhaft, also 14% der Gesamtbestellung. Die Überschreitung ist bereits durch oberflächliche Kontrolle erkennbar. Es bestand bei einer keine ganz unerhebliche Wahrscheinlichkeit der Entdeckung. Somit handelt es sich nicht um einen versteckten, sondern einen offenen Mangel.

6. Hat S den offenen Mangel rechtzeitig gerügt?

Nein, das trifft nicht zu!

Offene Mängel treten bei einer Untersuchung, die den Anforderungen des § 377 Abs. 1 HGB entspricht, sofort zutage. Sie sind regelmäßig innerhalb von bis zu einer Woche zu rügen (§ 377 Abs. 1 HGB). S hat die Dosen gar nicht untersucht. Sie ist also ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen und hat den Mangel nicht rechtzeitig gerügt. S kann sich nicht auf Gewährleistungsrechte berufen.Zu einer unverzüglichen Rüge gehört grundsätzlich auch eine unverzüglich erfolgte Untersuchung der Ware. Bei offenen Mängeln führt die unterlassene Untersuchung deshalb regelmäßig zu einem Verstoß gegen die Rügeobliegenheit.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Larzed

Larzed

18.4.2025, 15:38:55

Ich finde es schwer vertretbar, in diesem Fall von einen offenen Mangel anzunehmen. Gerade nach Sinn und Zweck der Vorschrift des

§ 377 HGB

muss man doch auch die Realisierbarkeit der Untersuchung im Blick haben. Wer hat die Zeit, 5.000 Dosen nach dem MHD zu durchsuchen? Das wäre was mE was anderes, wenn das Verhältnis bei 50:7 wäre.

BEN

benjaminmeister

27.4.2025, 21:14:24

Das Verhältnis ist bei 5000 geliferten und 700 mangelhaften Dosen ebenfalls 50:7.

Erforderlich

ist ja nicht, dass hier alle 5000 Dosen untersucht werden sondern eine gewisse Stichprobe. In einer der vorherigen Aufgaben stand, dass eine ausreichende Stichprobe schon bei 0,14 % vorliegen würde: Nehmen wir mal einfachheitshalber an, dass sogar 0,5 %

erforderlich

ist, dann müssten hier 25 Dosen untersucht werden. Bei einer Mangelhaftigkeitsquote von 14 % wäre es also nahezu unmöglich nicht mindestens eine mangelhafte Dose zu finden (wenn wir einfachheitshalber mal annehmen, dass die mangelhaften Dosen gleichmäßig verteilt sind und sich nicht nur auf einer Palette unter dutzend anderen Paletten befinden -> dann könnte man natürlich fragen, ob man die Stichproben auch gleichmäßig über alle Paletten verteilen muss). Der Witz ist ja aber: Wenn bei einer tatsächlich ordnungsgemäßen durchgeführten Untersuchung keine Mängel festgestellt werden, dann ist es unerheblich, ob theoretisch die Stichprobe eine mangelhafte Sache zu Tage befördert hätte.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community