Öffentliches Recht

Verfassungsprozess-Recht

Verfassungsbeschwerde

Beschwerdefähigkeit von locker zusammenhängenden Personengemeinschaften (z.B. Bürgerinitiativen)

Beschwerdefähigkeit von locker zusammenhängenden Personengemeinschaften (z.B. Bürgerinitiativen)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die schon länger bestehende Bürgerinitiative B will den Bau einer neuen Flughafenlandebahn verhindern. Der Vorsitzende der B lässt Flyer erstellen, die zum gewaltsamen Protest aufrufen. Die Polizei beschlagnahmt die Flyer vor ihrer Verteilung.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Beschwerdefähigkeit von locker zusammenhängenden Personengemeinschaften (z.B. Bürgerinitiativen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Vorsitzende der B erhebt – nach erfolgloser Erschöpfung des Verwaltungsrechtswegs – in ihrem Namen Verfassungsbeschwerde. Diese ist nur zulässig, wenn B beschwerdefähig ist.

Ja, in der Tat!

Fähig, eine Beschwerde zum BVerfG zu erheben (Beschwerdefähigkeit) ist jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können.
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2. Können nur natürliche Personen Träger von Grundrechten sein?

Nein!

Auch inländische juristische Personen können Träger von Grundrechten sein, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Die wesensmäßige Anwendbarkeit hängt zum einen von der Art des Grundrechts ab. Dieses muss kollektiv ausgeübt werden können, d.h. es darf nicht an natürliche Eigenschaften des Menschen anknüpfen. Zudem hängt die wesensmäßige Anwendbarkeit von der Eigenschaft der juristischen Person ab. Maßgeblich insbesondere, ob ein „Durchgriff“ auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen den Grundrechtsschutz sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt (Lehre vom personalen Substrat) bzw. ob sich die juristische Person in einer sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage befindet. Den zweiten Aspekt der wesensmäßigen Anwendbarkeit musst du nur in problematischen Fällen ansprechen. Diese werden wir dir in den folgenden Einheiten vorstellen.

3. B fällt als nicht rechtsfähige Personenvereinigung nicht unter Art. 19 Abs. 3 GG und kann sich daher nicht auf Grundrechte berufen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Begriff "juristische Personen" iSd Art. 19 Abs. 3 GG wird untechnisch verstanden und knüpft nicht an die Regelungen des einfachen Rechts an. Auf die Rechtsfähigkeit im zivilrechtlichen Sinne kommt es somit nicht an. Erforderlich ist jedoch ein Mindestmaß an organisatorischer Verselbstständigung. Mithin werden auch nicht rechtsfähige Personengemeinschaft erfasst, sofern diese über eine festgefügte binnenorganisatorische Struktur verfügen und auf gewisse Dauer angelegt sind. B verfügt über einen Vorsitzenden und besteht seit mehreren Jahren. Mithin verfügt sie über eine hinreichend verfestigte Binnenstruktur und ist auf eine gewisse Dauer angelegt. Sie fällt somit unter Art. 19 Abs. 3 GG.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Eileen 🦊

Eileen 🦊

25.7.2024, 09:52:55

Nach Art. 19 III GG müssen die GR ihrem Wesen nach auf die juristischen Personen anwendbar sein. ich habe angenommen, dies setzt Rechtsfähigkeit (die ja bei Personengesellschaften vorliegt) voraus. Bei dieser Aufgabe wird das allerdings auch bei einer nicht rechtsfähigen Personenmehrheit allein wegen der organisatorischen Verselbstständigung bejaht. Könntet ihr bitte dies noch weiter Erläutern? LG

K.Attalla

K.Attalla

27.8.2024, 13:18:28

Hey @[Eileen 🦊](190132), ich meine an anderer Stelle wurde im Kurs kurz angerissen, wieso die Rechtsfähigkeit für den Begriff der juristischen Person gem. Art. 19 III GG unerheblich ist. Es geht im wesentlichen darum, dass man dem Gesetzgeber nicht die Deutungshoheit über die Grundrechtsbefähigung juristischer Personen überlassen will. Die Rechtsfähigkeit ist nämlich einfach gesetzlich ausgestaltet. Das heißt, der einfache Gesetzgeber könnte durch Vorenthalten der Rechtsfähigkeit über die Grundrechtsberechtigung von Personenmehrheiten und damit einen Teil staatlicher Gurndrechtsverpflichtung entscheiden. Das wäre auch im Lichte der Durchgriffsthese bedenklich. Hoffe ich konnte deine Frage klären. LG!


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