Verkehrsdatenspeicherung

14. Februar 2025

3,9(772 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In Zeiten unüberschaubarer Globalisierungsbewegungen zeigt sich die Bundesregierung vage besorgt und will für potentiell eintreffende Gefahrenlagen gewappnet sein. Sie erlässt ein Gesetz, dass die anlasslose und flächendeckende Speicherung von Telekommunikationsdaten aller Bürger für 12 Monate anordnet, auf die die Regierung jederzeit zugreifen kann.

Diesen Fall lösen 84,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Verkehrsdatenspeicherung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Verkehrsdaten, also Informationen darüber, wer, wann, wo, mit wem und womit kommuniziert hat, fallen in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 GG.

Ja, in der Tat!

Das Telekommunikationsgeheimnis umfasst den Schutz der individuellen Telekommunikation, das heißt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mithilfe des Telekommunikationsverkehrs. Geschützt sind sowohl Inhalt der Kommunikation als auch Verkehrsdaten, das heißt Informationen zum konkreten Vorgang und den Umständen der Kommunikation (etwa das Mittel der Kommunikation, der Zeitpunkt, Beteiligte oder die Zuordnung von IP-Adressen).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Bundesregierung ordnet per Gesetz das Speichern der Telekommunikationsdaten aller Bürger an. Stellt dies einen Eingriff in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses dar, auch wenn dies alle Bürger gleichermaßen betrifft?

Ja!

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG liegt vor, wenn ein Grundrechtsverpflichteter das Recht der individuellen privaten Kommunikation beeinträchtigt. Für das Telekommunikationsgeheimnis ist dies insbesondere dann der Fall, wenn er den Inhalt der Telekommunikation liest, mithört oder aufzeichnet bzw. auf Informationen zum konkreten Vorgang oder den Umständen von Kommunikation zugreift oder diese speichert. Unerheblich für den Charakter des Eingriffs ist es dabei, ob der Staat eine Maßnahme gegen alle oder nur einzelne Bürger richtet. Durch die gesetzliche Anordnung der Bundesregierung, die Telekommunikationsdaten aller Bürger flächendeckend und anlasslos für 12 Monate zu speichern, greift diese als Grundrechtsverpflichtete in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses ein. Achtung: In der Klausur ist genau darauf zu achten, wie viele Eingriffe vorliegen und diesbezüglich sauber zu trennen. Denn bereits die gesetzliche Anordnung der Datenspeicherung stellt einen Eingriff dar; ein weiterer Eingriff wäre gegeben, wenn die Anordnung die Durchführung der Speicherung durch Dritte enthielt; wiederum ein weiterer Eingriff läge vor, wenn diese Daten zurück an die staatliche Stelle gelangen sollten. Jede dieser Anordnungen ist ein eigener in sich geschlossener Handlungsvorgang und stellt einen eigenständigen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG dar, den Du auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen musst.

3. Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Notwendig ist, dass das einschränkende Gesetz seinerseits formell als auch materiell verfassungsmäßig ist.

Genau, so ist das!

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG kann aufgrund eines Gesetzes erfolgen (Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG). Dabei muss das einschränkende Gesetz selbst sowohl formell als auch materiell verfassungsmäßig sein. Handelt es sich um eine konkrete (Abhör-)Maßnahme, die auf dem einschränkenden Gesetz beruht, muss diese auch im Einzelfall verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig sein (sog. doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung).

4. Um dem Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen, muss das einschränkende Gesetz besonders strenge Anforderungen an einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG stellen.

Ja, in der Tat!

Ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis liegt vor, wenn ein Grundrechtsverpflichteter den Inhalt der Telekommunikation liest, mithört oder aufzeichnet bzw. auf Informationen zum konkreten Vorgang oder den Umständen von Kommunikation zugreift oder diese speichert. Dies erfolgt oft heimlich, um eine größtmögliche Effektivität der Maßnahme sicherzustellen. Da der Bürger somit oft gar keine Kenntnis von dem Eingriff in seine Grundrechte hat, ist er besonders schutzwürdig. Daher sind an Gesetze, die heimliche Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 10 GG rechtfertigen, besonders strenge Anforderungen zu stellen.

5. Die flächendeckende Speicherung von Verkehrsdaten (Vorratsdatenspeicherung) ist aufgrund der besonderen Schwere des Eingriffs grundsätzlich mit Art. 10 Abs. 1 GG unvereinbar.

Nein!

An die gesetzlichen Grundlagen heimlicher Eingriffe in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses, etwa durch Verkehrdatenspeicherung, sind besonders strenge Anforderungen zu stellen. Auch wenn eine solche Verkehrsdatenspeicherung flächendeckend und heimlich erfolgt, ist sie – jedenfalls nach der Rspr. des BVerfG und der wohl h.L. – nicht grundsätzlich mit Art. 10 Abs. 1 GG unvereinbar. Vielmehr muss die entsprechende Gesetzesgrundlage besondere Sicherheits- und Transparenzvorkehrungen enthalten, um die Schwere des Eingriffs abzufedern, etwa konkrete Anlässe für einen Eingriff normieren, die dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dienen, sowie die Abruf- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Daten begrenzen. Im Bereich des Strafrechts etwa wäre ein Anlass zum Schutz eines überragend wichtigen Rechtsgut der durch hinreichende und bestimmte Tatsachen begründete Verdacht einer schweren Straftat i.S.d. Katalogs gemäß § 100a Abs. 2 StPO.

6. Die Vorratsdatenspeicherung ist insbesondere dann materiell verfassungsmäßig, wenn die gesetzliche Grundlage hinreichend klare Regelungen zu Datensicherheit-, verwendung- transparenz und Rechtsschutzmöglichkeiten enthält.

Genau, so ist das!

An die gesetzliche Grundlage einer Vorratsdatenspeicherung sind aufgrund der Eingriffsschwere besonders strenge Anforderungen zu stellen. Daher verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz laut BVerfG, dass die gesetzliche Grundlage hinreichend normenklare Regelungen zu Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutzmöglichkeiten enthält, um der besonderen Schwere des Eingriffs Rechnung zu tragen. Auch muss der Zweck der Datenspeicherung- und verwendung klar benannt sein und überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen.Die Vorratsdatenspeicherung war immer wieder mal Thema von Examensklausuren. Allerdings werden auch dort von Dir nicht die Details der Judikatur des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung erwartet, sondern Systemverständnis und Argumentationsvermögen.

7. Das Regierungsgesetz begrenzt die Vorratsdatenspeicherung auf 12 Monate. Ist das Gesetz verfassungsmäßig?

Nein, das trifft nicht zu!

An die gesetzliche Grundlage einer Vorratsdatenspeicherung sind aufgrund der Eingriffsschwere besonders strenge Anforderungen zu stellen. Daher muss die entsprechende Gesetzesgrundlage besondere und hinreichend normenklare Sicherheits- und Transparenzvorkehrungen enthalten, um die Schwere des Eingriffs abzufedern. Die Gesetzesgrundlage muss insbesondere Zweck und konkrete Anlässe für einen Eingriff normieren, die dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dienen, sowie die Abruf- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Daten begrenzen. Zudem müssen hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten> enthalten sein. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung der Bundesregierung begrenzt die Speicherung der Daten zwar auf 12 Monate. Jedoch erfolgt diese anlasslos und dient damit nicht dem Schutz eines überragend wichtigen Rechtsguts. Auch existieren keine Sicherheitsvorkehrungen, wann und unter welchen Bedingungen auf die Daten zugegriffen werden kann. Vielmehr ist dies für die Regierung jederzeit möglich, sodass das Gesetz insgesamt nicht verfassungsmäßig ist. Die verfassungskonforme Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung ist extrem umstritten. Dies gilt auch für zahlreiche andere Maßnahmen des Sicherheits- und Geheimdienstrechts, wie die nicht enden wollenden Entscheidungen des BVerfG zu diesem Thema erkennen lassen. Wenn Dich das Thema genauer interessiert, empfehlen wir Dir, Dir das Urteil des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung durchzulesen (Urt. v. 02.03.2010 – 1 BvR 256/08 u.a.).
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen