Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit

17. April 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Schwurgericht angeklagt. Im Prozess wird der erfahrene Sachverständige S zur Frage vernommen, ob A eine Persönlichkeitsstörung aufweise. Trotz eines Antrags des A (§ 171b Abs. 1, 3 GVG), schließt das Gericht die Öffentlichkeit nicht aus. A geht gegen die Verurteilung in Revision.

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Einordnung des Falls

Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vorliegend hätte die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung des S ausgeschlossen werden müssen (§ 171b Abs. 1, 3 GVG).

Genau, so ist das!

Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, außer das öffentliche Interesse überwiegt (§ 171b Abs. 1 GVG). Die Öffentlichkeit ist zwingend auszuschließen, wenn diese Voraussetzungen vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird.A hat den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt. Zum persönlichen Lebensbereich gehört insbesondere der (geistige) Gesundheitszustand des Angeklagten. Hier wurde dieser im Detail erörtert. Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an diesen intimen Details ist nicht ersichtlich. Die Öffentlichkeit war damit auszuschließen.
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2. Ist der Öffentlichkeitsgrundsatz dadurch verletzt, dass die Öffentlichkeit entgegen As Antrag nicht ausgeschlossen wurde (§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit verletzt § 169 Abs. 1 S. 1 GVG nicht. Der Öffentlichkeitsgrundsatz dient dem Interesse der Allgemeinheit und des Angeklagten an einem öffentlichen und den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit entsprechenden Verfahren, nicht aber dem Schutz des Angeklagten vor Bloßstellung oder sonstigen Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeit durch eine öffentliche Verhandlung. Gebietet das Gesetz einen Ausschluss der Öffentlichkeit und wird die Öffentlichkeit dennoch nicht ausgeschlossen, stellt dies keine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes und in der Konsequenz auch keinen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO dar.

3. Kann A seine Revision dennoch erfolgreich zumindest auf die Verletzung des § 171b Abs. 1, 3 GVG stützen (§ 337 StPO)?

Nein!

Der Angeklagte kann grundsätzlich mit der Behauptung eines Verstoßes gegen § 171b Abs. 3 GVG eine relative Verfahrensrüge nach § 337 StPO erheben. Zumeist wird ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß aber auszuschließen sein. Dies gilt nur dann nicht, wenn nicht gänzlich fernliegt, dass der Angeklagte oder ein anderer Verfahrensbeteiligter sich bei ausgeschlossener Öffentlichkeit in entscheidungserheblicher Weise anders oder weitergehend geäußert hätte.Es ist nicht ersichtlich, dass sich S als als erfahrener Gerichtssachverständiger anders geäußert hätte, wäre die Öffentlichkeit ausgeschlossen gewesen. Es wird A nicht gelingen, das Beruhen des Urteils auf diesem Fehler darzulegen.Anders ist dies etwa, wenn der Angeklagte sich im Schlussplädoyer durch die fehlerhaft hergestellte Öffentlichkeit gehindert gesehen haben könnte, Umstände aus seiner Intimsphäre zur Sprache zu bringen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HAMD

Hamdi

5.6.2024, 12:46:34

Im Maßstab steht etwas zum Aussageverhalten des Angeklagten, während in der Subsumtion nur von dem Sachverständigen die Rede ist. Aus meiner Sicht ist es nicht fernliegend, dass der Angeklagte sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit andere äußert.

Teddy

Teddy

13.7.2024, 08:49:32

Welche Möglichkeiten verbleiben dem Angeklagten ang

esi

chts der wohl vorliegenden Verletzung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts?

JURAFU

jurafuchsles

20.7.2024, 11:06:28

Ich denke er könnte eine Verfassungsbeschwerde erheben :) Art. 93 Nr. 4a GG

ALE

Aleks_is_Y

5.3.2025, 11:06:44

Vll. muss man nicht direkt mit Kanonen auf "Spatzen" schießen; käme da nicht auch was aus dem Staatshaftunsrecht in Frage?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

7.4.2025, 17:13:11

Hallo @[Teddy](207641), ang

esi

chts der von uns in der Aufgabe erläuterten Schwierigkeiten bei der Revision und des § 171b V GVG hat der Angeklagte hier kaum Möglichkeiten. Eine Verfassungsbeschwerde ist theoretisch denkbar, wie @[jurafuchsles](108594) richtig sagt, konkret wegen Verletzung des Art 103 I GG, wenn der Antrag des Angeklagten nach § 171b III 1 GVG nicht beachtet wurde (MüKoZPO/Pabst, 6. Aufl 2022, § 171b GVG Rn 24). Ob das schon "mit Kanonen auf Spatzen" ist, @[Aleks_is_Y](225618), würde ich nicht pauschal ablehnen, sondern auch vom Ausmaß der Persönlichkeitsrechtsverletzung abhängig machen und zudem berücksichtigen, dass der Angeklagte hier eben kaum andere Möglichkeiten hat. Über einen Amtshaftungsanspruch kann man sicherlich nachdenken, müsste allerdings vor dem Hintergrund des Richterspruchprivilegs des mal genauer hinschauen, was möglicherweise alles unter den "Urteilsbegriff" des § 839 II 1 BGB fällt. Das führt aber schon sehr in die (wohl wenig prüfungsrelevanten) und prozessual angehauchten Details, deswegen würde ich hierzu auf einschlägige und umfangreiche Kommentierungen zu § 839 BGB verweisen, zB BeckOGK-BGB/Thomas, Stand 1.2.2025, § 839 Rn 661 ff. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

EN

Entenpulli

19.11.2024, 15:53:18

Verstehe ich die Antwort auf die letzte Farge richtig, wenn ich davon ausgehe, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit beim Plädoyer zwingend erfoderlich ist, sobald ein Teil der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat, weil der Angeklagte sich immer beim letzten Wort hierauf beziehen könnte? Oder muss das von ihm beantragt werden?


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