Referendariat: Prozessrecht & Klausurtypen
Die Revisionsklausur im Assessorexamen
Begründetheit II: Verletzungen des Verfahrensrechts (Verfahrensrüge)
Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit
Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit
1. Juni 2025
8 Kommentare
4,9 ★ (2.501 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A wird vor dem Schwurgericht angeklagt. Im Prozess wird der erfahrene Sachverständige S zur Frage vernommen, ob A eine Persönlichkeitsstörung aufweise. Trotz eines Antrags des A (§ 171b Abs. 1, 3 GVG), schließt das Gericht die Öffentlichkeit nicht aus. A geht gegen die Verurteilung in Revision.
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Einordnung des Falls
Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Vorliegend hätte die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung des S ausgeschlossen werden müssen (§ 171b Abs. 1, 3 GVG).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist der Öffentlichkeitsgrundsatz dadurch verletzt, dass die Öffentlichkeit entgegen As Antrag nicht ausgeschlossen wurde (§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG).
Nein, das trifft nicht zu!
3. Kann A seine Revision dennoch erfolgreich zumindest auf die Verletzung des § 171b Abs. 1, 3 GVG stützen (§ 337 StPO)?
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Hamdi
5.6.2024, 12:46:34
Im Maßstab steht etwas zum Aussageverhalten des Angeklagten, während in der Subsumtion nur von dem Sachverständigen die Rede ist. Aus meiner Sicht ist es nicht fernliegend, dass der Angeklagte sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit andere äußert.

Teddy
13.7.2024, 08:49:32
Welche Möglichkeiten verbleiben dem Angeklagten angesichts der wohl vorliegenden Verletzung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts?
jurafuchsles
20.7.2024, 11:06:28
Aleks_is_Y
5.3.2025, 11:06:44
Vll. muss man nicht direkt mit Kanonen auf "Spatzen" schießen; käme da nicht auch was aus dem Staatshaftunsrecht in Frage?

Sebastian Schmitt
7.4.2025, 17:13:11
Hallo @[Teddy](207641), angesichts der von uns in der Aufgabe erläuterten Schwierigkeiten bei der Revision und des § 171b V GVG hat der Angeklagte hier kaum Möglichkeiten. Eine Verfassungs
beschwerde ist theoretisch denkbar, wie @[jurafuchsles](108594) richtig sagt, konkret wegen Verletzung des Art 103 I GG, wenn der Antrag des Angeklagten nach § 171b III 1 GVG nicht beachtet wurde (MüKoZPO/Pabst, 6. Aufl 2022, § 171b GVG Rn 24). Ob das schon "mit Kanonen auf Spatzen" ist, @[Aleks_is_Y](225618), würde ich nicht pauschal ablehnen, sondern auch vom Ausmaß der Persönlichkeitsrechtsverletzung abhängig machen und zudem berücksichtigen, dass der Angeklagte hier eben kaum andere Möglichkeiten hat. Über einen Amtshaftungsanspruch kann man sicherlich nachdenken, müsste allerdings vor dem Hintergrund des Richterspruchprivilegs des mal genauer hinschauen,
was möglicherweise alles unter den "Urteilsbegriff" des § 839 II 1 BGB fällt. Das führt aber schon sehr in die (wohl wenig prüfungsrelevanten) und prozessual angehauchten Details, deswegen würde ich hierzu auf einschlägige und umfangreiche Kommentierungen zu § 839 BGB verweisen, zB BeckOGK-BGB/Thomas, Stand 1.2.2025, § 839 Rn 661 ff. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Entenpulli
27.5.2025, 08:48:43
@[Sebastian Schmitt](263562) Wie müsste man im vorliegenden Fall denn korrekt beim Plädoyer des Angeklagten bzw. bei seinem letzten Wort vorgehen, um ihm die Chance zu geben, sich auf diesen Teil der Verhandlung zu beziehen? Zumal man im voraus nie genau weiß, wie das Plädoyer/letzte Wort aufgebaut sein wird.

Sebastian Schmitt
27.5.2025, 10:12:28
Hallo @[Entenpulli](169608), das ist letztlich im Wesentlichen eine Praxisfrage, auf die es auch kaum eine pauschal richtige Antwort gibt. Klar ist jedenfalls, dass ein Ausschluss der Öffentlichkeit theoretisch auch für die Schlussanträge und das letzte Wort des Angeklagten möglich ist (KK-StPO/Diemer, 9. Aufl 2023, § 171b GVG Rn 5). Zwingend von Amts wegen muss das nach der Systematik des Gesetzes nur in den in § 171b III 2 GVG genannten Fällen passieren. Ein vorheriger (berechtigter) Ausschluss der Öffentlichkeit wird sich aber logischerweise oft auch auf die Abwägung iR eines weiteren eventuellen Ausschlusses für die Schlussanträge und das letzte Wort auswirken, sofern der entsprechende Ausschluss nicht schon von vornherein mehrere Phasen der Hauptverhandlung erfasst (vgl auch KK-StPO/Gericke, 9. Aufl 2023, § 338 Rn 90). Ich vermute, in der Praxis wird das Gericht bei Zweifeln und Grenzfällen auch einfach mal bei StA und Angeklagtem/Verteidiger nachfragen: Wie persönlich wird es denn voraussichtlich, worüber wollen sie sprechen, wie sehr geht es in die Details etc? Und darauf aufbauend trifft das Gericht dann eben seine (Abwägungs-)Entscheidung nach § 171b GVG, so gut es eben geht. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Entenpulli
19.11.2024, 15:53:18
Verstehe ich die Antwort auf die letzte Farge richtig, wenn ich davon ausgehe, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit beim Plädoyer zwingend erfoderlich ist, sobald ein Teil der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat, weil der Angeklagte sich immer beim letzten Wort hierauf beziehen könnte? Oder muss das von ihm beantragt werden?