Fehlen der Urteilsgründe, §§ 275, 338 Nr. 7 StPO

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor Strafrichterin S verurteilt. Die Urteilsgründe diktiert S auf Tonträger und verfügt die Niederschrift durch die Geschäftsstelle. Vor Fertigstellung der Niederschrift verstirbt S. Der Urteilstenor, die Niederschrift und das Protokoll werden zu den Akten gebracht. A erhebt die Sachrüge.

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Einordnung des Falls

Fehlen der Urteilsgründe, §§ 275, 338 Nr. 7 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Enthält das zu den Akten gebrachte Urteil keine Urteilsgründe, stellt dies einen Verfahrensfehler dar (§ 275 Abs. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Jedes Urteil ist mit Entscheidungsgründen zur Akte zu bringen (§ 275 Abs. 1 StPO). Es steht im Ermessen des Richters, ob die Gründe ins Protokoll aufgenommen oder innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2, 4 StPO zu den Akten gebracht werden. Fehlen in der Akte die Urteilsgründe, stellt dies einen Verfahrensfehler dar. Die schriftlichen Gründe müssen die Ergebnisse der Hauptverhandlung vollständig und wahrheitsgetreu wiedergeben (vgl. § 267 Abs. 1 S. 1 StPO). Die Urteilsgründe fehlen etwa dann, wenn nur ein Entwurf zu den Akten gebracht wurde oder die Gründe verloren gehen, ohne dass fristgerecht ein hinreichender Ersatz beschafft werden kann.
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2. Da die Urteilsgründe entsprechend S' Diktat noch niedergeschrieben werden konnten, sind die Anforderungen des § 275 Abs. 1 StPO gewahrt.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Urteil muss vollständig zu den Akten gebracht sein (§ 275 Abs. 1 StPO). Vollständig ist das Urteil erst, wenn die mitwirkenden Richter es unterschreiben (§ 275 Abs. 2 StPO). Damit bekunden die Richter, dass sie Verantwortung für den Inhalt des Urteils übernehmen und bei Kollegialorganen, dass die Gründe mit dem Beratungsergebnis übereinstimmen. Dem gänzlichen Fehlen der Gründe steht es deshalb gleich, wenn die Unterzeichnung der Niederschrift durch den allein entscheidenden Richter dauerhaft unmöglich ist. Denn dann liegt mangels Verantwortungsübernahme nur ein Urteilsentwurf vor.Da S die Urteilsniederschrift nicht unterschrieben hat und infolge ihres Todes auch nicht mehr unterschreiben kann, hat sie nie Verantwortung für den Urteilsinhalt übernommen, weshalb nur ein Entwurf vorliegt. Damit fehlen die Urteilsgründe.

3. Hier wird unwiderleglich vermutet, dass das Urteil auf dem Fehlen der Urteilsgründe beruht (§ 338 Nr. 7 StPO).

Ja!

Nach § 338 Nr. 7 Alt. 1 StPO wird das Beruhen des Urteils auf dem Fehlen der Urteilsgründe unwiderleglich vermutet.Da das Fehlen der Unterschrift dem gänzlichen Fehlen der Urteilsgründe gleichsteht, greift die Vermutungswirkung des § 338 Nr. 7 StPO.Dies lässt einen vielleicht erst einmal stutzen. Wie soll das Urteil darauf beruhen, dass im Nachgang keine Urteilsgründe abgefasst werden oder diese nicht unterschrieben sind? Hintergrund des § 338 Nr. 7 StPO ist, dass die Urteilsgründe das wiedergeben, was das Gericht vor der Urteilsverkündung geprüft und festgestellt hat und damit die hauptsächliche Grundlage für die Nachprüfung des Revisionsgerichts bilden. Die Nachprüfung des Urteils ist beim Fehlen der Gründe von vorneherein nicht möglich. Ihr Fehlen ist daher ein unabdingbarer Grund zur Aufhebung.

4. Um das Fehlen der Gründe in der Revision erfolgreich zu rügen, hätte A aber zwingend die Verfahrensrüge erheben müssen (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 275 Abs. 1 StPO stellt eine Verfahrensvorschrift dar. A müsste also grundsätzlich Verfahrensrüge erheben (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO). Auch auf die Sachrüge hin hat die Revision aber Erfolg, wenn die Gründe völlig fehlen. Sind nämlich keine Urteilsgründe vorhanden, wird der Schuldspruch auch in keiner Weise durch sie getragen. Dem Revisionsgericht ist dann eine materielle Prüfung von vornherein mangels Prüfungsgrundlage nicht möglich und die Sachrüge hat als Darstellungsrüge allein deshalb Erfolg. Das gilt auch, wenn nur ein Urteilsentwurf vorliegt.Zwar hat A keine Verfahrensrüge erhoben. Auf die Sachrüge hin hat seine Revision aber dennoch Erfolg.Die erste Alternative des § 338 Nr. 7 StPO hat deshalb in der Praxis kaum Relevanz. Eine Sachrüge kann ohne das Darlegungserfordernis des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erhoben werden. In der Klausur darfst du es dir natürlich nicht so einfach machen.

5. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichtes zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Ja, in der Tat!

Fehlen die Urteilsgründe, ist das Urteil aufzuheben und an einen anderen Spruchkörper des Ausgangsgerichts zur neuen Verhandlung zurückzuverweisen. Dies gilt auch, wenn „nur“ eine Unterschrift fehlt und diese nicht mehr nachgeholt werden kann. Die Unterschrift darf nicht einfach durch einen anderen Richter - oder gar das Revisionsgericht - ersetzt werden, da diese natürlich nicht die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen können, an der sie gar nicht beteiligt waren.
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