+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bürgermeisterin B sitzt mit ihrer Ehefrau E am Wahlsonntag am Frühstückstisch. Im Gespräch über die heutige Wahl sagt B, dass sie persönlich nicht verstehen könne, dass E die Partei P wählen will. Sie versucht E davon zu überzeugen, die L-Partei zu wählen.
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Einordnung des Falls
Einflussnahme durch andere Bürger
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Dass B versucht, E zur Wahl einer bestimmten Partei zu überreden, könnte zunächst gegen den Grundsatz der Wahlfreiheit verstoßen.
Genau, so ist das!
Nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der freien Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) müssen Wählende in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung ohne jede unzulässige Beeinflussung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite zu seiner Wahlentscheidung finden können. In der (versuchten) Einflussnachme der B könnte eine unzulässige Beeinflussung der E liegen.
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2. B handelt in ihrer Funktion als Amtsinhaberin. Es gelten daher besonders strenge Maßstäbe.
Nein, das trifft nicht zu!
Der Grundsatz der freien Wahl gebietet grundsätzlich eine Neutralitätspflicht der Amtsinhaber. Allerdings sind Amtsinhaber immer auch Bürger. Welche Maßstäbe an ihr Handeln anzulegen ist, beurteilt sich danach, ob diesem dem Staat zugerechnet werden kann (= hoheitliches Handeln) oder der Amtsinhaber ausschließlich als Privatperson tätig wird. Angesichts des morgendlichen Gesprächs am Frühstückstisch unterhält B sich hier in ihrer „Rolle“ als Ehefrau privat mit E. Sie handelt gerade nicht in ihrer Funktion als Bürgermeisterin.
3. Weil B die E bedroht, kann sich B nicht auf ihre Meinungsfreiheit berufen.
Nein!
Wählende sind im Vorfeld einer Wahl verschiedensten Einflussnahmen auf ihre Wahlentscheidung ausgesetzt. Nicht jede Einflussnahme verstößt automatisch gegen den Grundsatz der freien Wahl. Denn Wahlkampf, Wahlwerbung und politische Diskussionen sind in einem demokratischen Staat legitim. Als Privatperson eine bestimmte politische Überzeugung zu vertreten und zu verbreiten, ist zudem grundsätzlich vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs 1 S. 1 GG) gedeckt. Diese muss erst dann hinter dem kollidierenden Verfassungsrecht der Freiheit der Wahl zurücktreten, wenn Drohung oder Zwang vorliegt. B versucht lediglich, E von ihrer Meinung zu überzeugen. Es bestehen keine Anzeichen dafür, dass B der E ein Übel in Aussicht stellt für den Fall, dass E nicht die L-Partei wählt. Bs Verhalten verstößt nicht gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass bei Privatgesprächen die Freiheit der Wahl nicht verletzt wird. In jedem Fall zu bejahen ist eine unzulässige Einflussnahme, wenn durch das Verhalten auch eine Strafbarkeit wegen (versuchter) Nötigung (§ 240 StGB) angenommen begründet wird. Außerdem schützen die speziellen Vorschriften der §§ 108ff. StGB die Wählenden vor weiteren unzulässigen Einflussnahmen. Diese schauen wir uns in der nächsten Aufgabe genauer an!