Öffentliches Recht

Grundrechte

Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG)

Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Ämtern wegen Bekenntnis der Bewerber

Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Ämtern wegen Bekenntnis der Bewerber

21. Mai 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A gehört einer afrikanisch-stämmigen religiösen Minderheit an und trägt in deren Sinne auffälligen religiösen Hand- und Kopfschmuck. Nach Erlangen ihres zweiten Staatsexamens bewirbt sie sich als Richterin in Bundesland L. Ihre Einstellung wird trotz sonstiger Eignung mit Verweis auf ihren Schmuck per Verwaltungsakt abgelehnt.

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Einordnung des Falls

Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Ämtern wegen Bekenntnis der Bewerber

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Schutzbereich der Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst es, religiöse Kleidungsvorschriften zu befolgen.

Ja!

Teil des forum externum der Glaubensfreiheit sind sowohl die Bekenntnis-, als auch Betätigungsfreiheit. Die Bekenntnisfreiheit umfasst die Freiheit des Einzelnen, seinen Glauben im Wege religiös geprägter Meinungsäußerung nach außen kundzutun. Ein solches Bekenntnis kann sowohl in Wort, Schrift als auch symbolisch, zum Beispiel durch das Beachten religiöser Kleidungsvorschriften, erfolgen.Der eigene Glaube kann durch das Befolgen religiöser Kleidungsvorschriften nach außen kundgetan werden. Dieses Bekenntnis, hier das Tragen auffälligen religiösen Hand- und Kopfschmucks durch A, ist vom Schutzbereich der Glaubensfreiheit umfasst.
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2. Stellt die Ablehnung der Einstellung von A als Richterin durch L nach dem modernen Eingriffsbegriff einen Eingriff in ihre Glaubensfreiheit dar?

Genau, so ist das!

Der Schutzbereich der Glaubensfreiheit ist, angelehnt an den sog. modernen Eingriffsbegriff betroffen, wenn der Staat eine der geschützten Verhaltensweisen in irgendeiner Weise regelt oder faktisch behindert. Das Befolgen religiöser Kleidungsvorschriften als Teil der Bekenntnisfreiheit stellt eine von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Verhaltensweise dar. Indem L die Einstellung As als Richterin aufgrund der Ausübung ihrer Bekenntnisfreiheit durch das Tragen ihres religiösen Schmucks ablehnt, behindert er in faktischer Weise die Ausübung einer der von der Glaubensfreiheit geschützten Verhaltensweisen und greift dadurch in As Glaubensfreiheit ein. Ob ein solcher Eingriff im konkreten Fall verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, etwa durch das staatliche Neutralitätsgebot, ist eine Frage der Rechtfertigung.

3. Liegt ein Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff vor, ist erst recht der Eingriff nach dem klassischen Begriff zu bejahen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der klassische Eingriffsbegriff meint jede Beeinträchtigung, die final und unmittelbar, durch einen staatlichen Rechtsakt und mit Befehl und Zwang durchsetzbar zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Insbesondere die Definitionsmerkmale der Finalität und Unmittelbarkeit verengen den klassischen Eingriffsbegriff gegenüber dem modernen Begriff. Der klassische Eingriffsbegriff ist somit strenger. Es ist daher genau umgekehrt: liegt ein Eingriff nach dem klassischen Eingriffsbegriff vor, ist erst recht der Eingriff nach dem modernen Begriff zu bejahen.Der Unterschied zwischen klassischem und modernem Eingriffsbegriff ist nur zu erwähnen, wenn nicht sofort offensichtlich ist, dass der klassische Begriff erfüllt ist. Dazu mehr in den nächsten Fällen.

4. Stellt die Ablehnung der Einstellung von A auch einen Eingriff nach dem klassischen Begriff dar?

Ja!

Der klassische Eingriffsbegriff meint jede Beeinträchtigung, die final und unmittelbar, durch einen staatlichen Rechtsakt und mit Befehl und Zwang durchsetzbar zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Die Ablehnung der Einstellung von A als Richterin durch L aufgrund der Tatsache, dass sie ihren religiösen Schmuck trägt, erfüllt alle vier Merkmale des klassischen Eingriffsbegriffs: die Ablehnung der Einstellung beabsichtigt den Eingriff in die Glaubensfreiheit (final) und führt die Rechtsfolge ohne weiteren Umsetzungsakt herbei (unmittelbar). Es handelt sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt (Rechtsakt), der im Zweifel imperativ durchsetzbar ist (Befehl und Zwang). Die Ablehnung der A durch L stellt somit einen klassischen Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Lota Coffee

Lota Coffee

26.3.2025, 13:09:36

Hallo! :) Mir erschließt sich noch nicht, inwieweit die Ablehnung der Bewerbung der A zum Richteramt in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit eingreift. Welches durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Verhalten wird denn verkürzt? In Betracht käme doch nur eine Ausübung des Richteramtes bei gleichzeitiger Betätigung der eigenen Religion. Aber wäre das beim Richteramt wegen der Neutralität des Staates ggü. Religionen angezeigt? Wäre nicht vielmehr die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG betroffen? Oder eine Verletzung aus

Art. 3 GG

einschlägig? Immerhin kann A doch ihren Glauben unabhängig von dem VA weiterhin ausleben, nur halt nicht als Richterin arbeiten.

Lota Coffee

Lota Coffee

28.3.2025, 11:05:49

Jetzt habe ich selbst weitere Aufgaben zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durchgearbeitet und denke, der Schutzbereich wäre im Sinne der Ausübung der eigenen Religion (Betätigungsfreiheit) auf der Arbeit als Richterin eröffnet. Ich glaube mich stört bei diesem Fall, dass der Job ja noch nicht ausgeübt wurde (anders das Beispiel des Kopftuchverbot nach Wechsel des Vorgesetzten in der

Behörde

). Also, dass der Verwaltungsakt an sich vornehmlich überhaupt die Berufsausübung als Richterin verhindert und nicht speziell hierbei die Religionsausübung.

Nadim Sarfraz

Nadim Sarfraz

15.5.2025, 15:30:02

Hallo Lota Coffee, danke für Deinen Beitrag. Wie Du bereits selbst richtigerweise festgestellt hast, ist der Schutzbereich von Art. 4 GG betroffen. Das schließt aber nicht aus, dass der hoheitliche Akt (in diesem Fall die Ablehnungsentscheidung) nicht auch in den Schutzbereich anderer Grundrechte eingreift. Hier wäre mE durchaus auch ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gegeben. Um die Frage zu beantworten, ob es sich um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (nach der 3-Stufen Theorie niedrigschwelligere Rechtfertigungsvoraussetzungen) oder gar in die subjektive Berufswahlfreiheit handelt, bedürfte es allerdings eines komplexeren Sachverhalts. Mit dem Fall wollten wir den Nutzer:innen primär den Unterschied zwischen klassischem und modernen Eingriffsbegriff näherbringen. :) Falls Du die Grundsätze zur Berufsfreiheit vertiefen möchtest, empfehle ich Dir die Einheit zu Art. 12 Abs. 1 GG und insbesondere das grundlegende Apotheker-Urteil v. 11.06.1958, das Du bei der examensrelevanten Rspr. zum öffentlichen Recht unter der Rubrik "Klassiker im Öffentlichen Recht" findest. Liebe Grüße, Nadim für das Jurafuchs-Team


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