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Schadensrecht

Gesamtschuldnerausgleich bei Unfall mit Leasingfahrzeug?

Gesamtschuldnerausgleich bei Unfall mit Leasingfahrzeug?

19. Juni 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

H ist Halterin eines PKW, den sie bei der Leasinggesellschaft L least. Es kommt zu einem nicht aufklärbaren Unfall zwischen H und F, bei dem Ls PKW beschädigt wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass F alleine für den Unfall verantwortlich ist. Fs Versicherung V leistet L vollen Schadensersatz.

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Einordnung des Falls

Gesamtschuldnerausgleich bei Unfall mit Leasingfahrzeug?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 17 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V ist der Meinung, „H müsse auch ihren Teil zum Ersatz des Schadens beitragen“. Könnte V gegen H einen Anspruch auf Zahlung von 50% des von V an L geleisteten Betrags aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB haben?

Genau, so ist das!

Gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB sind Gesamtschuldner (§ 421 S. 1 BGB) in ihrem Verhältnis zueinander (= Innenverhältnis) zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Hieraus ergeben sich zwei Ansprüche: Vor der Befriedigung des Gläubigers hat jeder Gesamtschuldner gegen die weiteren Gesamtschuldner einen Befreiungsanspruch in Höhe der weiteren Haftungsquoten. Nach der Befriedigung kann der in voller Höhe leistende Gesamtschuldner bei den weiteren Gesamtschuldnern anteilig Regress nehmen. Ein Regressanspruch nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB kannst Du wie folgt prüfen: (1) Anspruchsteller (hier: V) und Anspruchsgegner (hier: H) sind Gesamtschuldner (2) der Anspruchsteller hat den Gläubiger (hier: L) der Gesamtschuld befriedigt (3) Bestimmung der Haftungsquote. Wir prüfen hier den Regressanspruch, weil V bereits den gesamten Schadensersatz an L geleistet hat.Die Gesamtschuld ist ein Klassiker des Schuldrechts und Grundlage für eine Fülle an wichtigen Problemen. Wir empfehlen Dir einen Blick in den Grüneberg unter §§ 421 und 426 BGB.
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2. Zunächst müssten V und H Gesamtschuldner der L sein (§ 421 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen für das Entstehen einer Gesamtschuld nach § 421 S. 1 BGB sind im Einzelnen umstritten. Nach dem BGH setzt eine Gesamtschuld voraus: (1) Der Gläubiger (hier: L) hat einen Anspruch gegen mehrere Schuldner (hier: V und H) (2) Der Gläubiger kann die Leistung nur einmal fordern (3) Die Ansprüche des Gläubigers haben ein identisches Leistungsinteresse (4) Die einzelnen Verpflichtungen sind zudem gleichstufig. § 421 S. 1 BGB setzt das Bestehen einer Gesamtschuld voraus, aber enthält gerade keine Angaben dazu, unter welchen Voraussetzungen eine Gesamtschuld entsteht. Die genannten Punkte (1) bis (3) sind die sogenannten „Mindestvoraussetzungen“ einer Gesamtschuld. Ob (4) zwingend ist, ist umstritten. Unter (1) ist im Folgenden inzident zu prüfen, ob L jeweils von V und H Schadensersatz für die Beschädigung des von H geleasten PKW verlangen kann. In derartigen Klausurkonstellationen ist es besonders wichtig, dass Du strukturiert prüfst, d.h. richtig gliederst und saubere Obersätze bildest.

3. V hat bereits in voller Höhe Schadensersatz an L geleistet. Könnte L vor dieser Erfüllung gegen V einen Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG gehabt haben?

Ja!

Um die Gesamtschuld festzustellen, musst Du zunächst die einzelnen Ansprüche des Gläubigers gegen die (potenziellen) Gesamtschuldner prüfen. Weil V bereits an L geleistet hat (vgl. § 362 Abs. 1 BGB), ist hier zu prüfen, ob L gegen V ursprünglich einen Anspruch hatte. Sprachlich solltest Du das durch eine Vergangenheitsform verdeutlichen. Außerdem: Habe keine Angst vor der Prüfung von § 115 Abs. 1 S. 1 VVG. Dabei handelt es sich schlicht um eine Überleitungsnorm, die Du nur kennen und nennen musst. Du prüfst dann ganz „normal“ die Ansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger inzident. Falsch wäre es, nur auf § 115 Abs. 1 S. 1 VVG abzustellen, ohne zu prüfen, ob der übergeleitete Anspruch überhaupt besteht. Nach § 115 Abs. 1 S. 1 VVG kann der Geschädigte seinen Anspruch gegen den Schädiger in den dort genannten Fällen direkt bei der Versicherung des Schädigers geltend machen. Dazu muss der Schadensersatzanspruch des Geschädigten (hier: L) gegen den Schädiger (hier: gegen F aus § 7 Abs. 1 StVG) bestehen. Die Voraussetzungen des Anspruchs aus § 7 Abs. 1 StVG sind: (1) Rechtsgutsverletzung (2) Betrieb eines Kraftfahrzeugs i.S.v. § 1 Abs. 2 StVG (3) Kausalität zwischen Betrieb und Verletzung (4) Anspruchsgegner ist Halter (5) Kein Ausschluss (§§ 7 Abs. 2, Abs. 3, 8, 15 S. 1 StVG) (6) ersatzfähiger, kausaler Schaden.

4. L könnte gegen V einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG haben. Kommt es dafür darauf an, ob L einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG gegen F hat?

Genau, so ist das!

Noch einmal zur Erinnerung: Bei dem direkten Anspruch des Geschädigten (hier: L) gegen die Versicherungs des Schädigers (hier: F) liegt der Schwerpunkt der Prüfung i.d.R. darauf, den übergeleiteten Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger zu prüfen. Die Voraussetzungen des Anspruchs aus § 7 Abs. 1 StVG sind: (1) Rechtsgutsverletzung (2) Betrieb eines Kraftfahrzeugs i.S.v. § 1 Abs. 2 StVG (3) Kausalität zwischen Betrieb und Verletzung (4) Anspruchsgegner ist Halter (5) Kein Ausschluss (§§ 7 Abs. 2, Abs. 3, 8, 15 S. 1 StVG) (6) ersatzfähiger, kausaler Schaden. L ist als Leasinggesellschaft Eigentümerin des von H gehaltenen Fahrzeugs. Ls Eigentum wurde bei einem Verkehrsunfall mit F, also beim Betrieb des von F gehaltenen Kfz, beschädigt. Anhaltspunkte für einen Haftungsausschluss sind nicht ersichtlich. L ist auch ein kausaler, ersatzfähiger (Substanz-)Schaden am PKW entstanden. L hat damit einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG gegen H. Spielt eine zivilrechtliche Klausur im Straßenverkehr, ist bei Haftungsfragen vor allem an die Normen aus dem StVG zu denken. Wir haben die Prüfung dieses Anspruchs kurz gefasst, weil hier keine besonderen materiell-rechtlichen Probleme liegen. Achte auf den konkreten Sachverhalt und vertiefe Deine Ausführungen, sofern hier weitere Schwerpunkte liegen.

5. H hat das Auto von L geleast. Könnte Ls Anspruch gegen V nach § 17 Abs. 2 StVG gekürzt sein, wenn L sich die Betriebsgefahr anrechnen lassen müsste (§ 17 Abs. 2 StVG)?

Ja, in der Tat!

Wir prüfen immer noch den Anspruch von V gegen L aus §§ 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG innerhalb der Frage nach einer Gesamtschuldnerschaft von L und V. Nachdem Du festgestellt hast, dass der Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG dem Grunde nach besteht, stellt sich noch die Frage nach dem konkreten Umfang des Anspruches. Sind mehrere Halter an einem Unfall beteiligt, solltest Du an § 17 StVG denken. Nach § 17 Abs. 2 StVG ist die Haftung der Fahrzeughalter untereinander gemäß ihren jeweiligen Verursachungsbeiträgen zu quoteln, wenn der Schaden einem beteiligten Fahrzeughalter entstanden ist. Die Norm regelt ausdrücklich nur die Haftungsverteilung unter den Haltern. Der insoweit eindeutige Wortlaut schließt die Erstreckung auf den nicht haltenden Eigentümer aus. Halter ist, wer das Kfz auf eigene Rechnung (nicht nur ganz vorübergehend) gebraucht und die hierfür erforderliche Verfügungsgewalt besitzt. L gebraucht das Kfz weder auf eigene Rechnung, noch hat L die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug. L ist zwar Eigentümerin des beschädigten Kfzs, aber eben nicht Halterin, sodass § 17 Abs. 2 StVG nicht gilt. L muss sich daher die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs nicht anspruchsmindernd zurechnen lassen. Vergiss nicht: Der Eigentümer eines Fahrzeugs ist nicht automatisch auch Halter i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG.

6. § 17 Abs. 2 StVG findet im Verhältnis von L zu H keine Anwendung. Müsste sich L aber ein Mitverschulden von H an dem Unfall anrechnen lassen, wenn ein solches festgestellt wird (§ 9 StVG i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB)?

Ja!

Auch der Eigentümer, der nicht Halter ist, muss sich wegen § 9 StVG das Mitverschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, anrechnen lassen. Die tatsächliche Gewalt über die Sache hat zum Unfallzeitpunkt H ausgeübt. Allerdings ist der Unfall nicht aufzuklären, sodass kein Verschulden der H feststellbar ist. Demnach ist der Anspruch der L aus § 7 Abs. 1 StVG auch nicht nach § 9 StVG zu kürzen. Als Haftpflichtversicherer des F nach § 1 PflVG haftet V unmittelbar für einen entstandenen Schaden (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG). Dementsprechend haftet V nach § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG gegenüber L in voller Höhe. Unterscheide die Quotelung der Haftung nach § 17 Abs. 2 StVG sauber von der Frage nach einem etwaigen Mitverschulden nach § 9 StVG. Das macht einen guten Eindruck und Du gehst sicher, dass Du nicht durcheinander kommst.

7. L hat gegen V einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Scheidet daneben ein Anspruch der L gegen V aus § 18 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG aus?

Nein, das ist nicht der Fall!

Aus § 18 Abs. 1 S. 1 StVG ergibt sich die Haftung des Fahrzeugführers. Dieser haftet nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG für vermutetes Verschulden (Beweislastumkehr). Der Ersatzanspruch gegen den Kfz-Führer setzt – entsprechend der Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG – die Beschädigung einer Sache oder die Verletzung einer Person bei dem Betrieb eines Kfz voraus. F war nicht nur Halter, sondern auch Fahrer des über V versicherten LKWs. Er haftet deshalb nicht nur nach § 7 Abs. 1 StVG, sondern auch nach § 18 Abs. 1 S. 1 StVG. Für eine Entlastung des F finden sich keine Angaben im Sachverhalt. Als Haftpflichtversicherer des F (§ 1 PflVG) haftet V unmittelbar für den entstandenen Schaden (§ 115 Abs. 1 VVG). Weil § 7 Abs. 1 StVG die „stärkere“ Haftungsnorm ist, solltest Du diese immer zuerst prüfen. Ist der Halter auch Führer des § 18 Abs. 1 S. 1 StVG kurz halten.

8. Hat L gegen V auch einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, obwohl die Verantwortlichkeiten an dem Unfall ungeklärt sind?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) eine Rechtsgutsverletzung (2) durch ein dem Anspruchsgegner zurechenbares, äquivalent und adäquat kausales Verhalten (3) Rechtswidrigkeit (4) Verschulden des Anspruchsgegners (5) einen ersatzfähiger, kausaler Schaden. L hat durch ein Verhalten von F eine Eigentumsverletzung an ihrem Fahrzeug erlitten. Die Rechtswidrigkeit wird indiziert. Jedoch ist der Unfall nicht aufklärbar, weshalb F kein Verschulden vorzuwerfen ist. Ein Anspruch gegen V aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG scheidet deshalb aus. Die Unaufklärbarkeit eines Schadenshergangs ist im 2. Examen i.d.R. über die materielle Beweislast zu lösen. Die beweisbelastete Partei trägt demnach das Risiko, dass die streitige Tatsache nicht zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) bewiesen werden kann („non liquet“). Im nächsten Schritt musst Du nun prüfen, ob die Geschädigte L auch einen Anspruch gegen H hat.

9. Im Leasingvertrag (= AGB) ist geregelt, dass H für Beschädigungen des PKW ohne Verschulden haftet und die Leasingraten „daher auch bei einem Ausfall“ des PKW zahlen muss. Musst Du diese Vereinbarung auslegen, um zu prüfen, ob sich hieraus ein verschuldensunabhängiger (Schadensersatz-)Anspruch von L gegen H ergeben könnte?

Ja!

Zur Erinnerung: Wir befinden uns immer noch in der Prüfung des § 421 S. 1 BGB. Du hast festgestellt, dass L einen Anspruch gegen V auf Schadensersatz hat. Nun prüfst Du die Ansprüche von L gegen H. AGB sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden (§§ 133, 157 BGB). Dabei sind die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Eine Klausel ist vor dem Hintergrund des gesamten Vertrages zu interpretieren und darf nicht aus ihrem Kontext gerissen werden. Zweifel gehen zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB). Wir halten uns hier an die gängige zivilrechtliche Prüfungsreihenfolge: vertraglich, quasivertraglich, sachenrechtlich, deliktisch, bereicherungsrechtlich. In den einzelnen Ebenen solltest Du verschuldensunabhängige Ansprüche zuerst prüfen. Der BGH ist im Originalfall zwischen den Ebenen gesprungen, was wir für das 1. Examen nicht empfehlen können. Natürlich solltest Du die Reihenfolge auch im 2. Examen grundsätzlich einhalten. In der Urteilspraxis wird aber regelmäßig nur der Anspruch bejaht, der sich am leichtesten begründen lässt.

10. Die Klausel regelt, dass H auch bei einem Ausfall des Leasingwagens die Leasingraten fortzahlen muss. Spricht das eindeutig für eine verschuldensunabhängige Haftung auf Schadensersatz?

Nein, das ist nicht der Fall!

AGB sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Parteien verstanden werden (§§ 133, 157 BGB). Eine Klausel ist innerhalb des vertraglichen Kontexts zu interpretieren. Zweifel gehen zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB). BGH: Die Klausel ist in ihrem Regelungskontext dahingehend auszulegen, dass die Sach- und Leistungsgefahr entsprechend der kaufrechtlichen Wertung des § 446 BGB auf H abgewälzt wird. H haftet gegenüber L auf Fortzahlung der Leasingraten. Diese vertragliche Risikoverteilung regelt gerade keine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht von H für Schäden an Ls Eigentum. H haftet gegenüber L nicht verschuldensunabhängig auf Schadensersatz für den durch den Unfall mit F entstandenen Schaden. Die Auslegung von Verträgen ist für beide Examina essentiell. Es kann vorkommen, dass die Parteien eigene Regelungen – z.B. hinsichtlich Fälligkeit / Schadensersatz – treffen. Hierbei ist es wichtig, dass du nah am Parteiwillen argumentierst und zu einem billigen Interessenausgleich kommst.

11. Im Leasingvertrag ist auch geregelt, dass H für alle Schäden am PKW haftet, die nicht von einer Versicherung oder einem Dritten gedeckt werden. Hat L gegen H aus dieser Klausel einen Anspruch auf Schadensersatz?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Schadensersatzanspruch aus dieser Klausel scheitert bereits daran, dass die einschränkende Voraussetzung nicht erfüllt ist. Denn der Schaden wurde bereits von der Versicherung V in voller Höhe gedeckt. Sollte Dir mal eine autonom von den Parteien vereinbarte Haftungsklausel begegnen, bieten sich zwei grobe Prüfungsschritte an: (1) Ist die Klausel wirksam (insbes. §§ 134, 138 BGB, ggf. AGB-Kontrolle)? (2) Sind die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und was folgt daraus im konkreten Fall?

12. Ein Schadensersatzanspruch von L gegen H ergibt sich also nicht direkt aus einer Klausel des Leasingvertrags. Könnte L gegen H aber einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB haben?

Ja!

Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB (= Schadensersatz neben der Leistung) setzt voraus, dass (1) ein (rechtsgeschäftliches oder gesetzliches) Schuldverhältnis besteht (2) der Schuldner eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt hat (3) er die Pflichtverletzung auch zu vertreten hat (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 Abs. 1 BGB) (4) der Gläubiger einen kausalen, ersatzfähigen Schaden erlitten hat.Führe Dir einmal die verschiedenen Anknüpfungspunkte für Hs mögliche Haftung vor Augen: Aus dem Leasingsvertrag ergibt sich zwar nicht direkt, dass H für Schäden gegenüber L haften muss. Das schließt aber nicht aus, dass H für eine Pflichtverletzung innerhalb eine zwischen H und L bestehenden Schuldverhältnis haften muss.

13. Zwischen H und L besteht ein Schuldverhältnis (= Leasingvertrag), nach dem H zur ordnungsgemäßen Verwendung des PKW berechtigt ist. Hat H eine Pflicht verletzt, indem sie den geleasten PKW im Straßenverkehr betrieben hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Pflichtverletzung ist jede objektive Abweichung einer Partei vom geschuldeten Pflichtenprogramm. BGH: Der Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr kann für sich genommen nicht als Verletzung einer Pflicht aus dem Leasingvertrag qualifiziert werden. Eine andere Beurteilung liefe dem Zweck des Leasingvertrags zuwider. Bei der Prüfung der Pflichtverletzung empfehlen wir Dir – gedanklich – nach folgendem Schema vorzugehen: (1) Welche Pflichten begründet das konkrete Schuldverhältnis? (2) Welches Verhalten des Schuldners könnte eine dieser Pflichten verletzt haben? (3) Ist es angemessen, das Verhalten als Pflichtverletzung zu werten? Hat sich z.B. nur das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht? (4) Ist die Pflichtverletzung bewiesen? Beweisfragen werden im 1. Examen nur in Ausnahmefällen relevant. Es ist aber nützlich, wenn Du hier und da schonmal etwas dazu hörst.

14. Könnte Hs Pflichtverletzung ausnahmsweise in erweiternder Auslegung von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB (widerleglich) vermutet werden, wenn die möglichen Schadensursachen allein im Obhuts- und Gefahrenbereich von H liegen?

Ja, in der Tat!

Gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB wird vermutet, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat (Beweislastumkehr). Eine Pflichtverletzung wird grundsätzlich nicht vermutet. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn die möglichen Schadensursachen allein im Obhuts- und Gefahrenbereich des Schädigers liegen. Dann muss der Schuldner über den Wortlaut von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hinaus darlegen und ggf. beweisen, dass er keine Pflicht verletzt hat. H war nicht allein an dem Unfall beteiligt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass F allein für den Unfall verantwortlich ist. Die Gefahren des Straßenverkehrs unterfallennicht allein dem Obhuts- und Gefahrenbereich eines Verkehrsteilnehmers. Vielmehr besteht auch die Gefahr des Fehlverhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers. Mithin ist keine Beweislastumkehr angezeigt. Fälle, in denen die Beweislast über den Wortlaut des Gesetzes hinaus umgekehrt werden, sind besonders wichtig. Mehr dazu im Grüneberg, 83. Aufl. 2024, § 280 BGB, Rn. 37.

15. L könnte gegen H aber einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 7 Abs. 1 StVG haben. Ist dieser Anspruch bereits nach dem Wortlaut der Norm ausgeschlossen?

Nein!

Hier fragen wir uns: Kann der Eigentümer eines Fahrzeugs (hier: L) einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG gegen den Halter des beschädigten Eigentums (hier: H) haben? Nach seinem Wortlaut erfasst § 7 Abs. 1 StVG zunächst sämtliche Sachbeschädigungen. Die Norm schützt Dritte vor Gefahren, die vom Betrieb des gehaltenen Kfz ausgehen. Daher erfasst der Schutzzweck der Norm nur eine vom Kfz verschiedene Sache, nicht dagegen das Kfz selbst. Das Eigentum am Kfz, dass der Leasinggeber dem Leasingnehmer zur Nutzung überlässt, ist von diesem Schutzzweck nicht erfasst. Zwar stand der von H gehaltene PKW im Eigentum der Leasinggeberin L. Allerdings erfolgte das Schadensereignis beim Betrieb des PKW i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG. Das Eigentum der L unterfällt somit nicht dem Schutzzweck von § 7 Abs. 1 StVG. Mithin liegt schon keine Verletzung eines von § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgutes vor. Insbesondere im Schadensrecht spielt der Schutzzweck einer Norm regelmäßig eine wichtige Rolle. Dieses Element wird gerne dazu benutzt, die Reichweite von Haftungsnormen zu erweitern oder zu beschränken. Fälle wie dieser helfen Dir dabei, dein Verständnis zu schärfen.

16. L hat gegen H auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 18 Abs. 1 S. 1 StVG oder § 823 Abs. 1 BGB.

Genau, so ist das!

§ 18 Abs. 1 S. 1 StVG verweist ausdrücklich auf Fälle des § 7 Abs. 1 StVG, womit eine Haftung ebenfalls am Schutzzweck der Norm bzw. an der Rechtsgutsverletzung scheitert. Eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB scheitert indes – wie auch bei F – am Nachweis einer haftungsbegründenden Verletzungshandlung von H. Soweit der Unfallhergang nicht aufklärbar ist, kann H die Verursachung des Schadensereignisses nicht vorgeworfen werden. Im Originalfall war die Halterin nicht zugleich Fahrerin. Ein Schadensersatzanspruch der Leasinggeberin gegen den Fahrer wurde aber aus vorgenannter Begründung abgelehnt. In Deiner Examensklausur wäre es in so einem Fall nach der bisherigen Prüfung völlig legitim, zu den weiteren, nicht bestehenden Ansprüchen nur 1-2 Sätze zu verlieren. Damit zeigst Du, dass Du alles gesehen und Schwerpunkte gesetzt hast.

17. V hat im Ergebnis einen Regressanspruch gegen H aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

L hat gegen H keinen Schadensersatzanspruch. Folglich sind V und H Gesamtschuldner und V kann keinen Regress bei H nehmen. V hat auch keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). V hat nicht auf eine fremde Schuld, sondern auf die gegen sie gerichtete Forderung der Leasinggeberin L aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG geleistet. Die Prüfung wirkt zunächst verschachtelt. Wiederhole den Fall gerne nochmal. Wir öffnen hier am Anfang mit § 426 Abs. 1 S. 1 BGB und dann § 421 S. 1 BGB zwei Klammern und prüfen dann bei der Gesamtschuldnerschaft, ob und welche Ansprüche L jeweils gegen V und gegen H hat. Die Prüfung kann man insgesamt so zusammenfassen: (1) Innenausgleich nach § 426 BGB (V gegen F): setzt ein Gesamtschuldverhältnis nach § 421 BGB voraus (a) Haftung der Versicherung (V): aus § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG, ungekürzt, da L keine Halterin ist (§ 17 StVG) und kein Mitverschulden (§ 9 StVG) vorliegt. (b) Haftung der Leasingnehmerin (H): weder aus Vertrag (AGB: Gefahrtragung, kein Schadensersatz), noch aus Delikt (§ 823 BGB), noch aus § 280 BGB. (c) Zwischenergebnis: Kein Gesamtschuldverhältnis, kein Anspruch aus § 426 BGB. (2) Kein Bereicherungsanspruch V gegen F: V hat auf eigene Verbindlichkeit geleistet.
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