Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO (Einführungsfall)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird des räuberischen Diebstahls verurteilt. Zeugin Z behauptet einen Schlag ins Gesicht. Bei der polizeilichen Vernehmung sprach Z sprach noch von einer „reflexartigen Bewegung“. Auch der Ladendetektiv ist sich unsicher. As Anregung, „die blonde Kassiererin” könne bestimmt etwas dazu sagen, ignoriert das Gericht.

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Einordnung des Falls

Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO (Einführungsfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei As Ansinnen, die „blonde Kassiererin” zu vernehmen, handelt es sich um einen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 S. 1 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll (§ 244 Abs. 3 S. 1 StPO). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag.Hier fehlt es schon an dem ernsthaften Verlangen der Beweiserhebung. A stellt nur in den Raum, dass auch eine Vernehmung der Kassiererin sinnvoll sein könnte, ohne aber deren Vernehmung eindeutig zu verlangen. Auch ist die Beweistatsache nicht hinreichend bezeichnet.
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2. Indem das Gericht die Kassiererin nicht vorgeführt hat, könnte aber der Untersuchungsgrundsatz verletzt sein (§ 244 Abs. 2 StPO).

Ja!

Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO). Diese Aufklärungspflicht (auch Untersuchungsgrundsatz) ist von Anträgen und Wünschen der Beteiligten unabhängig und reicht so weit, wie sich das Gericht aufgrund von Akteninhalt und Verfahrensablauf zum Gebrauch bestimmter Beweismittel gedrängt sehen muss. Das Gericht muss dann allen erkennbaren und sinnvollen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung nachgehen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis scheint, desto eher besteht Anlass zur Nutzung weiterer Beweismittel.

3. Indem das Gericht die Kassiererin nicht als Zeugin ausfindig macht und vernimmt, verstößt es gegen seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO).

Genau, so ist das!

Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO). Dies reicht so weit, wie sich das Gericht aufgrund von Akteninhalt und Verfahrensablauf zum Gebrauch bestimmter Beweismittel gedrängt sehen muss. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis scheint, desto eher besteht Anlass zur Nutzung weiterer Beweismittel.Das bisherige Beweisergebnis ist in einem bedeutenden Punkt uneindeutig. Es steht letztlich Aussage gegen Aussage. Auch weichen Zs Aussagen voneinander ab. Auf der Grundlage des bisherigen Sachstandes hätte das Gericht der Beweisanregung des A im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen müssen und hat damit § 244 Abs. 2 StPO verletzt.

4. Wenn As Schlag eine reflexartige Bewegung war, wäre A nur wegen einfachen (§ 242 StGB), nicht wegen räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) zu verurteilen.

Ja, in der Tat!

Räuberischen Diebstahl begeht, wer bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen,gegen eine Person Gewalt verübt. Die Tathandlung ist hier neben dem Gewahrsamsbruch die Gewaltausübung.Sollte As Bewegung nur ein Reflex gewesen sein, fehlt es insoweit schon an der Handlungsqualität. Ein nicht willentlich gesteuertes Verhalten stellt keine Handlung im strafrechtlichen Sinne dar. Dann wäre A mangels Gewalteinwirkung im Sinne der Norm nur wegen Diebstahls zu bestrafen.Durch eine Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls mit einem Strafrahmen von nicht unter einem Jahr (§§ 252, 249 Abs. 1 StGB), statt des Strafrahmens von bis zu fünf Jahren beim Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB), ist A auch beschwert.

5. A kann erfolgreich in Revision gehen (§ 337 StPO).

Ja!

A kann mit der sogenannten Aufklärungsrüge erfolgreich in Revision gehen, wenn das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht.Das Gericht verletzte seine Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO, indem es As Beweisanregung nicht nachging. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) nach der Vernehmung der Kassiererin nicht mehr haltbar gewesen wäre. Damit kann A erfolgreich in Revision gehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo

Nocebo

12.11.2024, 17:55:01

Irgendwie verstehe ich in diesem Fall nicht wirklich, wer wer ist. Einerseits wirkt es auf mich so, die blonde Kassiererin wäre die Z. Andererseits ist die Z ja vernommen worden. Bin ich zu doof?

Paulah

Paulah

13.11.2024, 11:19:24

Da ist doch sogar ein Bild, das zwar keine zusätzlichen Informationen bietet, aber das Ganze illustriert: "die blonde Kassiererin" sitzt an der Kasse der Dieb A rennt mit der Beute weg dabei schubst er die Zeugin Z zur Seite der Mann von der Security (der Ladendetektiv schaut sich das Ganze an) Der Dieb A schlägt wegen des Vorwurfs der Zeugin Z, er habe sie ins Gesicht geschlagen, vor, "die blonde Kassiererin" zu befragen (um ihn zu entlasten - er sagt, es sei nur eine reflexartige Bewegung gewesen)

Nocebo

Nocebo

13.11.2024, 11:21:26

„Indem das Gericht die Zeugin Z nicht vorgeführt hat, könnte aber der Untersuchungsgrundsatz verletzt sein (§ 244 Abs. 2 StPO).“ Aber Zeugin Z wurde durch vorgeführt? Das Problem ist doch, dass die Kassiererin nicht vorgeführt wurde? Deine Antwort überzeugt mich sehr, dann wäre aber diese Frage falsch. Zeugin Z hat ja auch in der gerichtlichen Vernehmung (Schlag) etwas anderes ausgesagt als in der polizeilichen.

Paulah

Paulah

13.11.2024, 12:16:16

Ich glaube, es geht darum, dass die Zeugin nur polizeilich vernommen wurde und nicht vor Gericht vorgeladen.

Nocebo

Nocebo

13.11.2024, 12:27:30

Da die Karteikarte sowieso sprachlich falsch ist, sollte sie vielleicht generell korrigiert werden, @[Lukas Mengestu](221887). Im zweiten Satz taucht zwei Mal „sprach“ auf. „Bei der polizeilichen Vernehmung SPRACH Z SPRACH noch von einer „reflexartigen Bewegung“.“

Paulah

Paulah

13.11.2024, 12:45:05

Ich habe gerade mal versucht, die angegebenen Textstellen einzusehen. Auf Meyer-Goßner/Schmitt habe ich von hier keinen Zugriff, in der anderen Literaturangabe geht es um die Aufklärungspflicht. In dem BGH-Beschluss geht es, wenn ich es richtig verstanden habe, um einen Fall der Gefangenenmeuterei und darum, dass die dritte Person angeblich in den Tatplan eingeweiht war. Ich bin mir nicht sicher, nehme aber an im Sachverhalt ist gemeint, dass Z nur polizeilich und nicht vor Gericht als Zeugin vernommen wurde. Aber stimmt: Das geht nicht klar hervor, in welchem Zusammenhang sie den Schlag ins Gesicht behauptet hat. Könnte auch vor Gericht gewesen sein.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

15.11.2024, 16:06:14

Hallo ihr zwei, danke für euren Austausch & sorry für die Verwirrung an dieser Stelle! Die Aussage: „Indem das Gericht die Zeugin Z nicht vorgeführt hat, könnte aber der Untersuchungsgrundsatz verletzt sein (§ 244 Abs. 2 StPO).“ War tatsächlich falsch und diese sollte sich auf die Kassiererin beziehen. Ich habe das jetzt korrigiert. Außerdem werden wir eine neue Illustration erstellen, die die Konstellation deutlicher macht. Ich hoffe, ich konnte euch damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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