+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B fassen gemeinsam den Plan, C zu töten. A navigiert dafür B als Fahrer von As Wagen zu Cs Aufenthaltsort. Als sie C entdecken, fahren sie in der Absicht, C zu töten, mit 25 km/h auf den Gehweg zu. Seinen Tod nehmen sie billigend in Kauf. C kann sich retten.
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Einordnung des Falls
Mittäterschaft des Beifahrers beim begangenen verkehrsfeindlichen Inneneingriff? (BGH, Beschl. v. 15.08.2023, Az. 4 StR 227/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A und B könnten den Tatbestand des versuchten Totschlags mittäterschaftlich verwirklicht haben (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB).
Ja, in der Tat!
Eine Versuchsstrafbarkeit setzt tatbestandlich voraus, dass der Täter mit
(1) Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung
(2) unmittelbar ansetzt.
Mittäterschaft setzt
(1) einen Entschluss zur gemeinsamen, arbeitsteilig auf vergleichbarer Augenhöhe begangenen Tat und
(2) die gemeinsame Tatausführung mit wesentlichen Tatbeiträgen voraus.
Sofern Du nicht bereits den vollendeten Totschlag geprüft und abgelehnt hast, musst Du zu Beginn der Prüfung des Versuchs kurz festzustellen, dass A und B nicht wegen vollendeten Totschlags strafbar sind. Zudem solltest Du immer kurz erwähnen, dass das unvollendete Delikt im Versuch strafbar ist.
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2. A und B hatten Tatentschluss hinsichtlich Cs Tötung in Mittäterschaft.
Ja!
Tatentschluss umfasst den Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie eventuell vorliegende deliktsspezifische subjektive Tatbestandsmerkmale.
A und B haben gemeinsam den Plan gefasst, C mit dem Auto des A zu überfahren. Beide hatten dabei auch bedingten Tötungsvorsatz (dolus eventualis) und somit Tatentschluss hinsichtlich des Todes von O. Zudem planten sie, die Tat gemeinsam auszuführen, indem B fahren und A das Auto stellen und navigieren sollte. Sie planten also die mittäterschaftliche Begehung (§ 25 Abs. 2 StGB).
3. A und B haben jeweils zu ihren individuellen Tatbeiträgen unmittelbar angesetzt.
Genau, so ist das!
Der Täter setzt unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los” überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.
Indem A den B zu C navigierte, hat er zu seinem individuellen Tatbeitrag angesetzt, der auch wesentlich war. Auch B hat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt, indem er mit 25 km/h direkt auf den C zuhielt.
Da vorliegend beide Mittäter zu ihrem individuellen Tatbeitrag angesetzt haben, kommt es nicht auf die Frage an, ob bei einer mittäterschaftlichen Begehung beide oder lediglich einer der Mittäter unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzen muss.
4. Sind A und B strafbefreiend zurückgetreten?
Nein, das trifft nicht zu!
Der Rücktritt vom Versuch setzt voraus, dass der Versuch
(1) nicht fehlgeschlagen ist und der Täter die
(2) erforderliche Rücktrittshandlung
(3) freiwillig erfüllt.
Zu 1: Ein Fehlschlag (§ 24 StGB) liegt vor, wenn der Täter entweder tatsächlich erkennt oder irrig annimmt, dass die Vollendung der geplanten Tat mit den ihn zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne zeitliche Zäsur nicht mehr möglich ist.
Da C sich rettet, können A und B den Plan, ihn zu überfahren, nach ihrer Vorstellung nicht mehr vollenden. Ein Fehlschlag liegt vor, sie können nicht mehr zurücktreten. Zudem handelten sie rechtswidrig und schuldhaft. Mithin haben sie sich wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB).
5. Indem B auf den C zusteuerte, könnte er sich auch wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht haben, § 315b StGB.
Ja!
§ 315b StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt, das sowohl die Sicherheit des Straßenverkehrs, als auch die Individualrechtsgüter Leib und Leben, sowie fremde Sachen von bedeutendem Wert schützen soll. Voraussetzung ist ein
(1) Eingriff (Nr. 1-3), der
(2) für die Sicherheit des Straßenverkehrs abstrakt gefährlich ist und zu einer
(3) konkreten Gefährdung eines der geschützten Rechtsgüter führt.
6. Grundsätzlich kann ein „verkehrsinternes“ Verhalten des Täters kein Eingriff i.S.v. § 315b StGB sein. Hat B einen unter § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB fallenden „Außeneingriff“ vorgenommen, indem er auf C zufuhr?
Nein, das ist nicht der Fall!
§ 315b StGB erfasst im Gegensatz zu § 315c StGB grundsätzlich keine Vorgänge des fließenden oder ruhenden Verkehrs. § 315b StGB soll verkehrsfremde Eingriffe (sog. Außeneingriffe) unterbinden, die von außen her die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs beeinträchtigen, indem sie diesen in seinem ungestörten, geregelten Ablauf gefährden. Innerhalb des Verkehrs vorgenommene Eingriffe werden nur ausnahmsweise einbezogen (sog. Pervertierung des Straßenverkehrs für verkehrsfremde Zwecke).
Dass B auf C zufährt, ist äußerlich betrachtet ein Vorgang des fließenden Verkehrs, also ein verkehrsinternes Verhalten. Bs Verhalten wäre daher grundsätzlich nicht von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst.
7. Indem B probierte, C auf dem Bürgersteig zu überfahren, hat er einen „verkehrsfeindlichen Inneneingriff" vorgenommen.
Ja, in der Tat!
Ausnahmsweise wird die Sperrwirkung des grundsätzlich abschließenden § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB bei verkehrsinternen Verhaltensweisen durchbrochen, wenn der Verkehrsteilnehmer den Verkehrsvorgang zu einem verkehrsfeindlichen Inneneingriff pervertiert. Ein verkehrsfeindlicher Inneneingriff erfordert, dass objektiv durch grobe Einwirkung von einigem Gewicht und subjektiv in verkehrsfeindlicher Absicht in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingegriffen wird, was gegeben ist, wenn ein PKW als Waffe oder Schadenswerkzeug zweckentfremdet wird. Nach st.Rspr. muss (mindestens bedingter) Schädigungsvorsatz hinzukommen.
Da B den von ihm gelenkten Pkw absichtlich auf O zugelenkt hat, hat er den Pkw - über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehend - verkehrsatypisch zu einem verkehrsfeindlichen Inneneingriff pervertiert.
8. Dadurch, dass B auf C zufuhr, war C einer konkreten Lebensgefahr ausgesetzt. Hat B sich wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht?
Ja!
Neben einem Eingriff, der eine abstrakte verkehrsspezifische Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs schafft, erfordert § 315b Abs. 1 StGB, dass als Taterfolg Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet wird. Die verkehrsspezifische Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen liegt vor, wenn es durch die Tathandlung zu einem Beinahe-Unfall kommt. Rückblickend betrachtet, hing die Gefahrverwirklichung also nur noch vom Zufall ab, ein unbeteiligter Beobachter würde sagen, dass „das gerade noch einmal gut gegangen ist“. Subjektiv muss B Vorsatz bezüglich der Tathandlung und der Gefährdung und zudem Schädigungsvorsatz gehabt haben.
C konnte sich nur im letzten Moment retten, er war also einer konkreten Lebensgefahr ausgesetzt. B handelte auch vorsätzlich hinsichtlich seiner Tathandlung und der Gefährdung des C. Er hatte Schädigungsvorsatz und handelte rechtswidrig und schuldhaft.
9. B handelte auch in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen, weil sich nach Bs Vorstellung durch das Umfahren des C eine verkehrsspezifische Gefahr realisieren sollte (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB).
Genau, so ist das!
Der Qualifikationstatbestand aus § 315b Abs.3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB liegt vor, wenn der Täter mit zielgerichtetem Willen handelt, durch die von ihm bewirkte Gefahrverwirklichung einen Unglücksfall herbeizuführen. Notwendig ist, dass sich nach der Vorstellung des Täters eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht.
B wollte den C mit dem Auto töten. Die vorgestellte Schädigung des C sollte auch auf die für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sein. B hat den Qualifikationstatbestand erfüllt.
10. A als Beifahrer könnte nicht nach § 315b Abs. 1 StGB strafbar sein, wenn es sich hierbei um ein eigenhändiges Delikt handelt. Kann die Sicherheit des Straßenverkehrs i.S.v. § 315b Abs. 1 StGB nur durch den Fahrzeugführer beeinträchtigt werden?
Nein, das trifft nicht zu!
Ein eigenhändiges Delikt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Täterschaft an eine bestimmte Ausführungshandlung gebunden ist, sodass das maßgebliche Unrecht in einem eigenen verwerflichen Tun liegt und nicht in erster Linie aus der Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts hergeleitet wird. Nach dem Wortlaut des § 315b Abs. 1 StGB kann die Sicherheit des Straßenverkehrs von jedermann beeinträchtigt werden. Die Tathandlungen der Nummern 1 bis 3 knüpfen - anders als diejenigen des § 315c StGB - nicht an ein tatbestandlich umschriebenes Verhalten an, das nur eigenhändig verwirklicht werden kann. § 315b Abs. 1 StGB kann grundsätzlich auch vom Beifahrer verwirklicht werden. Eine Strafbarkeit des A als Beifahrer kommt daher in Betracht.
11. Die Strafbarkeit des A nach § 315b Abs. 1 StGB scheitert jedoch daran, dass bei einem verkehrsfeindlichen Inneneingriff nur der Fahrzeugführer strafbar sein kann.
Nein!
BGH: Auch in der Fallkonstellation des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs komme der Beifahrer als tauglicher Täter in Betracht. Der spezifische Unrechtsgehalt einer solchen Tat liege dabei darin, dass das Fahrzeug nicht (mehr) als Mittel der Fortbewegung dient, sondern im fließenden Verkehr - gleich einem Fremdkörper - zur Verletzung oder Nötigung eines anderen eingesetzt wird. Deshalb könne es nicht mehr darauf ankommen, ob der Täter das Kfz dabei eigenhändig führt. Auch ein systematischer Vergleich mit § 315c StGB führe zu keiner anderen Bewertung. Beide Vorschriften hätten verschiedene Anknüpfungspunkte, sodass sich auch die Frage der möglichen Beteiligungsformen unterschiedlich stellen könne (RdNr. 16ff.).
12. Auch A hat sich wegen eines mittäterschaftlich begangenen qualifizierten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht (§§ 315b Abs. 1 Nr. 3, § 315b Abs. 3, § 315b Abs. 3 Nr. 1a StGB).
Genau, so ist das!
Zwar hat A das Fahrzeug nicht selbst geführt, jedoch kann ihm die Handlung des B im Rahmen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet werden. Wie bereits zuvor ausgeführt hatten A und B einen gemeinsamen Tatentschluss und haben bei der Ausführung arbeitsteilig zusammengewirkt. Auch die subjektiven Voraussetzungen sind erfüllt, insbesondere handelte A mit dem erforderlichen Schädigungsvorsatz und in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen. A und B haben sich damit eines versuchten Totschlag in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß §§ 212 Abs. 1, 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a), 22, 23, 52 StGB schuldig gemacht.