Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen - Senatsdivergenz
Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen - Senatsdivergenz
18. April 2025
7 Kommentare
4,7 ★ (24.986 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B „halten“ O zur Zwangsprostitution. Trotz Kenntnis ihrer akut psychotischen Symptomatik besprechen sie, keinen Arzt zu rufen. Sie nehmen Os Leid in Kauf, das mit Medikamenten schnell hätte gelindert werden können. O erbricht und krampft wiederholt, A und B besuchen sie abwechselnd.
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Einordnung des Falls
Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen - Senatsdivergenz
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. O wurde „körperlich misshandelt“ (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. A und B haben die zur Erfolgsabwehr objektiv gebotene Handlung unterlassen und dies war auch kausal für Os körperliche Misshandlung (§ 13 StGB).
Ja, in der Tat!
3. A und B haben sich als Garanten wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
Ja!
4. A und B könnten sich durch ihr Verhalten zudem wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen nach §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 StGB strafbar gemacht haben.
Genau, so ist das!
5. Nach der Rechtsprechung des zweiten Strafsenats kann der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht durch ein Unterlassen erfüllt werden.
Ja, in der Tat!
6. Der sechste Strafsenat hat sich dem zweiten Senat angeschlossen und die Anwendbarkeit des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB beim Unterlassen zweier Garanten verneint.
Nein!
7. Haben A und B nach Auffassung des sechsten Strafsenats die Qualifikation der gemeinschaftlichen, gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht (§§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Fräulein Cowds
19.5.2024, 22:51:48
kann man hier nicht auch über eine mittäterschaftliche Begehungsweise im Sinne eines kollusiven Zusammenwirkens nachdenken?
Y. M.
20.5.2024, 18:41:30
Soweit ich mich entsinne bedarf es des § 25 II StGB nur, wenn tatsächlich es einer Zurechnung fremder Tanzbeiträge bedarf. Aber hier haben ja beide Täter sämtliche Tanzbeiträge selbst begangen, sodass es I.E der Zurechnungsnorm gar nicht bedarf :)
Y. M.
20.5.2024, 18:42:08
Soweit ich mich entsinne bedarf es des § 25 II StGB nur, wenn tatsächlich es einer Zurechnung fremder Tatbeiträge bedarf. Aber hier haben ja beide Täter sämtliche Tatbeiträge selbst begangen, sodass es I.E der Zurechnungsnorm gar nicht bedarf :)
Leo Lee
21.5.2024, 10:50:09
Hallo Fräulein Cowds, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man auch hier die Mittäterschaft anprüfen, was in der Klausur auch näherliegender wäre (und je nachdem, wie der SV ausgestaltet wäre, an- bzw. abzulehnen wäre). Wir haben zunächst erstmal getrennt geprüft, damit wir den 224 I Nr. 4 besser erklären können (denn hier können sich ggf. die Ausführungen teilweise überschneiden) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
greet
15.1.2025, 18:01:10
Wie kann diese Entscheidung mit der Entscheidung des BGH vom 15.11.2023 zusammen gehen, die auch unter der
examensrelevanten Rechtsprechung zu finden ist? So wie ich das verstehe, kann nach der Entscheidung vom 15.11.2023 eine gemeinschaftliche Begehung nicht vorliegen, wenn die Täter nicht zeitgleich vor Ort sind. Wie kann dann ggf. eine gemeinschaftliche Begehung bei nicht zeitgleich anwesenden Garanten durch Unterlassen in Betracht kommen? Vielleicht übersehe ich auch etwas. Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen. Danke!
ehemalige:r Nutzer:in
21.1.2025, 10:26:32
Im Urteil wird darauf gesetzt, dass sie die Tat arbeitsteilig ausgeführt haben, also in Mittäterschaft §25 II StGB, anders als der zweite Strafsenat. Durch die Anwesenheit von beiden am Misshandlungsort (das Opfer wurde in die gemeinsame Garage gesperrt) und der abwechselnden missbräuchlichen Behandlung, ist (richtig erkannt) nicht gleich der Qualifizierungstatbestand erfüllt. Allerdings haben sich die beiden
konkludentdazu entschieden „Nichts“ zu tun, also eben NICHT den Notarzt zu rufen. Sie haben also gemeinsam die Unterlassungshndlung durch eine Vereinbarung getroffen und dadurch die Gefährlichkeit durch die Beteiligung erfüllt. Hoffe das hilft

Der BGBoss
4.4.2025, 23:48:57
Der 2. Senat hat festgestellt, dass die erhöhte Gefährlichkeit (Strafgrund des § 224 I Nr. 4) in deren Fall nicht gegeben war, weil durch das Nichts tun beider keine erhöhte Gefährlichkeit anzunehmen sei. In deren Fall ging es ums Verhungern und lakonisch zusammengefasst haben sie konstituiert "man kann nicht mehr oder weniger verhungern, egal ob einer oder zwei Täter einen nicht füttern". Hingegen hat der entscheidende Senat hier eine andere Konstellation angenommen. Er sieht hier eine Erhöhung der Gefährlichkeit aufgrund des "Gruppenzwanges". Die Absprache nicht tätig zu werden, erhöhe die Hemmschwelle doch einen Arzt zu rufen.