Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

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Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen - Senatsdivergenz

Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen - Senatsdivergenz

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B „halten“ O zur Zwangsprostitution. Trotz Kenntnis ihrer akut psychotischen Symptomatik besprechen sie, keinen Arzt zu rufen. Sie nehmen Os Leid in Kauf, das mit Medikamenten schnell hätte gelindert werden können. O erbricht und krampft wiederholt, A und B besuchen sie abwechselnd.

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Einordnung des Falls

Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen - Senatsdivergenz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O wurde „körperlich misshandelt“ (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Die Körperverletzung (§ 223 StGB) setzt eine körperliche Misshandlung und/oder eine Gesundheitsschädigung voraus. Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Psychische Auswirkungen werden nur dann vom Tatbestand der Körperverletzung erfasst, wenn die psychischen Empfindungen körperliche Auswirkungen haben. Durch das Erbrechen und die Krämpfe als Folge fehlender ärztlicher Hilfe ist Os Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Mithin liegt der tatbestandliche Erfolg in Form einer körperlichen Misshandlung vor.
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2. A und B haben die zur Erfolgsabwehr objektiv gebotene Handlung unterlassen und dies war auch kausal für Os körperliche Misshandlung (§ 13 StGB).

Ja, in der Tat!

Bei einem Unterlassen muss zudem geprüft werden, ob der Täter die zur Erfolgabwerht objektiv gebotene Handlung unterlassen hat, die ihm individuell und physisch-real möglich war. Dieses Unterlassen müsste für den Erfolgseintritt auch kausal gewesen sein. Ein Unterlassen ist für den Erfolgseintritt kausal, wenn die objektiv gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. A und B haben es unterlassen, ärztliche Hilfe für O zu konsultieren, was ihnen möglich gewesen wäre. Mit ärztlicher Hilfe hätte Os Leiden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schnell gelindert werden können, sodass es auch kausal für den Erfolgseintritt war.

3. A und B haben sich als Garanten wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

Ja!

Eine Straftat durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) kann nur durch einen Garanten begangen werden. Man unterscheidet zwischen Beschützer- und Überwachergaranten. Letztere kann sich unter anderem aus Ingerenz ergeben. Dafür muss der Täter durch ein objektiv pflichtwidriges Vorverhalten die Gefahr selbst geschaffen bzw. erhöht haben. A und B haben O zum Zwecke der Zwangsprostitution und damit rechtswidrig in ihrer Garage gehalten. Sie traf somit eine Garantenpflicht aus Ingerenz. Zudem ist ihnen der Erfolg objektiv zurechenbar und die Körperverletzung durch Unterlassen entspricht vorliegend auch einer solchen durch aktives Tun. Sie handelten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. Ebenso vertretbar ist es aufgrund Os Erkrankung eine Beschützergarantenstellung kraft tatsächlicher Übernahme anzunehmen. Der BGH machte zur Garantenstellung keine weiteren Ausführungen.

4. A und B könnten sich durch ihr Verhalten zudem wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen nach §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 StGB strafbar gemacht haben.

Genau, so ist das!

Nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich strafbar, wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Grund der Straferhöhung ist die gesteigerte Gefährlichkeit und damit erhöhte Verletzungsgefahr bei mehreren Angreifern.

5. Nach der Rechtsprechung des zweiten Strafsenats kann der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht durch ein Unterlassen erfüllt werden.

Ja, in der Tat!

Der 2. Strafsenat entschied einen Fall, in dem die Eltern als Garanten ihr Kind unterversorgten (BGH, NJW 2023, 2209, 2210). Eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB komme schon nicht in Betracht, wenn neben einem aktiv handelnden Täter eine passive Person am Tatort ist. Erst recht könne sich daher keine Strafbarkeit bei einem Unterlassen durch zwei Garanten ergeben. Auch der Normzweck spreche gegen eine Qualifikation der Körperverletzung beim Unterlassen zweier Garanten. Denn die Gefahren durch eine gemeinschaftliche Begehung bestünden nur, wenn bei der Begehung der Körperverletzung zwei oder mehr Beteiligte am Tatort anwesend sind und bewusst durch aktive Tatbeiträge mitwirken.

6. Der sechste Strafsenat hat sich dem zweiten Senat angeschlossen und die Anwendbarkeit des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB beim Unterlassen zweier Garanten verneint.

Nein!

Der 6. Senat stimmt mit dem 2. Senat teilweise überein und sieht den Tatbestand nicht allein durch das gleichzeitige Unterlassen mehrerer Garanten im Sinne einer reinen Nebentäterschaft erfüllt. Allerdings hält er eine gemeinschaftliche Begehung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch beim Unterlassen zweier Garanten nicht für gänzlich ausgeschlossen. Der Wortlaut sei diesbezüglich offen und Sinn und Zweck der Vorschrift stünden dem nicht entgegen. Voraussetzung sei jedoch, dass sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich/konkludent zu einem Nichtstun verabreden und mindestens zwei handlungspflichtige Garanten zumindest zeitweilig am Tatort präsent sind. Dann sei die erforderliche höhere Gefährlichkeit regelmäßig durch gruppendynamische Effekte gegeben (RdNr. 42). Trotz abweichender Rspr. hat der sechste Senat keine Divergenzanfrage (§ 132 Abs. 3 S. 1 GVG) an den zweiten Senat gestellt.

7. Haben A und B nach Auffassung des sechsten Strafsenats die Qualifikation der gemeinschaftlichen, gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht (§§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

A und B haben sich verständigt, keine ärztliche Hilfe zu holen. Zudem waren beide hin- und wieder nach O schauen und damit zeitweilig am Tatort präsent. Laut BGH haben beide sich an diese Verabredung gebunden gefühlt, sodass sie bis zuletzt keine professionelle Hilfe geholt haben (RdNr. 43). In der Orginalentscheidung ist O später verstorben. Da weder ein diesbezüglicher Vorsatz festgestellt werden konnte, noch, wer letztlich für den Tod verantwortlich war, schieden Tötungsdelikte aus. Jedoch lag eine Strafbarkeit wegen Zwangsprostitution (§ 232a StGB) vor.
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