Rechtsfehlerhafte Belehrung, § 52 Abs. 3 S. 1 StPO

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Landgericht verurteilt. Das Gericht stützt sich maßgeblich auf die Aussage der Stieftochter S des A. Das Gericht stellt fest, S sei mit A „nicht verwandt oder verschwägert” und belehrt sie nur über ihre Wahrheitspflicht.

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Einordnung des Falls

Rechtsfehlerhafte Belehrung, § 52 Abs. 3 S. 1 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bestimmte Angehörige eines Angeklagten haben das Recht, das Zeugnis gegen diesen zu verweigern (§ 52 StPO).

Ja!

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind die in § 52 Abs. 1 StPO genannten Personen berechtigt. Die Vorschrift trägt der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der der Zwangslage ausgesetzt wird, seinen Angehörigen belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen. Sie schützt also den Zeugen vor Konflikten zwischen prozessualer Wahrheitspflicht und engen sozialen Bindungen. Das Verweigerungsrecht setzt dabei nur die äußere Konfliktlage voraus. Der Zeuge muss den Widerstreit also nicht empfinden. Denn es besteht auch ein allgemeines Interesse daran, dass der Zeuge ohne seine bewusste Zustimmung nicht zur Aussage gegen einen Angehörigen gezwungen wird.
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2. Da S lediglich die Stieftochter ist, steht ihr kein Zeugnisverweigerungsrecht zu (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StPO, § 1590 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Verweigerung des Zeugnisses ist berechtigt, wer mit dem Angeklagten in gerader Linie verschwägert ist (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StPO). Verschwägert sind gemäß § 1590 BGB die Verwandten eines Ehegatten mit dem anderen Ehegatten. In der geraden Linie besteht das Weigerungsrecht – der Verwandtschaft entsprechend – ungeachtet des Grades der Schwägerschaft.Da S die Tochter der Ehefrau des A ist und damit mit ihm verschwägert, hat sie ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StPO.

3. Die Belehrung der S durch das Gericht genügte den gesetzlichen Anforderungen (§ 52 Abs. 3 S. 1 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht, das Zeugnis zu verweigern, zu belehren (§ 52 Abs. 3 S. 1 StPO).Das Gericht hat S nur über ihre Wahrheitspflicht, nicht aber über ihr Zeugnisverweigerungsrecht aufgeklärt. Es liegt ein Verstoß gegen § 52 Abs. 3 S. 1 StPO und damit ein Verfahrensfehler vor.Da es sich bei der Belehrung um eine „wesentliche Förmlichkeit“ der Hauptverhandlung handelt (§ 273 Abs. 1 StPO), ergibt sich das Unterlassen nach § 274 S. 1 StPO zwingend aus der negativen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls.

4. Da die Belehrungspflicht nur den Zeugen schützt, kann A die fehlerhafte Belehrung der S aber nicht in der Revision geltend machen.

Nein!

Zwar schützen § 52 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 StPO maßgeblich das Interesse des Zeugen. Auch der Angeklagte kann aber die unterbliebene Belehrung des Zeugen mit der Revision rügen, weil sein Rechtskreis unmittelbar berührt wird, wenn sich der Zeuge infolge Rechtsunkenntnis nicht frei entscheiden kann und seine Aussage Eingang in das Urteil findet. § 52 StPO schützt auch zugunsten des Angeklagten die Familienbande. Die Rüge hängt nicht davon ab, ob das Gericht schuldhaft oder unverschuldet nicht belehrt, da der gesetzmäßige Ablauf der Hauptverhandlung schlechthin schützenswert ist.A kann seine Revision darauf stützen, dass das Gericht die S nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrte. Da das Gericht sein Urteil maßgeblich auf die Aussage der S stützt, beruht das Urteil auch auf dem Verstoß (§ 337 Abs. 1 StPO).
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