Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeine Grundrechtslehren

Grundfall: Schutzpflichtendimension der Grundrechte 2 (bipolares Verhältnis)

Grundfall: Schutzpflichtendimension der Grundrechte 2 (bipolares Verhältnis)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M ist Mitarbeiter der Müll-Verbrenn-GmbH. Diese möchte Kosten sparen. Sie kündigt ihre alten Büroräume und bringt ihre Mitarbeiter fortan im akut einsturzgefährdeten Haus des Geschäftsführers G unter. M hat Angst um sein Leben und bittet die Polizei, etwas zu unternehmen.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Schutzpflichtendimension der Grundrechte 2 (bipolares Verhältnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Grundrechte beinhalten eine Schutzfunktion.

Ja!

Neben der negativen Abwehrfunktion und den positiven Funktionen auf Leistung, Teilhabe, Mitwirkung und Gleichberechtigung beinhalten die Grundrechte auch eine grundrechtliche Schutzfunktion. Grundrechte vermitteln den Grundrechtsträgern primär Schutz gegenüber dem Staat. Allerdings können Gefährdungen für grundrechtliche Gewährleistungen auch von Dritten ausgehen. Teilweise normiert bereits der Verfassungstext eine ausdrückliche Schutzpflicht (z.B. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zum Schutz der Menschenwürde). Das BVerfG anerkennt jedoch für alle Grundrechte eine staatliche Pflicht zum Schutz der grundrechtlichen Gewährleistungen vor Gefahren durch Dritte (sog. staatliche oder grundrechtliche Schutzpflicht).Schutzpflichten sollen den Bürger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen grundrechtlicher Gewährleistungen durch Dritte bewahren. Denn hier hilft die negative Abwehrfunktion, die der Bürger gegenüber dem Staat hat, nicht weiter. Der Staat ist nämlich nicht an der Beeinträchtigung beteiligt. Die Schutzfunktion wird notwendig, um die Rechtsgüter des Bürgers vor Dritten – anderen Bürgern, Unternehmen, ausländischen Staaten – zu schützen.
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2. M kann sich im Hinblick auf die Verpflichtung durch G, in einem maroden Büro zu arbeiten, auf die Schutzpflicht berufen.

Genau, so ist das!

Schutzpflichten schützen den Bürger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen grundrechtlicher Gewährleistungen durch Dritte sowie vor massenwirksamen Schicksalsschlägen, wie etwa Naturkatastrophen. Wie der Staat den Bürger davor schützt, ist in der Regel nicht durch das Grundgesetz vorgegeben. In der Rechtspraxis greifen Schutzpflichten primär dann ein, wenn es darum geht, Personen oder Unternehmen in die Schranken zu weisen, die durch ihr Verhalten andere gefährden.Indem G den M in einem akut einsturzgefährdeten Gebäude unterbringt, gefährdet G die Gesundheit und das Leben des M und beeinträchtigt damit die grundrechtlichen Gewährleistungen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Zum Schutz dieser Gewährleistungen vor G kann M sich gegenüber dem Staat auf die staatliche Schutzpflicht berufen. Vorsicht bei der Formulierung: Bei grundrechtlichen Schutzpflichten geht es um ein Dreiecksverhältnis, in dem der Staat einen Grundrechtsträger schützt vor Handlungen eines nicht-staatlichen Dritten. Dieser Dritte ist aber nicht an die Grundrechte gebunden – diese binden primär nur den Staat (Art. 1 Abs. 3 GG). Deshalb solltest Du nicht schreiben, dass der Dritte in die Grundrechte eines Grundrechtsträgers eingreift. Eine saubere Formulierung wäre z.B.: „Der Dritte gefährdet oder beeinträchtigt die grundrechtlichen Gewährleistungen des Grundrechtsträgers. Der Staat ist zum Schutz dieser Gewährleistungen verpflichtet.“ Wie der Staat seinen grundrechtlichen Schutzpflichten nachkommt, ist nicht einfach zu bemessen. Hier gelten deutlich weniger strenge Maßstäbe als bei den Abwehrrechten (sog. Untermaßverbot, dazu mehr später). Je größer die Gefährdung, desto stärker die Schutzpflicht. Im vorliegenden Fall kann der Staat seiner Schutzpflicht etwa nachkommen, indem er G die Nutzung des einsturzgefährdeten Gebäudes untersagt.
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