Referendariat

Die zivilrechtliche Urteilsklausur

Nebenintervention & Streitverkündung

Einstiegsfall zur Nebenintervention – rechtliches Interesse

Einstiegsfall zur Nebenintervention – rechtliches Interesse

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K erhebt Schadensersatzklage gegen V. Er hat bei einem Unfall mit einem Auto, das er bei V gekauft hat, einen Schaden erlitten. Er hält die Mangelhaftigkeit des Wagens für die Unfallursache. H, der das Auto hergestellt und V verkauft hat, erklärt in einem Schriftsatz seinen Beitritt zum Rechtsstreit zur Unterstützung des V. ‌

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Einordnung des Falls

Einstiegsfall zur Nebenintervention – rechtliches Interesse

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Durch den Beitritt zum Rechtsstreit wird H zum Nebenintervenient.

Genau, so ist das!

Ein Nebenintervenient bzw. Streithelfer, ist derjenige, der sich im eigenen Namen an einem fremden Rechtsstreit beteiligt, um eine der Parteien (sog. Hauptpartei) zu unterstützen, weil er ein rechtliches Interesse am Obsiegen dieser Partei hat (§ 66 Abs. 1 ZPO). Die Nebenintervention ist in den §§ 66-71 ZPO geregelt. H tritt dem Rechtsstreit in eigenem Namen bei, um V zu unterstützen. Er hat ein eigenes rechtliches Interesse daran, dass V obsiegt. Denn wenn K obsiegt, kann V unter Umständen Regressansprüche gegen ihn geltend machen. Die Vermeidung von künftigen Regressansprüchen stellt nur eine von mehreren Fallgruppen dar, in denen ein rechtliches Interesse iSd § 66 Abs. 1 ZPO bejaht wird.
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2. Der Beitritt des H ist nur wirksam, wenn der von ihm eingereichte Schriftsatz der Form des § 70 Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Beitritt eines Nebenintervenienten unterliegt bestimmten Voraussetzungen. Von Amts wegen wird geprüft, ob der Beitritt durch Schriftsatz erfolgt ist (§ 70 Abs. 1 S. 1 ZPO) und ob die Prozesshandlungsvoraussetzungen (Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, Postulationsfähigkeit) beim Beitretenden vorliegen. Nur auf einen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention hin (§ 71 Abs. 1 ZPO) ist dagegen zu prüfen, ob der Rechtsstreit zwischen den Parteien schon und noch anhängig ist (§ 66 Abs. 1 ZPO), ob der Beitretende ein rechtliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei hat (§ 66 Abs. 1 ZPO) und ob seine Beitrittserklärung den Formerfordernissen des § 70 Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht. Der Beitritt wurde durch Schriftsatz erklärt. Eine Zurückweisung der Nebenintervention wurde nicht beantragt, sodass die Einhaltung der Form nicht geprüft werden muss.

3. Nach seinem Beitritt darf H die Mangelhaftigkeit des Autos bestreiten.

Ja!

Der Nebenintervenient ist berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, insoweit diese nicht mit dem Prozessverhalten der Hauptpartei in Widerspruch stehen (§ 67 S. 1 HS 2 ZPO) und sie keine Verfügung über den Streitgegenstand beinhalten (Anerkenntnis, Klageänderung, Klagerücknahme, Verzicht, Erledigungserklärung, Aufrechnung, Vergleich). Die bloße Untätigkeit der Hauptpartei stellt noch kein im Widerspruch zur Prozesshandlung des Nebenintervenienten stehendes Verhalten dar. H kann als Nebenintervenient die Mangelhaftigkeit des Autos bestreiten. Das V dies bislang noch nicht getan hat, stellt insoweit kein widersprüchliches Prozessverhalten dar. Auch wird durch das Bestreiten nicht über den Streitgegenstand verfügt. Hätte V die Mangelhaftigkeit dagegen ausdrücklich zugestanden, könnte K diese nicht mehr bestreiten.

4. Wenn V antragsgemäß verurteilt wird, und anschließend H auf Schadensersatz verklagt, kann H in diesem Prozess die Mangelhaftigkeit des Autos grundsätzlich erneut bestreiten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 68 Hs. 1 ZPO wird der Nebenintervenient im Folgeprozess mit der Behauptung nicht gehört, dass der Rechtsstreit im Vorprozess unrichtig entschieden worden sei. Dies bedeutet, dass die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen im Vorprozess grundsätzlich auch im Folgeprozess als richtig und feststehend betrachtet werden, soweit sie für die Hauptpartei günstig sind. Diese sog. Interventionswirkung tritt ein, wenn (1) im Vorprozess der Beitritt eines Nebenintervenienten erfolgte und nicht zurückgewiesen wurde, (2) der Vorprozess durch ein formell rechtskräftiges Urteil abgeschlossen wurde und (3) nun ein Folgeprozess zwischen der Hauptpartei und dem Nebenintervenienten stattfindet. V wird nur dann antragsgemäß verurteilt, wenn das Gericht zum Ergebnis kommt, dass das Auto mangelhaft war. In einem Folgeprozess kann H daher die Mangelhaftigkeit des Autos grundsätzlich nicht mehr bestreiten.

5. Besteht grundsätzlich eine Möglichkeit des Nebenintervenient die Interventionswirkung im Folgeprozess wieder zu beseitigen?

Ja, in der Tat!

Der Nebenintervenient kann die Interventionswirkung beseitigen, indem er die Einrede der mangelhaften Prozessführung erhebt. Hierfür müsste er darlegen und beweisen, dass er im Vorprozess durch das Verhalten der Hauptpartei gehindert war, diejenigen Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, die er nun im Folgeprozess geltend machen möchte (vgl. § 68 Hs. 2 ZPO).Dies betrifft insbesondere den Fall, dass er an der Geltendmachung gehindert war, weil er sich sonst in Widerspruch zur Hauptpartei begeben hätte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo

Nocebo

23.5.2024, 12:13:04

Wird wirklich von Amts wegen geprüft, ob die Schriftform gewahrt wurde? In den einschlägigen Kommentaren steht, dass nur die Prozesshandlungsvoraussetzungen (also

Postulationsfähigkeit

etc.) von Amts wegen geprüft werden. So auch der BGH: "(...) Beitritt eines Nebenintervenienten nicht nur gem. § 70 I 1 ZPO durch Schriftsatz zu erfolgen hat, sondern er als Prozesshandlung zugleich in der Person des Nebenintervenienten das Vorliegen der allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen, unter anderem auch der

Postulationsfähigkeit

, erfordert. LETZTERES ist von Amts wegen festzustellen. Liegen die allgemeinen PROZESSHANDLUNGSVORAUSSETZUNGEN nicht vor, ist die Nebenintervention durch (anfechtbaren) Beschluss zurückzuweisen." (NJW 2012, 2810 Rn. 6, beck-online)

Nocebo

Nocebo

23.5.2024, 12:21:32

"Die sachlichen Voraussetzungen der Nebenintervention und die in § 70 genannten Förmlichkeiten werden hingegen nur auf Antrag im Verfahren des § 71 überprüft." (BeckOK ZPO/Dressler/von Selle, 52. Ed. 1.3.2024, ZPO § 71 Rn. 1) Wäre sehr dankbar, wenn eine Antwort erfolgen würde :)

lambogallardo

lambogallardo

22.7.2024, 18:47:18

So auch im Thomas/Putzo - § 70 Rn. 6 Sehr aufmerksam @[Nocebo](222699)!


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