Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Widerspruchsverfahren bei Erledigung vor Klageerhebung?

Widerspruchsverfahren bei Erledigung vor Klageerhebung?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aktivistin A filmt auf einer Demonstration, wie Polizeibeamte Pfefferspray gegen andere Teilnehmende einsetzt. Polizist P fordert A auf, ihm ihre Kamera zu geben. P löscht das Video und gibt A die Kamera zurück. A will sich das nicht gefallen lassen.

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Einordnung des Falls

Widerspruchsverfahren bei Erledigung vor Klageerhebung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ps Aufforderung, die Kamera an ihn herauszugeben, war zunächst ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG).

Genau, so ist das!

Die Merkmale eines Verwaltungsakts ergeben sich aus § 35 S. 1 VwVfG. Ge- und Verbote einer Behörde sind klassischerweise Verwaltungsakte. Die Aufforderung des P an A, die Kamera herauszugeben erfüllt als Gebot alle Merkmale eines Verwaltungsakts.
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2. Der Verwaltungsakt hat sich mit der Herausgabe der Kamera an A erledigt (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Ist trotzdem die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft?

Nein, das trifft nicht zu!

Erledigt sich der Verwaltungsakt während des Verfahrens, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage als Verlängerung der Anfechtungsklage statthaft (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Sie ist analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auch statthaft, wenn sich der Verwaltungsakt vor Klageerhebung erledigt. Ein Verwaltungsakt hat sich erledigt, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen, insbesondere wenn die von ihm ausgehende tatsächliche oder rechtliche Beschwer nachträglich entfällt. (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Das Gebot, die Kamera herauszugeben, hat spätestens in dem Moment keinerlei Rechtswirkung mehr entfaltet, als P der A die Kamera zurück gegeben hat. Statthaft ist wegen der Erledigung vor Klageerhebung die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).

3. Es ist umstritten, ob vor Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage ein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist.

Ja!

§ 68 VwGO ordnet eine vorherige Durchführung eines Vorverfahrens nur bei Erhebung der Anfechtungsklage (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) und Verpflichtungsklage (§ 68 Abs. 2 VwGO) an. Gegenstand des Vorverfahrens ist nach § 68 VwGO immer ein (wirksamer) Verwaltungsakt. Erledigt sich der Verwaltungsakt vor Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage (und wird damit unwirksam), hält ein Teil der Lit. ein die Durchführung eines Vorverfahrens auch für erforderlich. Dagegen hält die Rspr. und ein anderer Teil der Lit. die Durchführung eines Vorverfahrens für nicht geboten und daher auch für nicht zulässig. Ausgangspunkt für den Streit sind die verschiedenen Zwecke des Widerspruchsverfahrens: Einige sprechen für, andere gegen die Notwendigkeit eines Fortsetzungsfeststellungswiderspruchs. Dazu gleich mehr!

4. Für die Durchführung eines Fortsetzungsfeststellungswiderspruchs spricht die Selbstkontrolle der Behörde.

Genau, so ist das!

Nach einer Ansicht in der Lit. ist vor Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Die Widerspruchsbehörde könne der Beschwer zwar nicht mehr abhelfen, da sich diese erledigt hat. Sie könne aber, statt den Abhilfebescheid zu erlassen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen (vgl. § 44 Abs. 5 VwVfG). Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens sei auch deswegen sinnvoll, damit die Behörde im Sinne einer Selbstkontrolle aus ihren Fehlern lernen könne. Eine Feststellung der Rechtswidrigkeit durch die Behörde könne zudem die Gerichte entlasten.Nach dieser Ansicht müsste A gegen Ps Handeln auch einen Widerspruch einlegen, wenn A klagen möchte.

5. Nach Ansicht der Rspr. ist Zweck des Widerspruchsverfahrens gerade nicht, dass die Behörde die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts feststellt (vgl. § 68 VwGO).

Ja, in der Tat!

Gegen die Statthaftigkeit eines Fortsetzungsfeststellungswiderspruchs führt die Rspr. und Teile der Lit. an, das Widerspruchsverfahren sei lediglich auf die Aufhebung bzw. den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet. Das Widerspruchsverfahren erfülle keinen Selbstzweck und sei nur dann sinnvoll, wenn die Behörde den Verwaltungsakt noch aufheben kann. Zudem habe eine Feststellung der Rechtswidrigkeit durch die Behörde nicht diesselbe Bindungswirkung wie ein Feststellungsurteil. Dieses gewährleiste wegen § 121 VwGO und Art. 20 Abs. 3 GG einen stärkeren Rechtsschutz für den Bürger. Tritt die Erledigung des Verwaltungsakts während eines laufenden Widerspruchsverfahrens ein, ist aus denselben Gründen das Verfahren einzustellen und die Klageerhebung zulässig. Das Problem zu kennen, ist wie immer fast die ganze Miete. Klausurtaktisch wird es sich wahrscheinlich meistens anbieten, die Notwendigkeit des Vorverfahrens abzulehnen.
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