Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Fortsetzungsfeststellungswiderspruch bei Erledigung während des Widerspruchsverfahrens

Fortsetzungsfeststellungswiderspruch bei Erledigung während des Widerspruchsverfahrens

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Baubehörde B erlässt gegenüber Prinzessin P eine wirksame Abrissverfügung für Ps illegal errichtete Schloss. Hiergegen legt P Widerspruch ein. Noch bevor B über den Widerspruch entscheiden kann, brennt Ps Schloss vollständig ab.

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Einordnung des Falls

Fortsetzungsfeststellungswiderspruch bei Erledigung während des Widerspruchsverfahrens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Gegenstand von Ps Widerspruch war zunächst ein wirksamer Verwaltungsakt.

Ja!

Das Widerspruchsverfahren hat grundsätzlich immer einen Verwaltungsakt zum Gegenstand. Der Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) ist statthaft, wenn die Widerspruchsführerin die Aufhebung eines ergangenen Verwaltungsakts begehrt. Der Verpflichtungswiderspruch richtet sich gegen den Ablehnungsbescheid (= Verwaltungsakt), wenn die Behörde den Erlass eines durch die Widerspruchsführerin beantragten Verwaltungsakt ablehnt (§ 68 Abs. 2 VwGO). As Widerspruch richtete sich zunächst gegen die Abrissverfügung (vgl. z.B. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW, § 79 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 4 NBauO). Diese ist ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG). A hat Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) erhoben.
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2. Weil P Widerspruch gegen die Abrissverfügung eingelegt hat, ist diese – nach h.M. – unwirksam (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG) geworden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Widerspruch entfaltet einen Suspensiveffekt (§ 80 Abs. 1 VwGO). Nach ganz h.M. bleibt der angegriffene Verwaltungsakt aber trotzdem wirksam (sog. Vollziehbarkeitstheorie). Der Widerspruch subspendiert lediglich die rechtlichen Wirkungen des angegriffenen Verwaltungsakts, sodass dieser nicht vollzogen werden kann. Nach a.A. ist die Wirksamkeit des angegriffenen Verwaltungsakts für die Dauer der aufschiebenden Wirkung beseitigt (sog. Wirksamkeitstheorie). Der angegriffene Verwaltungsakt wird also so behandelt, als ob er überhaupt nicht erlassen worden wäre. Nach ganz h.M. blieb die Abrissverfügung trotz Ps Widerspruch zunächst wirksam.

3. Ps Schloss ist vollständig abgebrannt. Bleibt die Abrissverfügung trotzdem weiterhin wirksam (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Erledigung bedeutet, dass der Verwaltungsakt nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen, insbesondere wenn die von ihm ausgehende tatsächliche oder rechtliche Beschwer nachträglich entfällt. Das ist z.B dann der Fall, wenn das Bezugsobjekt der Regelung wegfällt. Die Regelung bezog sich hier darauf, dass Ps Schloss beseitigt wird. Das Schloss (= Bezugsobjekt der Regelung) existiert inzwischen nicht mehr. Ein Abriss ist damit unmöglich. Der Verwaltungsakt entfaltet keinerlei rechtliche Wirkung mehr und hat sich damit erledigt.

4. Trotz der Erledigung der Abrissverfügung möchte P, dass B feststellt, dass diese rechtswidrig war. Ob eine solche „Umstellung“ des Widerspruchs möglich ist, ist umstritten.

Ja!

Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens muss grundsätzlich ein (wirksamer) Verwaltungsakt sein (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO). Erledigt sich ein Verwaltungsakt während des Widerspruchsverfahrens und wird dadurch unwirksam, so stellt sich die Frage, ob die Behörde trotzdem weiter die Zweck- und Rechtmäßigkeit des ehemals wirksamen Verwaltungsakts überprüfen und einen entsprechen Bescheid erlassen kann oder sogar muss. Die Möglichkeit, einen Anfechtungswiderspruch in einen „Fortsetzungsfeststellungswiderspruch“ (analog zu § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) umzustellen, ist umstritten. Nach einer in der Lit. stark vertretenen Ansicht soll die Behörde dies selbst nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden können.

5. P teilt B, dass sie möchte, dass B die Zweck- und Rechtmäßigkeit der ehemals wirksamen Abrissverfügung überprüft. Ist B verpflichtet, dies zu tun?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach einer in der Literatur stark vertretenen Ansicht soll die Widerspruchsbehörde, ein Ermessen haben, ob sie dem entsprechenden Begehren der Widerspruchsführerin nachkommt oder das Widerspruchsverfahren einstellt. Dagegen müsse die Behörde, nach Ansicht der Rechtsprechung, das Verfahren zwingend einstellen, wenn sich der Verwaltungsakt erledigt. Es sei nicht die Aufgabe der Behörde, eine Rechtswidrigkeit verbindlich festzustellen. Nach der Lit. Ansicht hat B ein Ermessen, wie sie mit P Begehren umgeht. Nach der Rspr. müsste B das Widerspruchsverfahren zwingend einstellen.

6. Wenn B nach pflichtgemäßen Ermessen über Ps „Umstellung des Widerspruchs“ entscheidet, muss B vor allem berücksichtigen, ob P ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hat.

Ja, in der Tat!

Lit.: Bei der Ausübung des Ermessens (§ 40 VwVfG) bei der Entscheidung, ob die Behörde dem Begehren der Widerspruchsführerin nachkommt oder das Verfahren einstellt, muss die Behörde vor allem berücksichtigen, ob die Widerspruchsführerin ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hat. Ein berechtigtes Interesse der P käme z.B. dann in Betracht, wenn P noch weitere illegal errichtete Häuser hätte. Dies ist hier nicht ersichtlich. Wenn B das Widerspruchsverfahren einstellt, dürfte darin wohl kein Ermessensfehler liegen. Zudem entspräche dieses Vorgehen der in der Rspr. vertretenen Ansicht. Die zu § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO gebildeten Fallgruppen lassen sich auf die Situation des Widerspruchs nicht eins zu eins übertragen, können gleichwohl eine Orientierung geben.
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