+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
F begleitet T, der mit O zum Kampf verabredet ist. T fordert O zum Einzelkampf auf und spricht Todesdrohungen aus. Da will F mitkämpfen und startet die Schlägerei mit einem Schlag in Os Gesicht. Dann sticht T dem O ein Messer, von dem F wusste, in den Oberkörper. O verblutet wegen der entstandenen Herzverletzung.
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Einordnung des Falls
Stillschweigendes Einvernehmen kann Mittäterschaft begründen (BGH, Beschl. vom 10.04.2024 – 5 StR 85/24)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Später stellt sich heraus, dass T keinen Tötungsvorsatz hatte. Könnte sich T aber wegen einer gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht haben (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 227 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
§ 227 Abs. 1 StGB setzt als Grunddelikt eine vorsätzliche Körperverletzung (§§ 223-226a StGB) voraus. Dazu kommt als weitere Voraussetzung die Todesverursachung des Opfers durch die Körperverletzung. Weil das qualifizierende (= strafschärfende) Merkmal der Tod des Verletzten ist, also ein besonderer Erfolg, spricht man von einem erfolgsqualifizierten Delikt. Es reicht aus, dass die schwere Folge fahrlässig verursacht wird (§ 18 StGB).
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2. Indem T dem O mit dem Messer eine Herzverletzung zufügt, hat er ihn körperlich misshandelt (§ 223 Abs. 1 StGB).
Ja!
Unter die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) fallen die körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) und die Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB). Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.
Indem T auf O mit dem Messer eingestochen hat, hat er ihn übel und unangemessen behandelt und dadurch Os Wohlbefinden und körperliche Unversehrtheit mehr als unerheblich beeinträchtigt.
3. Das Messer ist ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB.
Genau, so ist das!
Wer die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begeht, macht sich wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB). Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (potentielle Gefährlichkeit).
Ein Messer, das dazu genutzt wird, es einem anderen in den Oberkörper zu stechen, ist dazu geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es ist als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB zu klassifizieren.
4. O wäre auch ohne die gefährliche Körperverletzung durch T infolge der Herzverletzung verblutet und somit gestorben.
Nein, das trifft nicht zu!
§ 227 StGB setzt als schwere Folge den Tod der verletzten Person voraus. Dieser qualifizierende Erfolg muss „durch die Körperverletzung“ verursacht worden sein (Stichwort Kausalität). Kausal im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
O ist Tod, damit ist die schwere Folge eingetreten. Zudem war die Körperverletzung des T auch kausal für Os Tod. Hätte T den O nicht mit dem Messer in den Oberkörper gestochen, hätte O keine solche Herzverletzung erlitten, an der er später verblutet ist.
5. Os Tod hat sich gerade aus der Herzverletzung ergeben. Liegt damit i.R.d. § 227 StGB geforderte tatbestandsspezifische Gefahrenzusammenhang vor?
Ja!
Über die bloße Kausalität hinaus muss zwischen der Körperverletzung und der schweren Folge ein spezifischer Gefahrenzusammenhang bestehen, um den erheblichen Strafrahmensprung gegenüber § 223 StGB und § 222 StGB zu legitimieren.
Nach der von der h.L. vertretenen Letalitätstheorie muss sich der tödliche Erfolg dafür gerade aus dem Körperverletzungserfolg entwickeln.
Der Rechtsprechung und Teilen der Literatur genügt hingegen, wenn sich im Todeserfolg die spezifische Lebensgefahr der grunddeliktischen Körperverletzungshandlung verwirklicht.
Die durch T herbeigeführte Herzverletzung (= Körperverletzungserfolg) hat zu Os Tod geführt. Der spezifische Gefahrenzusammenhang liegt also nach beiden Ansichten vor; ein Streitentscheid ist entbehrlich.
6. Der tödliche Ausgang war für T vorhersehbar (§ 18 StGB). Scheidet eine Strafbarkeit des Ts nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 227 Abs. 1 StGB trotzdem aus?
Nein, das ist nicht der Fall!
Für eine Strafbarkeit nach § 227 StGB ist erforderlich, dass den Täter hinsichtlich der schweren Folge wenigstens der Vorwurf der Fahrlässigkeit (§ 18 StGB) trifft. Der tödliche Ausgang muss also für den Täter vorhersehbar gewesen sein. Weiterhin muss der Täter rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.
Es liegt nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung, dass ein Stich in die Herzregion Verletzungen verursacht, die tödlich enden. Damit ist der objektive Fahrlässigkeitsvorwurf zu bejahen. T handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
7. F hat sich durch den Faustschlag in Os Gesicht wegen einer einfachen Körperverletzung strafbar gemacht (§ 223 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Unter die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) fallen die körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) und die Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB). Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.
Ein Faustschlag ins Gesicht ist eine üble und unangemessene Behandlung, mit der F das körperliche Wohlbefinden es des O nicht nur unerheblich beeinträchtigt. F hat O mithin körperlich misshandelt. Zudem handelte er vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
8. Rechnet man F die Handlungen des T in Form von Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zu, könnte auch F sich wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) strafbar gemacht haben.
Ja!
Begehen mehrere eine Straftat gemeinschaftlich, wird jeder als Täter bestraft (§ 25 Abs. 2 StGB). Die Mittäter müssen sich ihre wechselseitigen Tatbeiträge je für sich zurechnen lassen, als ob sie die Tat vollständig in eigener Person verwirklicht hätten. Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB setzt
(1) eine gemeinsame Tatausführung (mit wesentlichen Tatbeiträgen) sowie
(2) einen Entschluss zur gemeinsamen, arbeitsteilig auf vergleichbarer Augenhöhe begangenen Tat voraus.
Auch wenn F die Messerstiche zwar nicht eigenhändig ausgeführt hat, könnten ihm die Handlungen des T in Form von Mittäterschaft zugerechnet werden und F wäre ebenfalls wegen einer gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 227 Abs. 1 StGB) strafbar. Die Voraussetzungen der Mittäterschaft kannst Du in unserem Kurs zum Strafrecht AT wiederholen! 9. F hat zunächst einen wesentlichen Tatbeitrag geleistet, indem er die Schlägerei mit dem Schlag in Os Gesicht eröffnete.
Genau, so ist das!
Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB setzt zunächst eine eine gemeinsame Tatausführung voraus. In Rspr. und Lit. wird der objektive Tatbeitrag nach verschiedenen Kriterien ermittelt. Nach der Rspr. wird das mittäterschaftliches Verhalten durch eine Gesamtschau zahlreicher objektiver und subjektiver Faktoren ermittelt (normative Kombinationstheorie). Nach der h.A. in der Lehre muss der Beitrag des Mittäters funktionelle Tatherrschaft begründen. Dies setzt voraus, dass er einen wesentlichen Tatbeitrag für die Gesamttat leistet. F eröffnete die Schlägerei mit einem Schlag ins Gesicht des O. Diese Handlung war für die Gesamttat wesentlich. Auch nach einer normativen Gesamtbetrachtung ist davon auszugehen, dass F an der Tat als Täter, nicht bloß als Gehilfe mitwirken wollte.
10. In subjektiver Hinsicht reicht es nach der Rspr. des BGH aus, wenn sich der Mittäter dem Tatplan stillschweigend anschließt. Hat F sich sich dem (gesamten) Tatplan des T stillschweigend angeschlossen?
Ja, in der Tat!
Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB setzt in subjektiver Hinsicht einen Entschluss zur gemeinsamen, arbeitsteilig auf vergleichbarer Augenhöhe begangenen Tat voraus.
Es stellt sich die Frage, ob die gesamte Tatausführung durch T, bis hin zum tödlichen Messerstich, von einem gemeinsamen Tatplan umfasst und dem F damit zuzurechnen ist.
BGH: Die letztlich zum Tode des O führenden Handlungen von T seien vom stillschweigendem Einverständis des F gedeckt gewesen. Dies beruhe auf einer Gesamtschau aus dem Verhalten des F, seiner Kenntnis von der Bewaffnung des T und von dessen Todesdrohungen.
Indem F den O unter diesen Umständen zuerst angriff, habe er sich dem Tatplan des T stillschweigend angeschlossen und auch den Messereinsatz gebilligt (RdNr. 6).
11. F handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. Hat F sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge in Mittäterschaft strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 227 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB)?
Ja!
Durch den Faustschlag in Os Gesicht hat T einen wesentlichen Tatbeitrag zu Ts gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge geleistet (§ 25 Abs. 2 StGB). Zudem war die gesamte Tat, bis hin zum tödlichen Stich des Ts von einem (stillschweigenden) gemeinsamen Tatplan gedeckt. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.
F und T haben sich zudem wegen Beteiligung an einer Schlägerei gemäß § 231 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Die gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge steht hiermit in Tateinheit. Fs Strafbarkeit nach § 223 Abs. 1 StGB wird durch die Verwirklichung der spezielleren Norm (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 227 Abs. 1 StGB) verdrängt.