1. B hat erfolglos den Rechtsweg bestritten und erhebt Verfassungsbeschwerde. Vor der Entscheidung stirbt er. Ist seine Verfassungsbeschwerde deswegen unzulässig?
Nein, das trifft nicht zu!
Das Gesetz bestimmt nicht, welche Folgen der Tod des Beschwerdeführers auf ein anhängiges Verfassungsbeschwerdeverfahren hat. Auch wenn die Verfassungsbeschwerde, das der Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte des Beschwerdeführers dient, sich regelmäßig im Falle seines Todes erledigt, gelte dieser Grundsatz nicht ausnahmslos (RdNr. 43).
BVerfG: Die Entscheidung soll über die höchstpersönliche Betroffenheit des B hinaus Klarheit über die Rechtslage für Meinungsäußerungen schaffen und habe demnach allgemeine verfassungsrechtliche Bedeutung. Da die Verfassungsbeschwerde auch die Funktion hat, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden, könne das BVerfG trotz B’s Tod über die Verfassungsbeschwerde entscheiden (RdNr. 44).
Zudem berücksichtigte das BVerfG, dass B einen langen Rechtsweg (Eil- und Hauptrechtsschutz durch je drei Instanzen) bestritten hat und die Sache vor dem BVerfG entscheidungsreif war.
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2. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet jedem das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten.
Ja!
Meinungen sind dabei durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend. Insofern lassen sie sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (RdNr. 49).
3. Die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts stellt die grundgesetzliche Ordnung radikal infrage und fällt damit von vornherein nicht unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
Nein, das ist nicht der Fall!
BVerfG: Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Zwar baut das GG auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, es erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Demnach erfasst Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen. Denn das GG vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien (RdNr. 49f.).
4. § 130 Abs. 4 StGB greift in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein.
Ja, in der Tat!
Ein Eingriff ist jedes staatlich-zurechenbare Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert
Gemäß § 130 Abs. 4 wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Demnach wird das Verbreiten dieser Meinungen unter Strafe gestellt und damit erschwert. Ein Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG liegt vor.
5. Vorschriften der allgemeinen Gesetze können einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen (Art. 5 Abs. 2 GG).
Ja!
Jeder Grundrechtseingriff bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (sog. qualifizierter Gesetzesvorbehalt). Nach der sog. Kombinationslehre des BVerfG sind allgemeine Gesetze solche, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann.
Die Kombinationslehre des BVerfG ist eine Vereinigung der früher vertretenen Sonderrechts – und der Abwägungslehre.
6. Gesetze, die an den Inhalt einer Meinungsäußerung anknüpfen, stellen nie ein allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG dar.
Nein, das ist nicht der Fall!
Knüpft die Norm an den Inhalt der Meinungsäußerung an, kommt es darauf an, ob die sie dem Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsguts dient. Ist dies der Fall, ist in der Regel zu vermuten, dass das Gesetz nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet ist, sondern meinungsneutral-allgemein auf die Abwehr von Rechtsgutsverletzungen zielt. Allerdings garantiert die Tatsache, dass ein meinungsbeschränkendes Gesetz ein anerkanntes Rechtsgut schützt, dessen Allgemeinheit nicht für jeden Fall, sondern ist lediglich Indiz für die Wahrung rechtsstaatlicher Distanz und die Einhaltung des Gebots der Meinungsneutralität (RdNr. 55f.).
Davon ausgehend hat das BVerfG Straftatbestände wie §§ 90a, 185 StGB oder § 130 StGB a.F. als allgemeine Gesetze beurteilt.
7. An der Allgemeinheit eines Gesetzes fehlt es, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst ist und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen richtet.
Ja, in der Tat!
Gesetze zum Schutz von Rechtsgütern seien nur allgemein, wenn sie sich bei der gebotenen Gesamtsicht als abstrakt vom Rechtsgut her gedacht erweisen und ohne Ansehung konkret vorfindlicher Auffassungen ausgestaltet sind. Hierzu gehöre eine hinreichend allgemein gefasste Formulierung der Verletzungshandlung und der geschützten Rechtsgüter, die sicherstellt, dass die Norm im politischen Kräftefeld als gegenüber verschiedenen Gruppierungen offen erscheint. Die Allgemeinheit des Gesetzes verbürgt damit entsprechend dem Benachteiligungsverbot wegen politischer Anschauungen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) für Eingriffe in die Meinungsfreiheit ein spezifisches und striktes Diskriminierungsverbot gegenüber bestimmten Meinungen(RdNr. 59).
8. Ausgehend von diesem Maßstab ist § 130 Abs. 4 StGB ein allgemeines Gesetz.
Nein!
BVerfG: § 130 Abs. 4 dient zwar dem öffentlichen Frieden, einem auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsgut. Jedoch zeigten Wortlaut und Entstehungsgeschichte, dass die Vorschrift diesen Schutz nicht in inhaltsoffener, allgemeiner Art ausgestaltet, sondern allein auf Meinungsäußerungen bezogen ist, die eine bestimmte Haltung zum Nationalsozialismus ausdrücken. Sie sei nicht blind gegenüber vorfindlichen Grundpositionen, sondern normiere bereits im Tatbestand konkret-standpunktbezogene Kriterien. Damit § 130 Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz, sondern Sonderrecht(RdNr. 62).
9. Art. 5 Abs. 2 sieht als weitere Schranken der Meinungsfreiheit Gesetze zum Schutz der Jugend und der persönlichen Ehre vor. Solche Gesetze müssen nicht allgemein sein.
Nein, das ist nicht der Fall!
Das Erfordernis der Allgemeinheit verbietet Sonderrecht. Es gewährleistet damit einen Schutz vor Diskriminierung in Anknüpfung an bestimmte Meinungen und politische Anschauungen, und sichert damit rechtsstaatliche Distanz zum Schutz der Meinungsfreiheit. Nach diesem Verständnis muss das Sonderrechtsverbot allgemein gelten und sich auf alle meinungsbeschränkenden Gesetze erstrecken. Gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend oder der persönlichen Ehre unterliegen dem Gebot der Allgemeinheit deswegen ebenso wie solche zum Schutz anderer Rechtsgüter (RdNr. 63).
Nach dieser Auslegung kommen den beiden anderen Schranken, Gesetze zum Schutz der Jugend und Gesetze zum Schutz der persönlichen Ehre kaum eigenständige Bedeutung zu.
10. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG enthalten eine immanente Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes von 1933 bis 1945 Grenzen setzen.
Ja, in der Tat!
BVerfG: Das menschenverachtende Regime, das über die Welt Leid, Tod und Unterdrückung in unermesslichem Ausmaß gebracht hat, hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist und allein auf der Grundlage allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht eingefangen werden kann (RdNr. 65).
Somit sei § 130 Abs. 4 StGB deshalb nicht verfassungswidrig, weil er eine Sonderbestimmung ist, die allein die Bewertung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zu ihrem Gegenstand hat (RdNr. 66).
Zugleich betont das BVerfG aber auch, dass das GG kein antinationalsozialistisches Grundprinzip kennt, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte (RdNr. 67).
11. Um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit zu rechtfertigen, muss § 130 Abs. 4 StGB verhältnismäßig sein.
Ja!
Auch wenn die nach Art. 5 Abs. 1 und 2 GG anzuerkennende Ausnahme von dem Allgemeinheitserfordernis dem Gesetzgeber erlaube, für Meinungsäußerungen, die eine positive Bewertung des nationalsozialistischen Regimes in ihrer geschichtlichen Realität zum Gegenstand haben, gesonderte Bestimmungen zu erlassen, müssten diese Bestimmungen verhältnismäßig sein. Hierbei müssten sie strikt an einem veräußerlichten Rechtsgüterschutz, nicht aber einer inhaltlichen Bewertung der betroffenen Meinung orientiert sein (RdNr. 68).
§ 130 Abs. 4 muss daher einen legitimen Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein.
12. Bei der Beurteilung, ob der mit § 130 Abs. 4 StGB verfolgte Zweck legitim ist und damit einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, ist die Wechselwirkungslehre zu beachten.
Genau, so ist das!
Welche Zwecke legitim sind, hängt vom jeweiligen Grundrecht ab, in das eingegriffen wird. Nicht legitim ist insbesondere eine Aufhebung des in dem jeweiligen Grundrecht enthaltenen Freiheitsprinzips als solchen. Für die Meinungsfreiheit findet dies in der Wechselwirkungslehre seinen spezifischen Ausdruck: Zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die allgemeinen Gesetze zwar Schranken setzen, diese aber ihrerseits wieder im Licht dieser Grundrechtsverbürgungen bestimmt werden müssen. Die Schranken der Meinungsfreiheit dürfen deren substanziellen Gehalt nicht infrage stellen. Dies gilt für die Auslegung ebenso wie für das beschränkende Gesetz und die mit ihm verfolgten Zwecke selbst (RdNr. 71).
13. Der Gesetzgeber darf die Äußerung von Meinungen, die er für gefährlich hält, verbieten.
Nein, das trifft nicht zu!
BVerfG: „Die Absicht, Äußerungen mit schädlichem oder in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlichem Inhalt zu behindern, hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist illegitim.“ Demnach ist allein die Gefährlichkeit von Meinungen als solche kein Grund, diese zu beschränken. Soweit der Gesetzgeber aber darauf zielt, Meinungsäußerungen insoweit einzuschränken, als mit ihnen die Schwelle zur individualisierbaren, konkret fassbaren Gefahr einer Rechtsverletzung überschritten wird, verfolgt er einen legitimen Zweck (RdNr. 72f.).
14. Der Gesetzgeber hat § 130 Abs. 4 StGB auf den Schutz des öffentlichen Friedens gestützt. Ist dies nach den Maßstäben ein legitimer Zweck für Eingriffe in die Meinungsfreiheit?
Ja!
BVerfG: Wenn man öffentlichen Frieden als Gewährleistung von Friedlichkeit verstehe, sei dieser einlegitimer Zweck für Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Ziel sei hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt sind. Es gehe also um einen vorgelagerten Rechtsgüterschutz, der an sich abzeichnende Gefahren anknüpft. Nicht tragfähig für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit sei dagegen ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen zielt (RdNr. 77f.).
Da der Gesetzgeber § 130 Abs. 4 StGB allein auf den Schutz des öffentlichen Friedens gestützt habe, hat das BVerfG die Frage, ob die Norm auch auf den Schutz der Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft gestützt werden könnte, offengelassen (RdNr. 79)
15. Die Ausgestaltung des § 130 Abs. 4 StGB ist geeignet, den öffentlichen Frieden in seinem Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung zu schützen.
Genau, so ist das!
Geeignet ist ein Mittel, wenn sie die Zweckerreichung wenigstens fördert.
§ 130 Abs. 4 StGB definiert als unter Strafe gestellte Tathandlungen die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. BVerfG: Damit bestrafe der Gesetzgeber nicht das Gutheißen von Ideen, sondern von realen Verbrechen, die in der Geschichte einmalig und an Menschenverachtung nicht zu überbieten sind. Die Kundgabe einer positiven Bewertung dieses Unrechtsregimes löse regelmäßig Widerstand dagegen aus oder erzeuge Einschüchterung und habe anderseits enthemmende Wirkung bei der angesprochenen Anhängerschaft solcher Auffassungen. Demnach sei § 130 Abs. 4 StGB zum Schutz der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung geeignet (RdNr. 80ff.).
16. Ist § 130 Abs. 4 StGB für den vom Gesetzgeber erstrebten Schutz des öffentlichen Friedens auch erforderlich und angemessen?
Ja, in der Tat!
BVerfG: Ein milderes Mittel, das in Bezug auf die infrage stehenden Rechtsverletzungen den Schutz des öffentlichen Friedens in gleich wirksamer Weise gewährleisten kann, sei nicht ersichtlich. Die Strafandrohung ist auf die Gutheißung der historisch real gewordenen Gewalt- und Willkürherrschaft unter dem Nationalsozialismus begrenzt. Ergänzend verlangt der Straftatbestand, dass diese untersagte Bekräftigung auch tatsächlich in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise erfolgt und zu einer Störung des öffentlichen Friedens führt. Demnach begründe § 130 Abs. 4 StGB bei einer Auslegung, die Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung trägt, einen angemessenen Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz des öffentlichen Friedens (RdNr. 84f.).
17. § 130 Abs. 4 StGB beinhaltet aber eine verfassungswidrige Benachteiligung wegen politischer Anschauungen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG).
Nein!
Das Verbot der Benachteiligung wegen politischer Anschauungen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) schützt vor Eingriffen, die schon an das bloße „Haben“ einer politischen Anschauung anknüpfen. Die Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen, die an die Äußerung und Betätigung solcher Anschauungen anknüpfen, richte sich dagegen grundsätzlich nach den jeweiligen Freiheitsgrundrechten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn den entsprechenden Freiheitsgrundrechten, wie vorliegend Art. 5 Abs. 1 und 2 GG, spezielle Gleichheitsgewährleistungen innewohnen. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 GG komme damit nicht in Betracht (RdNr. 86).
18. § 130 Abs. 4 StGB muss zudem den besonderen Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) genügen.
Genau, so ist das!
Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Einerseits geht es um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten, der vorhersehen können soll, welches Verhalten verboten ist. Anderseits soll sichergestellt werden, dass nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet. Dies schließe aber nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen, solange sich der Sinn mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden ermitteln lässt (RdNr. 88f.).
19. Ist das Tatbestandsmerkmal „Störung des öffentlichen Friedens“ in § 130 Abs. 4 StGB mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu unbestimmt?
Nein, das trifft nicht zu!
Wenn der „öffentliche Friede“ das einzige strafbegründende Tatbestandsmerkmal ist, sei die Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot zweifelhaft. Demgegenüber bestünden gegen das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Friedens dann keine Bedenken, wenn die vom Gesetzgeber als strafwürdig beurteilte Störung des öffentlichen Friedens durch andere, ihrerseits hinreichend bestimmte Tatbestandsmerkmale konkret umschrieben wird, die bereits für sich die Strafandrohung zu tragen vermögen. Das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Friedens hat dann nur noch die Funktion eines Korrektivs. Es ist nicht strafbegründend, sondern eine „Wertungsformel zur Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle“ (RdNr. 93f.)