Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungskompetenzen

Einführung - "Cannabislegalisierung (in L)" [F]

Einführung - "Cannabislegalisierung (in L)" [F]

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Regierung des Landes L will nicht länger der „rückständigen Drogenpolitik aus Berlin“ folgen. Sie erlässt daher das „Cannabis-Legalisierungs-Gesetz“ (CLG), das entgegen § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 BtMG Cannabis zum persönlichen Gebrauch in L legalisiert.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Einführung - "Cannabislegalisierung (in L)" [F]

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Der Bund ist ausnahmsweise für das CLG zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 71 GG) besteht.

Nein!

Ein ausschließlicher Kompetenztitel des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 GG oder dem sonstigen GG ist nicht ersichtlich.

3. Bei der Suche nach konkurrierenden Kompetenztiteln muss man praktisch nur Art. 74 Abs. 1 GG berücksichtigen.

Genau, so ist das!

Die Kompetenztitel für die konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen (Art. 72 Abs. 1-4 GG) stehen vor Allem im Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG. Nur in Art. 105 Abs. 2 S. 1, S. 2 GG; Art. 115c Abs. 1 S. 1 GG gibt es (wenig klausurrelevante) Kompetenztitel außerhalb des Art. 74 Abs. 1 GG. Bereits Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zeigt, dass die konkurrierende deutlich bedeutsamer ist als die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz: Allein diese Nummer umfasst das bürgerliche Recht (Var. 1), das Strafrecht (Var. 2) und das gesamte Verfahrensrecht (Var. 4).

4. Das CLG fällt unter den konkurrierenden Kompetenztitel des Strafrechts und des Betäubungsmittelsrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2, Nr. 19 Var. 7 GG).

Ja, in der Tat!

Strafrecht ist die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen. Der Strafrechtsbegriff wird äußerst weit ausgelegt: Damit sind insbesondere (1) Straftaten, (2) Ordnungswidrigkeiten, (3) die an eine Straftat anknüpfenden Maßregeln der Besserung und Sicherung und (4) Straffreiheitsgesetze erfasst. Zwar wird durch das CLG kein neuer Straftatbestand begründet. Allerdings ist die Legalisierung eines bislang strafbaren Verhaltens eine Regelung der staatlichen Reaktion auf eine Straftat.

5. Es gibt vier Arten der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 72 Abs. 1-4 GG).

Nein!

Es gibt drei verschiedene Konstellationen bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz: Der Ausgangspunkt ist (1) die Vorrangkompetenz (Art. 72 Abs. 1 GG), die in manchen Sachbereichen durch die (2) Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 Abs. 2 GG) begrenzt wird. Daneben haben die Länder bei einigen Materien eine Abweichungskompetenz (Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG). Immer, wenn Du eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 GG annimmst, solltest Du zumindest gedanklich auch noch Art. 72 Abs. 2-3 GG prüfen.

6. Der Bund hat mit § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 BtMG von seiner Gesetzgebungskompetenz für das (Betäubungsmittel-)Strafrecht Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist damit grundsätzlich gesperrt.

Genau, so ist das!

Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht, wenn der Bund (1) eine bestimmte Frage ausdrücklich durch Bundesgesetz geregelt hat, (2) absichtsvoll auf eine Normierung verzichtet („beredtes Schweigen“) oder (3) eine bestimmte Materie insgesamt abschließend regeln wollte. Mit § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 BtMG hat der Bund die Frage der Strafbarkeit durch Bundesgesetz ausdrücklich geregelt.

7. „Konkurrieren“ Bund und Länder im Rahmen des Art. 72 Abs. 1 GG derart miteinander, dass sie beide parallel die Gesetzgebungskompetenz für die gleiche Materie haben?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine wirkliche „Konkurrenz“ zwischen Bund und Ländern gibt es nicht, denn die Länder sind nur gesetzgebungsbefugt „solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat“ (Art. 72 Abs. 1 GG). Damit hat die Gesetzgebung durch den Bund grundsätzlich Vorrang. Daher wird die Kompetenz des Art. 72 Abs. 1 GG auch „Vorrangkompetenz“ genannt. Lediglich im Rahmen der Abweichungskompetenzen der Länder (Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG) gibt es parallele Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern.

8. Das CLG muss für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).

Nein!

Art. 72 Abs. 2 GG gilt allein für den Bund. Hier handelt aber das Land L. Zudem wird der Kompetenztitel für das Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG) in Art. 72 Abs. 2 GG nicht aufgezählt.

9. L darf vom BtMG abweichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

In einigen abschließend aufgezählten Bereichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG) können die Länder abweichende Regelungen treffen, obwohl es bereits ein Bundesgesetz gibt. Insoweit bewirkt das Bundesgesetz also keine Sperrwirkung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG. Die Länder haben insoweit also eine Abweichungskompetenz. Das Strafrecht wird in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG nicht genannt.

10. L hat die Gesetzgebungskompetenz für das CLG.

Nein, das trifft nicht zu!

Das CLG fällt unter den Kompetenztitel für das Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG). Somit ist eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG) gegeben. Der Bund hat mit § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 BtMG von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. L ist daher von der Gesetzgebung ausgeschlossen (Art. 72 Abs. 1 GG). L hat nicht die Gesetzgebungskompetenz für das CLG. Das CLG ist daher wegen des Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 1 GG formell verfassungswidrig. Ein wegen Art. 72 Abs. 1 GG ursprünglich kompetenzwidriges Landesgesetz lebt nach dem Wegfall der Sperrwirkung nicht wieder auf (BVerfGE 29, 11, 17). Es müsste dann erneut erlassen werden.

11. Der Gedanke hinter der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist das zwingende Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung im Bundesstaat.

Nein!

Sinn und Zweck der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist es, den Ländern weitere Spielräume und mehr Flexibilität bei der Gesetzgebung zu verschaffen. Hinter der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz steckt entweder (1) das zwingende Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung im Bundesstaat oder (2) die ausschließliche Betroffenheit des Bundes.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

19.4.2023, 01:18:14

Hallo. Mit der

Abweichungskompetenz

der Länder besteht doch die Gefahr, dass die Länder Gesetze erlassen die im Widerspruch zu Bundesgesetzen stehen. Würde man dann einfach Bundesgesetz bricht Landesgesetz zur Anwendung bringen?

Paul König

Paul König

22.4.2023, 10:02:28

Hey @[Raphaeljura](207944), dann gilt Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG. Der trifft hierzu eine speziellere Regelung als Art. 31 GG. Nach Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG geht immer das spätere Gesetz (lex posterior) vor. Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[

Nora Mommsen

](178057) @[Lukas Mengestu](136780)

RAP

Raphaeljura

23.4.2023, 00:55:59

Hallo. Danke. Aber dann könnte das ja unendlich weitergehen.

antoniasophie

antoniasophie

23.7.2023, 21:52:58

Süße Illustration 🐥 🦅

NIC

NickFischer

22.8.2023, 21:24:50

Müsste man auch Art. 74 I Nr. 20 GG anprüfen (das Recht der Genussmittel)?

Paul König

Paul König

25.9.2023, 09:22:39

Hey @[NickFischer](207197), das kannst Du natürlich immer machen. Allerdings entspricht es - jedenfalls aktuell noch - der (einfachgesetzlichen) Rechtslage, dass Cannabis als Betäubungsmittel (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) und nicht als Genussmittel (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG) gilt. Wenn Du Dir die anderen Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG (Lebensmittel, Tierschutz, ...) anschaust, liegt es systematisch auch näher, das erstmal weiter über Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG laufen zu lassen. Daher sollte es maximal beim "Anprüfen" bleiben, wie Du richtig erkennst. Ich vermute aber, dass Du in einer Klausur anderswo deutlich mehr Punkte holen kannst - halte dich also in diesem Punkt kurz! Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[Lukas_Mengestu](136780)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community