Öffentliches Recht
Staatsorganisations-Recht
Gesetzgebungskompetenzen
Abschließendes Gebrauchmachen durch Bund - "Landesimpfpflicht" [F]
Abschließendes Gebrauchmachen durch Bund - "Landesimpfpflicht" [F]
10. Februar 2025
9 Kommentare
4,8 ★ (22.145 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Ein neues, hochansteckendes Virus erreicht Deutschland. Der Bund hält die Situation für ungefährlich und will gar nichts dagegen unternehmen, um die aktuelle wirtschaftliche Lage nicht zu gefährden. Das Land L ist anderer Meinung und führt mit dem „Virus-Bekämpfungs-Gesetz“ (VBG) unter anderem eine Impfpflicht gegen das Virus ein.
Diesen Fall lösen 79,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Abschließendes Gebrauchmachen durch Bund - "Landesimpfpflicht" [F]
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Bund ist ausnahmsweise für die Einführung einer Impflicht zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 71 GG) besteht.
Nein!
3. In Art. 74 Abs. 1 GG findet sich ein konkurrierender Kompetenztitel des Bundes, mit dem eine Impflicht eingeführt werden könnte.
Genau, so ist das!
4. Bei dem neuen Virus handelt es sich um eine gemeingefährliche oder übertragbare Krankheit im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG.
Ja, in der Tat!
5. Die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht ist eine Maßnahme im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG.
Ja!
6. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht.
Genau, so ist das!
7. Das VBG muss für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).
Nein, das trifft nicht zu!
8. Die Länder dürfen von den bundesgesetzlichen Regelungen auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG abweichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG).
Nein!
9. L hat die Gesetzgebungskompetenz für das VBG.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Larissa3
19.1.2023, 15:06:02
Der Kompetenztitel ist hier aber doch, wie ihr vorher auch erwähnt habt, Art. 74 I Nr. 19 und nicht Nr. 1 oder? Da ist euch in der letzten Erläuterung wohl ein kleiner Fehler unterlaufen.

Paul König
20.1.2023, 13:14:14
Hey @[Larissa3](185700), da hast Du natürlich recht! Den Dreher haben wir korrigiert - danke fürs aufmerksame Lesen und den Hinweis! Beste Grüße - Paul (für das
Jurafuchs-Team)
Diaa
5.10.2023, 08:54:24
Wann ergibt sich dann die Kompetenz für die Länder aus Art. 72 I iVm Art. 74 I GG?

Paul König
5.10.2023, 09:19:09
Hey @[Diaa](211889), nach Art. 72 Abs. 1 GG besteht eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der Länder solange und soweit ein Kompetenztitel der konkurrierenden Gesetzgebung einschlägig ist, aber der Bund von seiner Kompetenz nichtdurch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Auch dann kannst du mE zusätzlich noch Art. 30, 70 Abs. 1 GG mitzitieren. Klärt das Deine Frage? Beste Grüße - Paul (für das
Jurafuchs-Team) @[Lukas_Mengestu](136780) @[
Nora Mommsen](178057)
TubaTheo
3.1.2024, 00:03:49
Wie steht es um den Fall, in dem der Bund beschließt, absichtlich nichts zu regeln, nachdem schon ein Landesgesetz existiert? Wird dieses dann aufgehoben und es existiert dann keine gesetzliche Regelung mehr?

0815jurafuchs
17.9.2024, 15:07:01
Hallo, gem. Art. 72 I GG besteht die Gesetzgebungskompetenz der Länder nur so lange, wie der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. In dem Moment, in dem der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat (ggf. auch mit der Entscheidung, die Materie unreguliert zu lassen), tritt m. E. die Sperrwirkung ein und das Landesgesetz wird ungültig. Es ist dann nicht mehr anzuwenden.

Pilea
16.2.2024, 13:04:49
Wird in der Praxis das bered'te Schweigen vom Bund irgendwie dokumentiert? Ansonsten würde doch erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der Gesetzgebungskompetenz entstehen.
Dogu
2.1.2025, 08:57:19
Ich schließe mich der Frage an und würde mich über eine Antwort von JF sehr freuen. : )

erikxxx
16.1.2025, 15:31:06
Nach meinen Recherchen wird in der Praxis das beredte Schweigen des Bundes, also das bewusste Unterlassen einer Regelung in bestimmten Bereichen, nicht explizit dokumentiert. Grade um Rechtsunsicherheit zu vermeiden ist eine viel Kommunikation zwischen Bund und Ländern essenziell. Aber ich habe nur kurz recherchiert und würde mich über einen Antwort vom
Jurafuchs-Team freuen.