Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungskompetenzen

Abschließendes Gebrauchmachen durch Bund - "Landesimpfpflicht" [F]

Abschließendes Gebrauchmachen durch Bund - "Landesimpfpflicht" [F]

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ein neues, hochansteckendes Virus erreicht Deutschland. Der Bund hält die Situation für ungefährlich und will gar nichts dagegen unternehmen, um die aktuelle wirtschaftliche Lage nicht zu gefährden. Das Land L ist anderer Meinung und führt mit dem „Virus-Bekämpfungs-Gesetz“ (VBG) unter anderem eine Impfpflicht gegen das Virus ein.

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Einordnung des Falls

Abschließendes Gebrauchmachen durch Bund - "Landesimpfpflicht" [F]

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.
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2. Der Bund ist ausnahmsweise für die Einführung einer Impflicht zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 71 GG) besteht.

Nein!

Ein ausschließlicher Kompetenztitel des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 GG oder dem sonstigen GG ist nicht ersichtlich.

3. In Art. 74 Abs. 1 GG findet sich ein konkurrierender Kompetenztitel des Bundes, mit dem eine Impflicht eingeführt werden könnte.

Genau, so ist das!

Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG verschafft dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“.

4. Bei dem neuen Virus handelt es sich um eine gemeingefährliche oder übertragbare Krankheit im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG.

Ja, in der Tat!

Eine Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Gemeingefährlich sind verbreitet auftretende Krankheiten, die zu schweren Gesundheitsschäden oder gar zum Tod führen können. Übertragbar sind Krankheiten, bei denen die ursächlichen Krankheitserreger „direkt oder mittelbar“ weitergegeben werden. Dies ist insbesondere bei allen Infektionskrankheiten der Fall. Die Krankheit muss nur gemeingefährlich oder übertragbar sein. Virusinfektionen rufen Infektionskrankheiten hervor. Dabei wird der Krankheitserreger weitergegeben. Eine übertragbare Krankheit liegt daher vor. Über die Erheblichkeit der Bedrohung für eine Vielzahl von Menschen und Tieren ist (bei strenger Sachverhaltsauslegung) hingegen nichts bekannt, weshalb nach derzeitigem Kenntnisstand keine gemeingefährliche Krankheit vorliegt.

5. Die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht ist eine Maßnahme im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG.

Ja!

Der Begriff der Maßnahme erstreckt sich auch auf vorbeugende Handlungen. Ansonsten wäre eine eine effektive Bekämpfung des Infektionsgeschehens oftmals nicht möglich (Telos). Schutzimpfungen sind vorbeugende Handlungen, die den Ausbruch und/oder die Verbreitung einer bestimmten Krankheit eindämmen können. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG enthält Ausnahmen von der grundsätzlichen Länderzuständigkeit für das Gesundheitswesen (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

6. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht.

Genau, so ist das!

Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht, wenn der Bund (1) eine bestimmte Frage ausdrücklich durch Bundesgesetz geregelt hat, (2) absichtsvoll auf eine Normierung verzichtet („beredtes Schweigen“) oder (3) eine bestimmte Materie insgesamt abschließend regeln wollte. Der Bund will ausdrücklich keine Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft nicht zu gefährden. Damit hat er absichtsvoll auf eine Regelung verzichtet. Durch dieses Unterlassen („beredtes Schweigen“) macht der Bund auch von seiner Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch.

7. Das VBG muss für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).

Nein, das trifft nicht zu!

Art. 72 Abs. 2 GG gilt allein für den Bund. Hier handelt aber das Land L. Zudem wird der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG in Art. 72 Abs. 2 GG nicht aufgezählt.

8. Die Länder dürfen von den bundesgesetzlichen Regelungen auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG abweichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG).

Nein!

In einigen abschließend aufgezählten Bereichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG) können die Länder abweichende Regelungen treffen, obwohl es bereits ein Bundesgesetz gibt. Insoweit bewirkt das Bundesgesetz also keine Sperrwirkung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG. Die Länder haben insoweit also eine Abweichungskompetenz. Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren werden in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG nicht genannt.

9. L hat die Gesetzgebungskompetenz für das VBG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das VBG fällt unter den Kompetenztitel des Bundes für „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG). Somit ist eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG) gegeben. Der Bund hat auf eine Regelung absichtlich verzichtet und somit von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. L ist daher von der Gesetzgebung ausgeschlossen (Art. 72 Abs. 1 GG). L hat nicht die Gesetzgebungskompetenz für das VBG. Das VBG ist daher wegen des Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 1 GG formell verfassungswidrig. Ein wegen Art. 72 Abs. 1 GG ursprünglich kompetenzwidriges Landesgesetz lebt nach dem Wegfall der Sperrwirkung nicht wieder auf. Es müsste dann erneut erlassen werden.
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