Kommission ./. Spanien

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Geschäftsführer von Sicherheitsunternehmen, die in Spanien tätig sind, müssen nach spanischem Recht in Spanien wohnen. Hintergrund ist die wirksame Kontrolle durch die spanischen Behörden. Estin E leitet das in Bilbao ansässige Sicherheitsunternehmen B, wohnt aber in Talinn.

Diesen Fall lösen 87,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Kommission ./. Spanien

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Unternehmen B möchte Sicherheitsleistungen in Spanien anbieten. Ist der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit vorliegend eröffnet?

Genau, so ist das!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt nach ständiger Rechtsprechung eine Niederlassung voraus, also eine feste Einrichtung oder Infrastruktur, die der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte Zeit dient oder zu dienen bestimmt ist. Persönliche Begünstigte der Niederlassungsfreiheit sind Unionsbürger und Gesellschaften mit Unionsbezug. In räumlicher Hinsicht ist ein grenzüberschreitender Bezug erforderlich. Die Gründung und Leitung eines Sicherheitsunternehmen stellt eine selbstständige Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert dar, die eine Niederlassung voraussetzt. Die Gesellschaft B hat seinen Hauptsitz in Spanien und weist somit Unionsbezug auf. Auch ist ein grenzüberschreitender Bezug gegeben und es liegt keine Bereichsausnahme vor. Vorliegend ist der persönliche Anwendungsbereich nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für E als Unionsbürgerin eröffnet. Im Gutachten sollte immer präzise dargestellt werden, auf wen man sich als Begünstigen bezieht.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Regelung, dass die Geschäftsführer der Sicherheitsunternehmen in Spanien wohnen müssen, beeinträchtig die Niederlassungsfreiheit.

Ja, in der Tat!

Unter den Oberbegriff der Beeinträchtigung fallen die offene und versteckte Diskriminierung, sowie die unterschiedslose Beeinträchtigung. Die spanische Regelung stellt eine verdeckte Diskriminierung dar. Zwar wird vorliegend nicht aufgrund der Rechtsordnungszugehörigkeit der Unternehmen differenziert. Spanische Geschäftsführer haben allerdings ganz überwiegend ihren Aufenthaltsort in Spanien und erfüllen somit diese Bedingung ohne weiteres, während Geschäftsführer aus den übrigen Mitgliedstaaten ihren Wohnort erst nach Spanien verlegen müssten, um seinen gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. Die Regelung trifft daher de facto Geschäftsführer aus anderen Mitgliedstaaten stärker als spanische Geschäftsführer.

3. Die versteckte Diskriminierung könnte gemäß Art. 52 Abs. 1 AEUV gerechtfertigt sein.

Ja!

Die in Art. 52 AEUV enthaltenen Vorbehalte erlauben es den Mitgliedstaaten Maßnahmen gegenüber anderen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu rechtfertigen, die die Niederlassungsfreiheit beschränken und daher grundsätzlich unzulässig sind. Auch offene Diskriminierungen lassen sich so rechtfertigen. Vorliegend könnte der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit einschlägig sein, da durch die Regelung die Sicherheitsunternehmen wirksam kontrolliert werden sollen.

4. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit wird unionsrechtsautonom definiert.

Genau, so ist das!

Unter der öffentlichen Sicherheit versteht der EuGH den Bestand des Staates, seiner Einrichtungen wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen sowie das Überleben der Bevölkerung, den Schutz der auswärtigen Beziehungen und des friedlichen Zusammenlebens der Völker. Der unionsrechtsautonome Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit ist nur dann einschlägig, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der gesellschaftlichen Grundinteressen besteht. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit wird enger ausgelegt als in den polizeirechtlichen Generalklauseln.

5. Die Subsumtion unter die Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV erfolgt zweistufig.

Ja, in der Tat!

Das Ziel, dass die Mitgliedstaaten mit ihrer Regelung verfolgen, muss zunächst von einem der Rechtfertigungsgründe umfasst sein. Auf zweiter Stufe wird verlangt, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft betroffen ist und eine qualifizierte Gefährdung vorliegt. Dass bedeutet, dass die Gefährdung tatsächlich, d. h. also zeitlich nah und intensiv sowie hinreichend schwer sein muss. Zur Wiederholung: Generalpräventive Gesichtspunkte zum Zwecke der Abschreckung anderer (EU-)Ausländer genügen den Anforderungen des Art. 52 AEUV nicht. Vielmehr muss das Handeln einer Einzelperson bereits hinreichend gefährdet sein.

6. Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit ist vorliegend einschlägig.

Nein!

Regelungen zu privaten Sicherheitsunternehmen betreffen nicht den Bestand des Staates als solchen. Darüber hinaus ist auch eine hinreichende Gefährdung des Schutzgutes nicht darin zu sehen, dass die Sicherheitsunternehmen nicht wirksam kontrolliert werden könnten. Denn eine Kontrolle ist auch unabhängig vom Wohnort möglich und Sanktionen können durch die vorherige Zahlung einer Sicherheit abgesichert werden. Mangels hinreichender Gefährdung ist der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit daher vorliegend nicht einschlägig. Der Wohnsitz der Geschäftsführer ist folglich nicht erforderlich, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Manchmal kann es sich auch anbieten mehrere Rechtfertigungsgründe kurz anzuprüfen. Dies ist vorliegend beispielsweise für die öffentliche Ordnung der Fall. Ein Prüfen des Rechtfertigungsgrundes der öffentlichen Gesundheit läge allerdings fern.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FW

FW

12.9.2024, 14:17:59

Hi, Könnte man dies auch eventuell anders sehen? Als Geschäftsführer einer GmbH - zumindest in Deutschland - muss man ja viele Vorschriften des Steuer-, Insolvenz- und GmbH-Rechts beachten. Mir kamen als erster Gedanke insbesondere die Gefahren der Verwirklichung von Insolvenzverschleppung, Untreue sowie weiteren Wirtschaftsstraftaten in Betracht. Gerade zum Schutz des Vermögens der Gläubiger sollte doch auch ein Geschäftsführer im Inland tätig sein. Wenn man sich auch aussucht in einem bestimmten Mitgliedsstaat tätig zu sein, ist es doch auch durchaus vertretbar, dass der Geschäftsführer auch in diesem Land persönlich agiert. Außerdem besteht die Gefahr von der Bildung von Briefkastenfirmen innerhalb der EU. Bei tatsächlich begangenen Straftaten ist m.E. auch die Strafverfolgung erheblich gefährdet, da der Aufenthaltsort des Geschäftsführers u.U. nicht ermittelbar ist und dieser sich möglichst schnell in ein sicheres Drittland absetzen könnte.


© Jurafuchs 2024