Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus Bio–Hühnerstall – Unterlassungsanspruch & APR


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Die B-GmbH verkauft Bio-Produkte. Tierschützer T dringt eines Nachts in den Stall ein und fertigt Aufnahmen der dortigen Zustände, unter anderem toter Hühner und solcher ohne Federkleid. T gab die Aufnahmen an die ARD weiter, die sie ausstrahlte ("Wie billig kann Bio sein?"). B verlangt Unterlassung von der ARD.

Einordnung des Falls

Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus Bio–Hühnerstall – Unterlassungsanspruch & APR

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. § 1004 Abs. 1 S. 2 gibt über seinen Wortlaut ("Eigentum") hinaus einen Abwehranspruch im Falle der Beeinträchtigung anderer von § 823 Abs. 1 BGB absolut geschützter Rechtsgüter.

Genau, so ist das!

Der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB erfasst ausdrücklich nur das Eigentum, sogenannter negatorischer Anspruch. Im Wege einer Gesamtanalogie zu §§ 12, 862, 1004 wird der Anspruch aber auch als Abwehranspruch auf die Beeinträchtigung aller von § 823 Abs. 1 BGB absolut geschützten Rechtsgüter erstreckt. Denn wenn der Betroffene bei Verletzung einen Schadensersatzanspruch hat, muss ihm als Vorstufe dazu auch ein Unterlassungsanspruch zustehen (Looschelders BT, 13. A., RdNr. 1428f.).Hier kommt als Schutzgut das allgemeine Persönlichkeitsrecht des B ebenso wie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht.

2. Für die Abwägung ist unerheblich, ob die ARD die Informationen selbst rechtswidrig erlangt hat oder die ARD nur Informationen verwendet, die Dritte in rechtswidriger Weise erlangt und ihr dann zugespielt haben.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach BGH ist hier zu differenzieren. Wer sich in rechtswidriger Weise Informationen beschafft, ist grundsätzlich gehindert, diese zu veröffentlichen. Einzige Ausnahme: Die widerrechtlich beschafften Informationen betreffen ihrerseits widerrechtliche Zustände. Hat der Publizierende aber die Informationen nicht selbst rechtswidrig beschafft, ist der Unrechtsgehalt im Vergleich zur rechtswidrigen Informationsbeschaffung vermindert. Sodann ist eine Abwägung durchzuführen. Vorliegend spricht ein hohes öffentliches Informationsinteresse für die Offenlegung der Diskrepanz zwischen unterstellter und tatsächlicher Tierhaltung in Bio-Betrieben. Dies betrifft ein legitimes öffentliches Informationsinteresse, sodass die Rechtswidrigkeit hier zu verneinen ist (BGH, RdNr. 21ff.).

3. Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs wird indiziert.

Nein!

Weil es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb um Rahmenrechte handelt, ist die Rechtswidrigkeit im Wege einer Abwägung festzustellen. Dabei ist eine Abwägung der beiderseitigen Interessen erforderlich. Insbesondere ist neben dem Schutz des sozialen Anspruchs der B-GmbH auch das (Grund-)Recht der ARD auf Meinungs- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1,2 GG) zu berücksichtigen. Dabei unterfallen auch rechtswidrig beschaffte Informationen dem Schutz der Meinungsfreiheit, weil hierdurch ein freier Informationsfluss und die Wachfunktion der Presse über den demokratischen Prozess gewährleistet sein soll (BGH, RdNr. 21f.).

4. Die ARD hat zudem den Tatbestand der §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 824 Abs. 1 BGB (Kreditgefährdung) erfüllt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 824 Abs. 1 BGB (Kreditgefährdung) ist vorrangig gegenüber § 823 Abs. 1, (eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb), sofern es um unwahre Tatsachenbehauptungen geht (Sprau, in: Grüneberg, 81. A., § 824 RdNr. 1). Er setzt voraus, dass unwahre Tatsachen behauptet oder verbreitet werden. Maßstab für Ermittlung dieser Tatsache ist der Sinngehalt der Darstellung aus Sicht eines verständigen Durchschnittsrezipienten. Der Aussagegehalt ermittelt sich aus den gezeigten Bildern und dem gesprochenen Wort. BGH: Eine unwahre Tatsache, etwa die Haltung der Tiere sei nicht artgerecht, habe die ARD nicht getätigt. Der bloßen Darstellung von Hühnern ohne Federkleid entnehme der Durchschnittsrezipient nicht, dass dieser Umstand auf eine nicht artgerechte Tierhaltung zurückgehe. Es handele sich lediglich um eine Darstellung objektiver Tatsachen (BGH, RdNr. 10f.).

5. Die ARD hat in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der B-GmbH eingegriffen.

Ja, in der Tat!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet. Es ist allgemein anerkannt, dass auch juristischen Personen ein Persönlichkeitsrecht zustehen kann, sofern sie in ihrem Betätigungsfeld betroffen sind (Sprau, in: Grüneberg, 81. A., § 823 RdNr. 91). Ein Eingriff sowohl in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist darin zu sehen, dass Interna des Betriebes, die für die Öffentlichkeit nicht bestimmt sind, an die Öffentlichkeit gelangten (BGH, RdNr. 16,17).

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MEL

Melodysima

12.10.2019, 17:06:36

Man sollte meiner Meinung nach auch das Recht bekommen, den dort unter Qualen leidenden Tieren, helfen zu können.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

15.11.2019, 22:02:54

Hallo Melodysima, danke für deinen Kommentar! Das ist ein verständlicher Impuls, und unter bestimmten Voraussetzungen dürfte dies auch dem Recht entsprechen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass wir in unserer Rechtsordnung eine Art „Selbstvornahme“ des Bürgers zum Schutz öffentlicher Güter oder der Rechte von Tieren allenfalls im strafrechtlich relevanten Bereich 323c StGB) oder bei Selbstbetroffenheit kennen. Es ist Aufgabe des Staates, auch auf Verdachtsmeldungen wie die ARD-Berichterstattung hin zur Gewährleistung des Tierwohls sowie zur Durchsetzung von Tierschutzvorschriften einzugreifen. Das Tierwohl hat dabei dem Grunde nach Verfassungsrang (Art. 20a GG).


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