rechtsverbindliche Willenserklärung auf Abschluss eines „Verhütungsvertrags“ („Pillenfall“)


mittel

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M und F sind „friends with benefits“. Sie möchten keine Kinder. M ist es extrem wichtig, dass F die „Pille“ nimmt. F ist einverstanden. Später setzt sie die „Pille“ ohne Wissen des M ab und wird schwanger. M muss Kindesunterhalt zahlen (§ 1601 BGB). Diesen verlangt er als Schadensersatz von F ersetzt.

Einordnung des Falls

rechtsverbindliche Willenserklärung auf Abschluss eines „Verhütungsvertrags“ („Pillenfall“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Vorschlag des M, dass F die „Pille nimmt, enthält eine rechtsverbindliche Willenserklärung, gerichtet auf den Abschluss eines „friends with benefits Verhütungsvertrags“.

Ja, in der Tat!

Der äußere (objektive) Tatbestand einer Willenserklärung liegt in einem äußerlich erkennbaren Verhalten, das auf das Vorliegen eines Handlungs-, eines Rechtsbindungs- und eines Geschäftswillens schließen lässt. Ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Interessenlage beider Parteien nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte festzustellen (§§ 133, 157 BGB).Die Geburt eines Kindes bedeutet für den M als Unterhaltsverpflichteten ein erhebliches Haftungsrisiko. Es liegt nahe, einen Rechtsbindungswillen auf Seiten des M anzunehmen.

2. Selbst wenn F und M sich rechtlich hätten binden wollen, wäre die Vereinbarung unwirksam nach § 138 Abs. 1 BGB.

Ja!

Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Über § 138 Abs. 1 BGB wirkt das im Grundgesetz verkörperte Wertsystem in das Privatrecht ein.BGH: Die Entscheidungsfreiheit für ein Kind gehöre zum Persönlichkeitsrecht und zur personalen Würde von Partnern. Ein Verhütungsvertrag betreffe den engsten persönlichen Freiheitsbereich, die Intimsphäre. Dieser Freiheitsbereich sei vertraglichen Regelungen entzogen. Daraus folgt, dass die Vereinbarung auch mit Rechtsbindungswille unwirksam wäre. Der Verhütungsvertrag ist somit nichtig.

3. Indem F dem Vorschlag zustimmte, hat sie das Angebot angenommen und mit M einen "friends with benefits Verhütungsvertrag" abgeschlossen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien, nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte ist zu prüfen, ob ein Rechtsbindungswille vorliegt. Zur Verhütung der Schwangerschaft müssen regelmäßig Medikamente (mit allen evtl. Nebenwirken) eingenommen werden.Laut BGH liegt es nach der Verkehrsanschauung eher fern, dass die Parteien persönliche, intime Beziehungsfragen, wie die Entscheidung über ein Kind zum Gegenstand vertraglicher Bindung machen wollen. Ein Rechtsbindungswille der F liegt also nicht vor.

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ALE

AlexDU

13.11.2019, 01:30:21

Wer lässt sich nur solche Fragen einfallen? :-D

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

13.11.2019, 09:40:03

@AlexDU, danke für das Kompliment! Die Antwort ist: ein sehr hochkarätiges Team von Juristen, das sehr liebevoll daran arbeitet, den examensrelevanten Stoff verständlich und einprägsam zu machen :)

XOE

xoevatxo

1.1.2020, 23:14:07

Wieso wäre ein solcher Vertrag sittenwidrig? F wird ja nicht die Entscheidungsfreiheit über ein Kind genommen, sondern nur die Verpflichtung auferlegt, bei M zu verhüten. Sie könnte immer noch die Beziehung zu M beenden oder mit einem anderen Mann ein Kind bekommen.

DO

DonQuiKong

11.3.2020, 17:57:55

Man könnte auch so weit gehen, ihr nur die Verpflichtung aufzuerlegen, ihm mitzuteilen, wenn sie nicht mehr verhütet. Damit verliert sie keine Entscheidungsfreiheit.

GEL

gelöscht

16.3.2021, 20:01:27

**later

Henk

Henk

27.2.2020, 10:40:02

Wenn es sich bei der Frau um eine Prostituierte (keine freundschaftliche, sondern entgeltliche Hingabe) handele,, meine ich gelesen zu haben, dass man dann einen Schadensersatzanspruch bejahen könnte. Weiß da jemand mehr?

Isabell

Isabell

11.3.2020, 19:56:14

Die BGH-Begründung, dass es fernliege, das Personen höchstpersönliche/intime Fragestellungen vertraglich regeln, finde ich etwas seltsam. Schließlich basiert das Konstrukt der Ehe - eine höchstpersönliche und intime Lebensform - auf vertraglichen Regelungen.

TBE

Tobi Ben

25.3.2020, 11:31:43

Die Ehe ist eine in der Verfassung fest verankerte Institution (Art. 6 GG). Man kann also einen Ehevertrag nicht mit einem Verhütungsvertrag vergleichen. Der Gesetzgeber hat der Ehe mit Art. 6 GG einen besonderen Stellenwert zugeschrieben.

Agit

Agit

31.3.2020, 17:30:31

Der Verfassungsgeber hat der Ehe einen besonderen Stellenwert in Art. 6 I GG beigemessen. Das ist richtig. Aber die Fortpflanzungsfreiheit ist nicht ein weniger Minderwertiges Verfassungsrecht. Es steht in seiner Existenzberechtigung neben den anderen Verfassungsgütern und ist ebenso Schutzwürdig. Die Fortpflanzungsfreiheit wurzelt in der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht. Daher warum sollte es fern liegen, darauf ein Verhütungsvertrag zu vereinbaren? Das ist naheliegend und Konsequent. Wenn schon die Ehe in einer Vorstufe die Verlobung als Rechtsverhältnis kennt. Warum soll das bei Kinderzeugung anders sein. Vorstufe Verhütungsvertrag, Endstufe Unterhaltsverhältnis mit Mutter.

TBE

Tobi Ben

3.4.2020, 16:28:30

Es geht darum, dass niemand gegen einen anderen einen Anspruch darauf haben soll, wie der andere seinen höchstpersönlichen Lebensbereich gestalten darf. Und das steht meiner Meinung nach auch mit der Fortpflanzungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht im Einklang. Die Privatautonomie muss dahinter zurücktreten. Jeder Erwachsene darf im intimen Lebensbereich für sich selbst entscheiden. Nur für sich selbst. Alles Andere ist sittenwidrig. Außer eben bei der Ehe. (Nach Vertragsschluss) Anmerken möchte ich noch, dass mit einem Unterhaltsverhältnis der Schutz des Kindes gewährleistet werden soll. Da geht es nicht mehr vorrangig um Intimität. Ich hoffe ich habe Sie richtig verstanden, ich finde die Entscheidung des BGH nämlich schlüssig.

Isabell

Isabell

19.1.2021, 15:36:30

Das Ergebnis - es soll niemand einen Anspruch darauf haben können - teile ich uneingeschränkt. Das hier zitierte Argument, dass über derart intime Dinge wohl keine Verträge geschlossen werden wollen würden, halte ich inhaltlich nicht für besonders überzeugend. Ich würde die Verfassung hier gar nicht bemühen wollen. 1353 BGB gab es schon lange vor unserem Artikel 6 GG. Die Tatsache, dass der Ehe hierzulande eine vertragliche Konstruktion zugrunde liegt, lässt sich von der zeitlichen Abfolge schon nicht mit Artikel 6 GG argumentieren.

Cocos.lawstudy

Cocos.lawstudy

10.5.2020, 12:58:36

Warum wird zuerst (Frage 1 oder 2) eine Willenserklärung, Vertrag angenommen und dann später (Frage 3 oder 4) aber abgelehnt? Müsste dann nicht gleich am Anfang die andere Antwort richtig sein?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

21.6.2020, 12:24:34

HI Corina, Danke für Deine Nachricht! In Frage 1 geht es um M. In Frage 2 geht es um F.

LO

Lorbeerbekränzte🦩

4.3.2021, 16:20:45

Warum ist denn die Entscheidung für ein Kind geschützt, die Entscheidung gegen ein Kind aber nicht?

Vulpes

Vulpes

4.3.2021, 16:36:42

Hallo JuraGöttin 🙌 Es ist denkbar, dass die Mutter sich wegen dem Vertrag gezwungen fühlen müsste abzutreiben, falls sie trotz Verhütung schwanger wird. Die vertragliche Verpflichtung ein Leben zu beenden ist unzweifelhaft sittenwidrig. Die Frage, ob man eine Frau anders behandeln müsste, die vorsätzlich einen solchen Vertrag bricht ist wohl eine rechtspolitische. Ich persönlich würde aber sagen, dass man als Mann damit leben können muss, dass aus Geschlechtsverkehr Kinder entstehen können und für sich entsprechende Konsequenzen zieht, falls man das auf keinen Fall will. 👍

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

5.3.2021, 12:03:02

Hallo JuraGöttin, auf zielt deine Frage denn genau ab? Auf das Abtreibungsrecht?

LO

Lorbeerbekränzte🦩

15.3.2021, 21:02:41

Adrians Antwort hat mir schon geholfen, Dankeschön. Ich hatte an das Recht des Mannes kein Kind zu wollen gedacht.

Gerald von Trivia

Gerald von Trivia

7.3.2021, 19:50:33

Irgendwie kann ich das nicht so ganz nachvollziehen und es fehlen mir die notwendigen Argumente für die Ansicht der Antworten. Also: Es geht im Grunde darum, dass sich zwei Erwachsene Menschen dazu entschließen einen Vertrag über „Sex with benefits“ abzuschließen. Beide einigen sich ganz ehrlich, dass sie dies ohne feste Bindung auf eine gemeinsame Zukunft wollen. Jetzt nachdem die Person, die sich von beiden zur Verhütung verpflichtet hat, sich dazu entschließt nicht mehr verhüten (und das ohne dem anderen Bescheid zu geben, sodass er zumindest die Gelegenheit hat, durch Kondom oder Vasektomie zu hüten), muss er sich jetzt doch einer Unterhaltspflicht stellen? Das fühlt sich für mich vom Rechtsgefühl her enorm falsch an. Es geht mir auch nicht dabei darum, dass die andere Person

Gerald von Trivia

Gerald von Trivia

7.3.2021, 19:52:34

Hier die Frau nicht gezwungen werden darf abzutreiben. Es war im Endeffekt einfach nur ihre eigene Entscheidung, doch ein Kind zu haben. Und das ohne den Sexpartner diesbezüglich in Kenntnis zu setzen. Es müsste ihre eigene Entscheidung sein, ohne das Recht den Partner jetzt dazu zu „zwingen“ sich für das Kind verantwortlich zu fühlen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

7.3.2021, 23:17:37

Hallo Gerald, es geht in dem Fall darum, ob M von F Schadensersatz für den zu zahlenden Kindesunterhalt verlangen kann. Es ist praktisch unstreitig, dass M an das Kind Unterhalt leisten muss. Den die Sicherung des Kindesunterhalts darf nicht von den Absprachen unter den Eltern abhängig sein es würde sich insoweit auch um einen Vertrag zulasten Dritter handeln. Argument dafür, dass M von F den Unterhalt nicht als Schaden ersetzt verlangen kann ist, dass zwischen den Parteien kein Vertrag geschlossen wurde. Zwar läge es im Interesse des M, dass ein Vertrag geschlossen wird, um ihn vor der Unterhaltsverpflichtung zu schützen. Andererseits liegt es aber nicht im Interesse der F

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

7.3.2021, 23:20:56

sich vertraglich zu verpflichten, täglich "die Pille" zu nehmen, die ja bekanntlich auch erhebliche Nebenwirkungen, wie ein deutlich erhöhtes Thromboserisiko mit sich bringt. Zumal ja auch keine Verhütungsmethode zu 100% sicher ist. Demnach ist auf ihrer Seite kein Rechtsbindungswille anzunehmen. Zudem geht der BGH hier auch davon aus, dass es völlig unüblich ist, über intime Beziehungen vertragliche Absprachen zu treffen. M muss sich daher selbst um die Verhütung kümmern, wenn er das Risiko Vater zu werden minimieren will.

Knowledge with Jan

Knowledge with Jan

2.12.2021, 12:04:29

Abseits von gesellschaftlich definierten Standards ist Sex zwischen Frau/Mann auch grds. ein Akt bei dem grundsätzlich Leben entstehen kann woraus Verantwortung erwächst und diesen Gedanken trägt der BGH Rechnung.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

22.4.2021, 14:54:06

Gäbe es irgendeine Möglichkeit, einen derartigen Vertrag gültig zu schließen? Oder kann die Frau sich immer, egal was vorher festgelegt wurde, heimlich dazu entschließen, ein Kind gegen den Willen des Vaters zu bekommen und den Vater dennoch Unterhalt zahlen lassen (ohne dass dieser ersetzt wird).

Tigerwitsch

Tigerwitsch

25.4.2021, 00:31:53

Ich glaube, man kann einen solchen Vertrag nicht schließen aufgrund § 138 BGB. Hintergrund ist ja, dass die Selbstbestimmungsfreiheit der Frau komplett ausgeschlossen wäre, was vertraglich sittenwidrig wäre.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

25.4.2021, 00:41:30

Zu deiner zweiten Frage: Der Mann hat dann „Pech“, ihm steht kein Anspruch etwa aus § 823 BGB zu. Dazu führt der BGH aus: „Der Intimbereich zweier volljähriger Partner, die beim freiwilligen Geschlechtsverkehr nicht nur ihr sexuelles Bedürfnis befriedigen, sondern das Entstehen von Leben verantworten, unterliegt im Falle der Geburt eines Kindes grundsätzlich auch dann nicht dem Deliktsrecht, wenn der eine Partner dabei den anderen über die Anwendung von empfängnisverhütenden Maßnahmen getäuscht hat.“ BGH, U. v. 17.04.1986 - AZ.: IX ZR 200/85; https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/bghz97_372.htm (Dort äußert sich das Gericht übrigens auch dazu, dass ein Vertrag nicht möglich sei. Zum einen, da wohl bereits kein WE und zum anderen aufgrund des Eingriffs in die Selbstbestimmungsfreiheit)

Pilea

Pilea

6.3.2023, 10:36:43

Auch für Männer gibt es ja die Möglichkeit, zu verhüten, um das Geschehen selbst in der Hand zu haben. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit, die Forschung bzgl. weiterer Verhütungsmittel für Männer zu fördern, bzw diese einzufordern. Ein eventueller Vertrag über die Einnahme der Pille ist ja nicht die einzige Möglichkeit eines Mannes, sich vor unerwünschten Unterhaltsansprüchen zu schützen.

MWA

mwally

24.12.2023, 00:40:11

Sicher ist die Einnahme der Pille durch die Frau nicht das einzige Mittel, um sich vor unerwünschter Vaterschaft zu schützen. Und natürlich ist es auch in Ordnung, wenn sich die Frau dazu entscheidet, die Pille nicht mehr nehmen zu wollen. Nicht in Ordnung ist es, wenn sie die Pille entgegen der Vereinbarung einfach absetzt und das für sich behält. Wenn das Abziehen eines Kondoms während des Geschlechtsverkehrs ein Problem ist (was es zurecht ist), dann ist es auch dieser Fall.

Blackpanther

Blackpanther

1.4.2022, 14:12:47

Könnte die Absprache nicht dahingehend umgedeutet werden, dass F sich dazu verpflichtet, M darüber aufzuklären, dass sie nicht mehr verhütet (vgl. Parallelthread)? Eine solche Aufklärungspflicht würde die Intimsphäre bei weitem nicht so stark tangieren wie ein vereinbartes Verhütungsverbot. Dagegen ließe sich zwar mit dem BGH auch anführen, dass solche Absprachen eher fernliegend sind. Auch würde wohl der SEA letztlich am Schutzzweck des Unterhalts (Kind, nicht aber Partnerschaft) scheitern. Auch wenn es iE (berechtigterweise) keine Ansprüche für M gibt, erscheint es mir doch unbillig die de facto vorliegende Täuschung in Gänze zu erlauben. PS.: Ist der Sachverhalt nicht auch mit dem sog. "Stealthing" vergleichbar? (könnte auch sein, dass ich mich irre) Auch hier ist doch die Nutzung eines Verhütungsmittels "vereinbart", wobei der Mann dagegen verstößt. (Das ist sogar gemäß § 177 stgb strafbar)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2022, 19:24:32

Hallo Blackpanther, vielen Dank für die Rückfrage. Die Umdeutung der Vereinbarung in eine bloße Abrede über eine Aufklärungspflicht ist denkbar - im konkreten Fall hatte der BGH sich damit letztlich allerdings nicht auseinandergesetzt.Insbesondere hat er aus dem Umstand, dass die Partner hier lediglich eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führten, insgesamt gefolgert, dass sie ihre Beziehung wohl gänzlich ohne rechtliche Bindungen führen wollten. Ob also die Pflicht, über das Absetzen der Pille zu informieren, sittenwidrig ist oder nicht, ist noch offen :-). Ob es "unbillig" ist, diese Täuschung nicht zu sanktionieren, ist letztlich eine Wertungsfrage, die man sicher kontrovers diskutieren kann und ich auch hier gerne offen lasse. Insoweit sei lediglich der Hinweis erlaubt, dass es auch für Männer effiziente Verhütungsmethoden gibt (vom Kondom bis zur Vasektomie) und zudem die Pille keinen absoluten Schutz vor Schwangerschaft bietet. Insofern ist mE durchaus fraglich, ob es wirklich unbillig ist, den Mann mit zur Verantwortung zu ziehen, wenn er selbst keine eigenen Verhütungsmaßnahmen ergreift. Den Vergleich mit dem Stealthing halte ich dagegen für verfehlt. Zwar wird dabei teilweise auch daran angeknüpft, dass es hierdurch zu einer ungewollten Schwangerschaft kommen kann (vgl. OLG Schleswig, NStZ 2021, 619). Maßgeblich für dessen Strafbarkeit wird indes gesehen, dass es hier - entgegen der Absprache - zu einem unmittelbaren Kontakt der Geschlechtspartner kommt. Dies begründet nicht nur die Gefahr der Übertagung von sexuell übertragbaren Krankheiten, sondern führt auch dazu, dass es zur Ejakulation in die Vagina kommt. Gerade darin sah das KG Berlin einen deutlich gesteigerten sexuellen Kontakt (ohne Konsens) und den Grund der Strafbarkeit. Denn das ganze Geschehen habe damit eine deutlich gesteigerte Intensität bekommen (vgl. KG BeckRS 2020, 18243). Die letztgenannten Umstände liegen bei der nicht genommenen Pille aber nicht vor. Insofern würde ich hier von einer weiteren Ausdehnung des § 177 StGB abraten. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

6.3.2023, 10:42:45

Zusätzlich zu den genannten Gründen beeinträchtigt Stealthing und eine daraus evtl. resultierende ungewünschte Schwangerschaft auch tiefgreifend den Körper der Austragenden. Schwangerschaften und Geburten können heftige, teils bleibende, zT sogar tödliche Folgen haben. Diese Gefahr besteht für den Mann beim Absetzen der Pille durch die Frau nicht. Auch dahingehend sind die beiden Handlungen von einer völlig unterschiedlichen Intensität.

MWA

mwally

26.12.2023, 11:47:11

Eine Unterhaltsverpflichtung und die Tatsache, nun ungewollt Vater zu sein, sind ganz erhebliche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht, in die freie Lebensgestaltung und die finanzielle Situation. Dass niemand dazu gezwungen werden soll, die Pille zu nehmen, ist klar. Aber wenigstens eine Informationspflicht darüber, dass die Pille entgegen der getroffenen Absprache abgesetzt wird/wurde, muss bestehen. Dass arglistiges Verschweigen vertretbar sein soll, widerspricht allen Prinzipien des gesellschaftlichen Miteinanders.

AN

Anja

18.4.2022, 11:53:54

An den Ergebnissen habe ich nichts auszusetzen, aber die Begründung der Antwort zu Frage 2 ist m.E. nicht konsequent. Überträgt man das auf Frage 1, müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass M ebenfalls keinen RBW hatte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.4.2022, 14:14:42

Hallo Anja, vielen Dank für Deinen Hinweis. Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung letztlich nur zur Erklärung der F geäußert und hierzu im Ergebnis auch keine abschließende Entscheidung getroffen, da er den Vertrag jedenfalls an § 138 BGB scheitern ließ. In der Tat ließe sich auch gut begründen, dass es bereits an einem Angebot des M fehlt. Im Hinblick auf die ihn treffenden Unterhaltsverpflichtungen sowie den Umstand, dass ein solcher Vertrag für ihn keine rechtlichen Nachteile bietet, liegt es unserer Auffassung aber nahe, dass zumindest M eine rechtsverbindliche Regelung treffen wollte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

25.4.2023, 09:22:37

Hallo. Warum hatte F keinen Rechtsbindungswillen? Ich betracht kommt ja nur ein geheimer Vorbehalt. Der ist aber abzulehnen, weil der nicht gilt, wenn die Handlung im Widerspruch zum Vorbehalt steht. Und Sie hatte auch Geschäftswillen, da Sie genau diesen Vertrag schließen wollte. Und das mit der Sittenwidrigkeit prüft man erst später. Von daher sind zwei konkludente WE zustande gekommen.

Carl Wagner

Carl Wagner

26.4.2023, 10:29:55

Vielen Dank für deine Frage! Der BGH äußert sich tatsächlich dazu, falls man doch ein Rechtsgeschäft annehmen sollte. Er argumentiert, dass dieser Bereich des Lebens (Nehmen oder Nichtnehmen von Verhütungsmitteln) zum engsten persönlichen Freiheitsbereich gehöre. Man müsse sich immer wieder neu und frei für oder gegen ein Kind entscheiden dürfen. Er bezeichnet das als engsten Kern der Persönlichkeit und Entfaltung der Selbstbestimmung. Die Konsequenz: Dieser Lebensbereich (Einnahme von Verhütungsmitteln oder nicht) ist einer vertraglichen Regelung generell entzogen, so dass es niemals wirksam sein kann. Der BGH geht sogar noch weiter und sagt, dass selbst dann kein vertraglicher SE-Anspruch entstehen kann, wenn lediglich nach der Mitteilung über die Absetzung der Verhütung gefragt wäre. Bereits die Mitteilung berühre die Intimsphäre unzumutbar (Rn. 27 des Urteils). Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

Jonas22

Jonas22

15.5.2023, 21:08:25

Wie wäre das dann in einer Klausur? Müsste ich dann das „Problem“ mit der Sittenwidrigkeit gar nicht mehr ansprechen? Weil dann fällt man ja schon beim Vertragsschluss raus, wenn kein Rechtsbindungswillen vorliegt.

BENKE

BenKenobi

21.9.2023, 17:49:45

Ich kann die Argumentation weitestgehend nachvollziehen und bin auch der Meinung, dass eine Pflicht zur Einnahme von Medikamenten, die erheblich auf den Organismus einwirken, unbillig ist. Aber es geht hier doch eher um eine Informationspflicht. Es müsste möglich sein, vertraglich zu vereinbaren, dass die Person, welche sich zur Verhütung bereit erklärt, den FWB-Partner darüber aufklärt, wenn die Maßnahmen eingestellt werden. Selbstbestimmung natürlich ja und im größtmöglichen Umfang, aber eben für beide mit allen relevanten Informationen. Finde es unbillig, in einem derartigen Vertrauensverhältnis eine Person der Willkür einer anderen auszusetzen.

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 17:13:40

Hallo BenKenobi, das ist in der Tat ein Argument, das nicht ganz von der Hand zu weisen ist und sich mMn auch durchaus hören lässt. Beachte allerdings, dass diese Informationspflicht ebenfalls dem FWB-Vertrag entspringen würde. Und dieser FWB-Vertrag ist bereits in sich unwirksam aufgrund der benannten Argumente. Insofern bestünde die Frage, inwiefern eine Informationspflicht, das auf einem unwirksamen Vertrag basiert, Wirkung entfalten kann :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

BENKE

BenKenobi

23.9.2023, 18:27:52

Hey Leo Lee, das ist ein starkes Gegenargument, aber ließe sich auch ein Vertrag sui generis schließen, der primär auf die gegenseitige Informationspflicht gerichtet ist? Also quasi keine Verpflichtung zum Sex oder zur Einnahme von Verhütungsmitteln, sondern die Pflicht dazu, sich gegenseitig über die Verhütungssituation zu informieren. So würde mMn auch dem Gedanken der praktischen Konkordanz hinsichtlich der jeweiligen Schutzbereiche Rechnung getragen werden. Partei A hat weiterhin völlige Hoheit über ihren Umgang mit ihrem Körper während Partei B hinsichtlich ihrer Familienplanung eine informierte Entscheidung treffen kann.

JUL

Julia

14.6.2024, 11:40:42

Ich verstehe nicht, wieso der subjektive Rechtsbindungswille eine Voraussetzung für einen wirksamen Vertrag ist. Ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont ist doch trotzdem ein Vertrag zustande gekommen. Siehe auch

Trierer Weinversteigerung

, wo ein Vertrag trotz fehlendem Rechtsbindungswillen zustande kam.

TI

Timurso

14.6.2024, 12:33:02

Zunächst mal: Einen subjektiven Rechtsbindungswillen gibt es nicht. Was du meinst, ist das Erklärungsbewusstsein, das das Spiegelbild des Rechtsbindungswillens auf subjektiver Seite ist. Da liegt auch das Missverständnis, denn vorliegend fehlt es der F gerade nicht nur am Erklärungsbewusstsein (dann hätten wir die Parallele zur

Trierer Weinversteigerung

), sondern es fehlt am objektiven Rechtsbindungswillen, ohne den keine Willenserklärung vorliegt.

JUL

Julia

18.6.2024, 16:33:21

Danke! Jetzt hab ich’s geschnallt. 👍


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