Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Versagung der Nutzung eines öffentlichen Gebäudes - Zwei-Stufen-Theorie


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Klassisches Klausurproblem

Die S-GmbH, welche zu 100 % im Eigentum der Gemeinde G steht, vermietet den Einwohnern der Gemeinde regelmäßig für kulturelle Veranstaltungen einen großen Saal. Abweichend von der üblichen Praxis wird dem Einwohner A die Benutzung nicht gestattet. A fühlt sich ungerecht behandelt und möchte klagen.

Einordnung des Falls

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Versagung der Nutzung eines öffentlichen Gebäudes - Zwei-Stufen-Theorie

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als streitentscheidende Normen kommen sowohl öffentlich-rechtliche (Landesgemeindeordnung) als auch zivilrechtliche (§ 535 BGB) in Betracht.

Ja!

Gegenstand der Klage muss eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit sein (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Nach der Sonderrechtstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Art, wenn die streitbestimmenden Normen öffentlich-rechtliche sind. Vorliegend kommen sowohl Anspruchsgrundlagen aus der einschlägigen Landesgemeindeordnung als auch § 535 BGB in Betracht. Es ist auf die Zwei-Stufen-Theorie abzustellen.

2. Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlicher Art.

Genau, so ist das!

Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn sowohl der Kläger als auch der Beklagte am Verfassungsleben unmittelbar Beteiligte (insbesondere Verfassungsorgane) sind (formeller Gesichtspunkt) und sich die Beteiligten um die Abgrenzung verfassungsrechtlicher Kompetenzen streiten (materieller Gesichtspunkt) (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit). Vorliegend streiten ein Bürger und eine Gemeinde; keiner von beiden ist unmittelbar am Verfassungsleben beteiligt. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art.

3. Für die Streitigkeit zwischen A und G gibt es eine aufdrängende Sonderzuweisung zum Verwaltungsrechtsweg.

Nein, das trifft nicht zu!

Aufdrängende Sonderzuweisungen haben Vorrang vor der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Für die Streitigkeit zwischen A und G gibt es jedoch keine aufdrängenden Sonderzuweisungen. Es kommt also auf die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO an. Aufdrängende Sonderzuweisungen gibt es z.B. für Streitigkeiten aus öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen: § 126 Abs. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 1 BeamtStG für Beamte (des Bundes bzw. des Landes), § 46 DRiG für Richter. Liegt keine aufdrängende Sonderzuweisung vor, genügt die Feststellung: "Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich."

4. A begehrt mit seiner Klage, dass der Saal überhaupt an ihn vermietet wird. Sein Begehr betrifft nach der Zwei-Stufen-Theorie die erste Stufe, das „Ob“ der Überlassung.

Ja!

Können die streitentscheidenden Normen sowohl öffentlich-rechtlich als auch zivilrechtlich sein, ist zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ des Begehrs zu unterscheiden (Zwei-Stufen-Theorie). A begehrt die Zurverfügungstellung des Saals. Deshalb betrifft sein Begehr nach der Zwei-Stufen-Theorie die erste Stufe, das „Ob“ der Überlassung. Auf die Ebene des „Wie“, zu Modalitäten der Nutzung des Saals, ist A noch gar nicht gekommen.

5. Die Frage, ob der Saal an A vermietet wird, richtet sich nach einschlägigem Landeskommunalrecht. Die Streitigkeit ist daher öffentlich-rechtlich.

Ja, in der Tat!

In Fällen, in denen Zugang zu einer Nutzung begehrt wird, richten sich die streitentscheidenden Normen danach, wer den Zugang zu der Einrichtung eröffnet. Handelt es sich um eine öffentliche Einrichtung, sind streitentscheidend die Normen des einschlägigen Landeskommunalrechts, die einen Zugangsanspruch des Bürgers zu öffentlichen Einrichtungen normieren. Eine öffentliche Einrichtung wird im öffentlichen Interesse unterhalten und durch einen Widmungsakt der allgemeinen Benutzung zugänglich gemacht. Der Saal ist vorliegend eine öffentliche Einrichtung. Die streitentscheidenden Normen sind daher öffentlich-rechtlich.

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🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

23.1.2020, 15:20:25

Welche öffentlich-rechtliche Normen kämen denn hier in Betracht?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

24.1.2020, 11:52:27

Hallo LEXDEROGANS, hier kommen als öffentliche Normen die Normen der jeweils einschlägigen Landesgemeindeordnung in Betracht. Die Gemeindeordnungen der Länder räumen den Gemeindebürgern in aller Regel ein Recht ein, die öffentlicher Einrichtungen ihrer Gemeinde zu nutzen (z.B. § 10 Abs. 2 S. 2 GemO BW, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GO Bayern, § 8 Abs. 2 GO NRW).

Dogu

Dogu

12.11.2023, 12:03:24

Vielleicht könnten diese Fundstellen in der Aufgabe ergänzt werden?

SN

Sniter

13.8.2022, 16:30:47

Warum kommen hier zivilrechtliche Normen als streitentscheidende Normen in Betracht? Die GmbH möchte ganz offensichtlich keinen Vertrag schließen..,

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.8.2022, 18:52:33

Hallo Sniter, A möchte den Saal mieten. Für mietrechtliche Fragen sind grundsätzlich zivilrechtliche Normen einschlägig. Du hast Recht, dass die GmbH keinen Vertrag schließen will. Dadurch geht es vorliegend geht wie die Lösung auch herausarbeitet nicht um die Art und Weise der Vermietung, also das "wie" sondern das "ob". A begehrt also den Abschluss eines Mietvertrages, da könnte man natürlich überlegen, ob überhaupt der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Vorliegend ist die S aber 100 % in kommunaler Hand. Nach der Zwei-Stufen-Theorie ist bei Fragen des "Ob" des Vertragsschlusses der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

16.12.2023, 21:00:02

Mal davon abgesehen, gibt es in Ausnahmefällen auch einen Kontrahierungszwang im Zivilrecht. Also könnten auch zivilrechtliche Normen streitentscheidend sein, wenn der gewünschte Vertragspartner den Vertrag nicht schließen will.

HA

Ha

13.10.2023, 14:51:13

Die Antwort zu Beginn ist falsch. Wie kann man zu Beginn behaupten, dass sowohl der Verwaltungsrechtsweg als auch der Weg zu den Zivilgerichten offensteht, wenn man am Ende feststellt, dass nur der Verwaltungsrechtsweg offensteht. Du kannst gar nicht zivilrechtlich jemanden darauf verklagen, einen Vertrag mit dir zu schließen, ohne sich je zuvor vertraglich gebunden zu haben. Zumal ihr am Ende selbst feststellt, dass nur der Weg zu den Verwaltungsrechtswegen hier einschlägig ist.

SE.

se.si.sc

13.10.2023, 17:37:55

In der Lösung wird an keiner Stelle behauptet, dass sowohl der Verwaltungsrechtsweg als auch der Weg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, das versuchen wir ja gerade zu klären. Dazu stellen wir zunächst fest, dass keinerlei Sonderzuweisungen ersichtlich sind. Dementsprechend kommt es nach der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO darauf an, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, ob also die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Hierzu wird dann festgestellt, dass das nicht eindeutig ist, weil sowohl zivilrechtliche Vorschriften (§§ 535 BGB) als auch öffentlich-rechtliche (jeweilige Landes-GO) einschlägig sein könnten (!) - was ja nicht falsch ist. Die 2-Stufen-Theorie bringt uns dann hier zum Ergebnis, dass für die Stufe des "Ob" der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Das alles sieht mir nach einer gutachterlich sauberen Lösung aus; einen Fehler sehe ich hier wie gesagt nicht.

HA

Ha

13.10.2023, 18:05:13

wenn ich aber bereits vorher weiß, dass nur der Verwaltungsrechtsweg einschlägig ist, dann kommt der Zivilrechtsweg gerade nicht in Betracht. Daher ist die Formulierung wirklich ungünstig.

SE.

se.si.sc

13.10.2023, 18:55:51

In Betracht kommt erstmal vieles. Gerade in der Gutachtenklausur geht es nicht nur darum, das Ergebnis zu präsentieren, sondern vor allem den Weg dorthin. Dazu gehört es eben auch, plausible und nahliegende, aber im Ergebnis nicht vorliegende Aspekte anzusprechen. In einer Urteilsklausur und erst recht in einem Urteil in der Praxis sieht das dann natürlich anders aus.

HA

Ha

13.10.2023, 19:05:44

glaube, meine Kritik wird gerade falsch aufgefasst. Es geht nicht darum, alles schlecht zu reden. Es geht darum, dass dadurch ein falscher Eindruck erweckt wird und man das vllt ändern sollte. Denn wenn ich das Ergebnis kenne, verleitet es mich dazu die falsche Antwort anzuklicken.

SE.

se.si.sc

14.10.2023, 09:05:17

Keine Sorge, ich hab's nicht so verstanden, dass du alles schlecht reden willst. Ich bin nur der Meinung, dass "in Betracht kommen", wie es in der Frage formuliert ist, eine recht offene Formulierung ist. Wenn etwas in Betracht kommt, ist es nicht ganz fernliegend, muss aber auch nicht zwingend das richtige Ergebnis sein. Beispiel aus dem Zivilrecht: Fitnessstudiovertrag, was ist das? In Betracht kommt zB ein reiner Dienstvertrag, ein reiner Mietvertrag oder ein gemischttypischer Vertrag. Im Ergebnis ist es dann natürlich nur eines davon, das heißt aber nicht, dass die anderen nicht in Betracht kommen. So verstehe ich jedenfalls die Formulierung "in Betracht kommen".

Nocebo

Nocebo

24.5.2024, 16:41:23

Tatsächlich kommt auch der Zivilrechtsweg in Betracht - aber eben nicht gegen die Gemeinde, sondern nur gegen die GmbH selbst.


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