Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Ermessen und Verhältnismäßigkeit

Ermessensfehler (Unverhältnismäßigkeit): Fall 1

Ermessensfehler (Unverhältnismäßigkeit): Fall 1

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist mehrfach beim Fahren eines PKW ohne die erforderliche Fahrerlaubnis erwischt wurden. Um weitere Schwarzfahrten zu verhindern, ordnet die zuständige Polizeibehörde nach Anhörung der A an, dass diese sich wöchentlich auf der Dienststelle melden muss. A hält das für rechtswidrig.

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Einordnung des Falls

Ermessensfehler (Unverhältnismäßigkeit): Fall 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Rechtmäßigkeit der Meldeauflage scheitert bereits am Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage.

Nein!

Belastendes, staatliches Handeln bedarf zunächst einer gesetzlichen Grundlage (Vorbehalt des Gesetzes). Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Meldeauflage findet sich im jeweiligen landesrechtlichen Polizeigesetz (z.B. § 16a Abs. 1 NPOG , Art. 16 Abs. 2 S. 2 PAG, § 11a SOG HH). An der Rechtmäßigkeit der Gesetze bestehen keine Zweifel. Die Polizeibehörde wurde aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage tätig. Die Rechtmäßigkeit einer Ermächtigungsgrundlage diskutierst Du nur, wenn dies in der Klausur angelegt ist - es also z.B. Hinweise dazu gibt, dass das Gesetz nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist oder andere verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
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2. Die Anordnung müsste zunächst formell rechtmäßig sein.

Genau, so ist das!

Die Anordnung der Meldeauflage ist formell rechtmäßig, wenn die zuständige Behörde die Verfahrens- und Formvorschriften eingehalten hat. Neben besonderen formellen Voraussetzungen der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage sind vor allem die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts zu beachten, insbesondere die Anhörung (§ 28 VwVfG) und die Form des Verwaltungsakts (§ 37 VwVfG). Es bestehen keine Bedenken bezüglich der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung. Insbesondere hat die zuständige Behörde den Verwaltungsakt nach Anhörung des Betroffenen erlassen. Auch hier gilt: Achte darauf, was im Sachverhalt angelegt und problematisiert wird.

3. A lebt in Niedersachsen. Der Tatbestand des § 16a Abs. 1 NPOG ist erfüllt.

Ja, in der Tat!

Die materielle Rechtmäßigkeit der staatlichen Maßnahme setzt zunächst voraus, dass der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage erfüllt ist. Nach § 16a Abs. 1 NPOG kann die Polizei eine Meldeauflage unter anderem dann anordnen, wenn wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Tatbestandlich muss also zunächst eine Gefahr bestehen. Es besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darin, dass A erneut ohne Fahrerlaubnis fahren könnte. Dies ist kein landesrechtliches Problem, die gewählte landesrechtliche Norm dient nur zur Verdeutlichung. In allen anderen Bundesländern gilt für die Parallalnormen Entsprechendes.Ob die Maßnahme zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, ist eine Frage, die auf Rechtsfolgenseite geprüft wird.

4. Die Polizei handelt ermessensfehlerhaft, weil die Maßnahme nicht verhältnismäßig ist.

Ja!

Wenn der Tatbestand erfüllt ist, muss noch geprüft werden, ob die Behörde die richtige Rechtsfolge gewählt hat. Handelt es sich um eine Ermessensnorm, kann das Handeln der Behörde nur auf Ermessensfehler überprüft werden. Ein Ermessensfehler liegt dann vor, wenn die Maßnahme nicht verhältnismäßig ist. Dies ist in § 16a Abs. 1 NPOG auch ausdrücklich mit dem Merkmal der „Erforderlichkeit“ angelegt. Die Maßnahme ist hier schon nicht verhältnismäßig, weil das gewählte Mittel der Meldeauflage völlig ungeeignet ist, um den legitimen Zweck der Gefahrenabwehr zu erreichen. Es ist nicht ersichtlich, wie das wöchentliche Erscheinen der A auf der Dienststelle sie davon abbringen soll, ohne Fahrerlaubnis zu fahren. Die Meldeauflage ist (materiell) rechtswidrig.Hier könnte man (zusätzlich) auch an eine Zweckverfehlung im Sinne eines Ermessensfehlgebrauchs denken.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EL

Elisa

14.2.2023, 21:18:17

Könnte man vielleicht perspektivisch noch speziellere Aufgaben zur Begründetheitsprüfung machen? Zur Vorladung zum Beispiel? Denn gerade da sind ja in der Prüfung die Punkte zu holen und ich würde mich weit sicherer fühlen, wenn ich das noch mehr vertiefen und wiederholen könnte :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.2.2023, 11:55:21

Hallo Elisa, danke für deinen Input. Das nehmen wir gerne mit in unsere Planungen für die künftige Aufgabenerstellung. Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du die gesamte Rechtmäßigkeitsprüfung oder nur die

materielle Rechtmäßigkeit

? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DO

Dominic

21.8.2023, 19:55:15

In NRW gibt es meines Wissens keine spezielle EGL für den Erlass einer

Meldeauflage

. Vielleicht könntet ihr diesbezüglich den Streit darüber aufnehmen, ob das Problem bereits so "vertypt" ist, dass die Generalklausel inzwischen keine taugliche EGL mehr darstellt und es eine spezielle EGL brauche. Ich glaube für eine weitere Anwendbarkeit der Generalklausel wird oft auf die bloß geringe Grundrechtsintensität hingewiesen.

VALA

Vanilla Latte

23.10.2023, 00:38:12

weiß einer von den Jurafüchsen mehr?

PAT

Patrick4219

2.2.2024, 18:43:33

Ich würde hier auch damit argumentieren, dass die Gesetzgebung Ländersache ist. Allein weil viele andere Länder spezielle Regelungen für eine

Meldeauflage

haben, kann nicht darauf geschlossen werden, dass in anderen Länder ohne entsprechende EGL, der Landesgesetzgeber bewusst generell auf das Mittel der

Meldeauflage

verzichtet hat. Würde man hier eine Ausstrahlungswirkung annehmen, so könnte bspw. Thüringen durch seine Gesetzgebung Einfluss auf die Auslegung der Gesetze in Hessen nehmen. Dies wäre aus meiner Sicht jedoch ein Verstoß gegen das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens und findet im GG keinen Niederschlag. Kurz: Die Gesetzgebung in Land X darf keinen Einfluss auf die Auslegung von Gesetzen in Land Y haben.

TO

Tom98

30.5.2024, 10:03:25

Also ich finde das gar nicht so unsinnig. Sicher gibt es sinnvollere Maßnahmen, aber der Betroffene wird immerhin ein mal die Woche an die Existenz von Recht und Ordnung erinnert. Das kann mMn durchaus was bringen.

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

30.5.2024, 15:10:59

Hallo Tom98, das mag sein, die Erforderlichkeit bestimmt sich jedoch auch nach dem Zweck. Und Sinn und Zweck der Gefahrenabwehr ist es nicht, den einzelnen Bürger zu erziehen, sondern die Gefahr, die von ihm ausgeht, zu verhindern. Die Gefahr des Schwarzfahrens wird nicht eingedämmt dadurch, dass er sich einmal die Woche bei der Polizei meldet.  Viele Grüße  Max - Für das Jurafuchs-Team


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