Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Ermessen und Verhältnismäßigkeit

Ermessensfehler (Unverhältnismäßigkeit): Fall 2

Ermessensfehler (Unverhältnismäßigkeit): Fall 2

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Baubehörde B erlässt eine formell rechtmäßige Abrissverfügung gegenüber der kleinen Hexe H, weil ihr Haus die gesetzlichen Abstandsgrenze zur Nachbarin N um einen Zentimeter unterschreitet. Das Haus steht bereits seit 15 Jahren. H meint, die Abrissverfügung sei rechtswidrig.

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Einordnung des Falls

Ermessensfehler (Unverhältnismäßigkeit): Fall 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach den landesrechtlichen Bauordnungen kann die Behörde eine Abrissverfügung erlassen, wenn die bauliche Anlage dem öffentlichen Baurecht widerspricht.

Genau, so ist das!

Die zuständige Behörde kann den Abriss einer baulichen Anlage anordnen, wenn diese dem Öffentlichen Baurecht widerspricht (vgl. z.B. § 79 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 4 NBauO, § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW, § 65 Abs. 1 S. 1 LBO BW). Die Vorschriften räumen der Behörde ein Ermessen ein („kann“). B kann die Abrissverfügung grundsätzlich erlassen, wenn Hs Haus gegen Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt.
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2. Hs Haus steht im Einklang mit dem öffentlichen Baurecht.

Nein, das trifft nicht zu!

Das öffentliche Baurecht unterteilt sich in das (bundesrechtliche) Bauplanungs- und das (landesrechtliche) Bauordnungsrecht sowie die sonstigen baurechtsrelevanten Vorschriften. Vorschriften über einzuhaltende Grenzabstände finden sich in den jeweiligen landesrechtlichen Bauordnungen (vgl. z.B. Art. 8 BayBO, § 6 Abs. 1 S. 3 BauOBln, § 6 HBO). Hs Haus (= bauliche Anlage) hält die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstände nicht ein. Es steht damit im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht. Der Tatbestand der Abrissverfügung ist damit erfüllt.

3. Weil B Ermessen zusteht, ist Bs Handeln in jedem Fall rechtmäßig.

Nein!

Wenn der Tatbestand einer Norm erfüllt ist, so muss das Handeln der Behörde im zweiten Schritt auf der Rechtsfolgenseite überprüft worden. Bei gebundenen Entscheidungen stellt sich regelmäßig nur die Frage, ob die gewählte Rechtsfolge von der gesetzlichen Grundlage vorgesehen ist. Räumt ein Gesetz der Behörde Ermessen ein, kann die Behörde zwar gerichtlich nicht zu einer bestimmten Entscheidung gezwungen werden, allerdings ist das Handeln der Behörde auf Ermessensfehler überprüfbar (vgl. §§ 40, 114 S. 1 VwVfG). Bs Handeln ist nur dann rechtmäßig, wenn sie ermessensfehlerfrei gehandelt hat.

4. B handelte ermessensfehlerhaft. Die Abrissverfügung ist rechtswidrig.

Genau, so ist das!

Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn die Behörde eine Entscheidung trifft, die außerhalb des gesetzlich abgesteckten Rechtsfolgerahmens liegt (Beispiel: Die Behörde erhebt eine Gebühr von 100 Euro, obwohl das Gesetz eine maximale Gebühr von 80 Euro vorsieht.). Einige ordnen auch den Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Fall der Ermessensüberschreitung ein. Andere prüfen diesen im Rahmen des Ermessensmissbrauchs oder als selbstständigen Ermessensfehler. Die Abrissverfügung dient dem legitimen Zweck der Herstellung eines rechtmäßigen Zustands. Die Maßnahme ist grundsätzlich auch geeignet und erforderlich. Allerdings ist die Angemessenheit problematisch. Der Abriss von Hs Haus, welches schon seit 15 Jahren besteht, würde H sehr stark belasten. Der Abriss des ganzen Hauses steht in keinem Verhältnis dazu, dass der vorgeschriebene Abstand nur um einen Zentimeter unterschritten ist. Die gravierenden Folgen sind dadurch nicht gerechtfertigt.
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