Öffentliches Recht

Baurecht: Bauplanungsrecht

Beplanter Innenbereich (§ 30 BauGB)

Zulässigkeit eines Vorhabens im Gewerbegebiet (Ausnahme)

Zulässigkeit eines Vorhabens im Gewerbegebiet (Ausnahme)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Feuerbestattung-GmbH will ein Krematorium mit Abschiedsraum errichten. Der qualifizierte Bebauungsplan weist ein Gewerbegebiet aus.

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Einordnung des Falls

Zulässigkeit eines Vorhabens im Gewerbegebiet (Ausnahme)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist das von der Feuerbestattung-GmbH geplante Krematorium eine ausnahmsweise zulässige „Anlage für kulturelle Zwecke“ gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO?

Ja!

Anlagen für kulturelle Zwecke sind alle Anlagen, die in einem weiten Sinne einen kulturellen Bezug aufweisen. Das Krematorium dient als säkulare Bestattungseinrichtung einem kulturellen Zweck. Zu dieser gesellschaftlich anerkannten Bestattungskultur der Feuerbestattung gehört nicht nur die Beisetzung der Asche des Verstorbenen in einer Grabstätte, sondern auch der Vorgang der Einäscherung der Leiche.
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2. Wenn das Krematorium eine Anlage für kulturelle Zwecke (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) darstellt, kann es als Gewerbebetrieb (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) allgemein zulässig sein.

Nein, das ist nicht der Fall!

Diese Sperrwirkung des Ausnahmetatbestandes folgt aus der Systematik der BauNVO: Anlagen für kulturelle Zwecke sollen nur ausnahmsweise im Gewerbegebiet zulässig sein (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Dieser Wille des Verordnungsgebers würde umgangen, wenn man solche Anlagen ohne Rücksicht auf ihren besonderen Zweck unter den Begriff des Gewerbebetriebs subsumieren würde. Solche systematischen Argumentationen bei der Einordnung bestimmter Anlagen in die Gruppen und Begriffe der Baugebiete nach der BauNVO bringen Dir richtig Punkte.

3. Die Errichtung des Krematoriums im Gewerbegebiet kann gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden.

Ja, in der Tat!

Kann ein Vorhaben nach Maßgabe der Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans i.V.m. den Regelungen der BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden, so kommt § 31 BauGB zur Anwendung. Nach § 31 Abs. 1 BauGB können Ausnahmen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan ausdrücklich vorgesehen sind. Ausdrücklich vorgesehen sind die Ausnahmen nach Absatz 3 des jeweiligen BauNVO-Baugebiets. Die Errichtung des Krematoriums als Anlage für kulturelle Zwecke kann im Gewerbegebiet ausnahmsweise zugelassen werden (§ 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Das BVerwG verlangt außerdem, dass es sich um eine Gemeinbedarfsanlage i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB handelt, die Einrichtung also der Allgemeinheit dient. Da für eine Eingrenzung des Kreises der Nutzungsberechtigten nichts ersichtlich ist, liegt hier auch diese Voraussetzung vor.

4. Der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Krematoriums kann die ungeschriebene Voraussetzung der Gebietsverträglichkeit entgegenstehen.

Ja!

Die Gebietsverträglichkeit ist zu verneinen, wenn ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotenzial zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt. Die Prüfung vollzieht sich in zwei Schritten: (1) Ermittlung des generellen Gebietscharakter des jeweiligen Baugebietes (Absatz 1 des für das jeweilige Baugebiet einschlägigen Paragraphen (§§ 2–9 BauNVO)) und (2) Prüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem dergestalt bestimmten Gebietscharakter des jeweiligen Baugebietes. Die Gebietsverträglichkeit ist als allgemeines Zulässigkeitskriterium für alle in einem Baugebiet nach der BauNVO allgemein zulässigen und – ganz besonders – für die dort ausnahmsweise zulassungsfähigen Nutzungsarten anerkannt. Denn das Ziel des Verordnungsgebers, die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich zu bringen, kann nur erreicht werden, wenn die dem Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt.

5. Ist das Krematorium mit Andachtsraum gebietsverträglich?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Gebietsverträglichkeit ist zu verneinen, wenn ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotenzial zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt. Die Prüfung vollzieht sich in zwei Schritten: (1) Ermittlung des generellen Gebietscharakter des jeweiligen Baugebietes (Absatz 1 des für das jeweilige Baugebiet einschlägigen Paragraphen (§§ 2–9 BauNVO)) und (2) Prüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem dergestalt bestimmten Gebietscharakter des jeweiligen Baugebietes. (1) Gewerbegebiete dienen gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird. Nach dem Leitbild der BauNVO ist ein Gewerbegebiet den produzierenden und artverwandten Nutzungen vorbehalten. (2) Ein Krematorium mit Abschiedsraum ist in besonderer Weise störempfindlich. Es stellt ähnlich wie ein Friedhof einen Ort der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen dar. Der übliche Umgebungslärm und die allgemeine Geschäftigkeit eines Gewerbegebiets stehen dazu im Widerspruch.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BL

Blotgrim

29.7.2023, 10:13:47

Ich hätte jetzt eher darauf abgestellt, dass das Krematorium aufgrund der Verbrennungen eine Belastung darstellt, wegen dem was das aus dem Schornstein kommt usw. ginge das auch. Ich wäre nämlich jetzt so rangegangen ob das Vorhaben das Gebiet beeinträchtigen würde, nicht ob das Gebiet das Vorhaben beeinträchtigen würde Lg

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.7.2023, 17:53:11

Hallo Blotgrim, in der Tat wird man beim ersten Zugriff erst einmal an Störungen denken, die von dem geplanten Gebäude ausgehen. Das Kriterium der Gebietsverträglichkeit, welches über den Gebietserhaltungsanspruch auch drittschützend wirkt, dient aber insgesamt dazu, potentiellen Konflikten im Plangebiet vorzubeugen (zB spätere Unterlassungsansprüche des Krematoriums ggü. seinen Nachbarn). Insoweit sind nicht nur Störungen des Gebietes bei der Gebietsverträglichkeit zu prüfen, sondern auch die Auswirkungen auf das geplante Bauvorhaben in den Blick zu nehmen. Regelmäßig ist deshalb spiegelbildlich zu störenden Gebäuden auch bei besonders störempfindliche Vorhaben (zB Krematorium, Altenheim...) die Gebietsverträglichkeit sorgfältig zu prüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

sinaaaa

20.3.2024, 15:16:52

Ich verstehe die Vorgehensweise nicht. Vorliegend schaut man, ob eine Feuerbestattung zulässig ist. Diese ist in den Ausnahmen mit aufgelistet. Ich soll aber trotz dessen kein Gewerbegebiet annehmen? Dann müsste ich ja bei jeder Ausnahme auf den Sinn und Zweck eingehen? Ich dachte ich überprüfe nur § 15 BAUNVO oder

§ 31 BauGB
Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

2.4.2024, 17:46:25

Hallo sinaaaa, danke für Deine Nachfrage! Ein Gewerbegebiet und damit die zwingende Anwendung des § 8 BauNVO liegt auf jeden Fall vor, das ergibt sich aus der Ausweisung im Bebauungsplan (lies dazu einmal § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Vielleicht hilft es Dir, wenn wir das wirklich komplizierte Prüfprogramm der Gebietsverträglichkeit noch einmal aufdröseln: 1. Für die Zulässigkeit des Krematoriums im vorliegenden Gewerbegebiet ist zunächst § 8 BauNVO maßgeblich (§ 30 I BauGB, §§ 1 Abs. 3 Satz 2, 8 BauNVO). Rein tatbestandlich (!) besteht danach ausnahmsweise Zulässigkeit als Anlage für kulturelle Zwecke, § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB). 2. Aber: Neben dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 BauNVO existiert noch die ungeschriebene Voraussetzung der Gebietsverträglichkeit. Danach muss jeder Zulässigkeitstatbestand der BauNVO (hier Abs. 3 Nr. 2: "Anlagen für kulturelle Zwecke") einschränkend im Lichte der Zweckbestimmung des jeweiligen Gebietstypus ausgelegt werden. Dieser ergibt sich immer aus dem Abs. 1 der anwendbaren Norm (hier: § 8 BauNVO, also: "Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben"). Bereits abstrakt sollen so Vorhabentypen (doch) nicht zulässig sein, die nicht zu der Zweckbestimmung passen und daher "stören". Danach passen Krematorien ganz allgemein nicht in Gewerbegebiete. 3. § 15 BauNVO beleuchtet demgegenüber immer das konkrete Vorhaben, fraglich wäre also - würde man hier so weit kommen - ob das konkrete Krematorium der Feuerbestattung-GmbH im konkreten Gewerbegebiet ausnahmsweise unzulässig wäre. Ich hoffe, das hat geholfen. Ansonsten frag gerne noch einmal nach. :) Beste Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team, @[Lukas_Mengestu](136780)

L.G

L.Goldstyn

24.8.2024, 11:39:47

Super hilfreiche Antwort @[Merle_Breckwoldt](241588), vielen Dank!


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