Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Rechtsstellung des Bundestags & der MdB

Grenzen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs

Grenzen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Berliner Journalist J begehrt beim Bundestag Auskünfte zu Immunitätsangelegenheiten, u.a. zu Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete. Der Bundestag lehnt dies unter Hinweis auf Art. 46 GG ab. J meint, er habe einen Anspruch auf Erteilung der Auskünfte.

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Einordnung des Falls

Grenzen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Auskunftsanspruch des J ergibt sich aus § 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Nein, das trifft nicht zu!

Jeder hat gegenüber den Behörden des Bundes einen grundsätzlich voraussetzungslosen Anspruch auf Informationszugang (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG). Diese gesetzgeberische Grundentscheidung dient vor allem der Transparenz und der Kontrolle staatlichen Handelns. Allerdings hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 S. 2 IFG den parlamentarischen Bereich vom Recht auf Informationszugang ausgenommen. Der Bundestag ist danach nur informationspflichtig, soweit er Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Dazu zählt jedoch nicht die Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten wie z.B. die Wahrung der Rechte seiner Mitglieder in Immunitätsangelegenheiten.
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2. Die Landespressegesetze (hier: § 4 Abs. 1 PresseG Berlin) regeln spezielle Auskunftsansprüche der Presse gegenüber Behörden.

Ja!

Die Pressegesetze der Länder normieren landesrechtliche Auskunftsansprüche der Presse gegenüber Behörden (z.B. § 4 Abs. 1 PresseG Berlin). Dies beruht auf der Kompetenzordnung des GG: Die Regelung behördlicher Auskunftspflichten gegenüber der Presse lässt sich wesensmäßig dem Presserecht zuordnen. Dafür sind die Länder zuständig, da Art. 73 und 74 GG es nicht dem Bund zuweisen (RdNr. 12). In besonderen Fällen kann ein Landespressegesetz aber wegen entgegenstehender Kompetenz des Bundes unanwendbar sein (Art. 70 Abs. 1 GG). Mangels ausdrücklicher Zuweisung in Art. 73 und 74 GG sind solche Fälle nur bei Annexkompetenzen des Bundes denkbar.

3. Die Regelungskompetenz für Auskunftsansprüche zur Rechtsstellung der Abgeordneten liegt beim Bund (Art. 38 Abs. 3, Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG). Das Landespressegesetz ist nicht anwendbar.

Genau, so ist das!

BVerwG: Das GG weist die Regelungskompetenz für Auskunftsansprüche zur Rechtsstellung der Abgeordneten als Annexkompetenz dem Bundesgesetzgeber zu. Nach Art. 38 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG sind Einzelheiten der Rechtsstellung der Abgeordneten durch Bundesgesetz zu bestimmen. Über Auskunftspflichten, die diesen Bereich und damit die Selbstorganisation des Bundes betreffen, hat der Bundesgesetzgeber in Ausübung seiner Annexkompetenzen selbst zu entscheiden. Von dieser Kompetenz hat er bisher keinen Gebrauch gemacht – es existiert (noch) keine bundesgesetzliche Regelung für einen presserechtlichen Auskunftsanspruch (RdNr. 12).

4. Wenn das Landespresserecht aus Kompetenzgründen nicht anwendbar ist, folgt ein Auskunftsanspruch der Presse unmittelbar aus der Verfassung (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).

Ja, in der Tat!

Nach stRspr des BVerwG (seit BVerwGE 146, 56) verleiht die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) in solchen Fällen einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch gegenüber Bundesbehörden. Dieser folge aus der Funktion der Presse in der freiheitlichen Demokratie, namentlich ihrer Informations- und Kontrollfunktion (RdNr. 13). Der Anspruch ist auf das Niveau eines „Minimalstandards“ zu begrenzen: Presseangehörige können auf hinreichend bestimmte Fragen Auskünfte verlangen, soweit die begehrten Informationen bei der Behörde tatsächlich vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater nicht entgegenstehen.

5. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) beschränkt sich auf das Verwaltungshandeln von Bundesbehörden (sog. funktionaler Behördenbegriff).

Ja!

Richtig! Das BVerwG geht in stRspr davon aus, dass der Anspruch allein gegenüber Bundesbehörden im funktionalen Sinne geltend gemacht werden kann. Es gilt also – wie auch bei § 1 Abs. 1 S. 2 IFG – der funktionale Behördenbegriff (RdNr. 15f.). Damit sind nur solche Behörden anspruchsverpflichtet, die Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Der Begriff der Verwaltungstätigkeit ist dabei grundsätzlich negativ im Wege der Abgrenzung zu den anderen Staatsfunktionen (Gesetzgebung und Rechtsprechung) zu bestimmen (sog. Subtraktionsmethode). Nicht zur Verwaltungstätigkeit gehören somit z.B. parlamentarische Angelegenheiten der Gesetzgebung.

6. Immunitätsangelegenheiten von Abgeordneten sind Teil der Verwaltungsangelegenheit des Deutschen Bundestages.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerwG: Immunitätsangelegenheiten seien dem Parlament verfassungsrechtlich durch Art. 46 Abs. 2 bis Abs. 4 GG garantiert und zugeordnet und damit Teil der parlamentarischen Angelegenheiten des Bundestages. Der Zweck dieses Privilegs sei die Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages. Voraussetzung der effektiven Arbeit des Bundestages sei es nämlich, dass jeder Abgeordnete an Verhandlungen und Entscheidungen ungestört mitwirken könne; strafrechtliche Ermittlungen beeinträchtigten diese Arbeit. Somit unterfallen Immunitätsangelegenheiten „insgesamt und ohne Differenzierungen“ der Parlamentsautonomie (RdNr. 17).

7. Da sich das Auskunftsbegehren des J nicht auf ein Verwaltungshandeln des Bundestages richtet, ist ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) zu verneinen.

Ja, in der Tat!

Nach Ansicht des BVerwG sei der Anwendungsbereich des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs nicht eröffnet, wenn parlamentarische Angelegenheiten wie Immunitätsangelegenheiten von Abgeordneten betroffen sind (RdNr. 14). Der pauschale Ausschluss von Immunitätsangelegenheiten („insgesamt und ohne Differenzierungen“) kann jedoch durchaus kritisch betrachtet werden. Vor allem ist fraglich, ob eine entsprechende Berichterstattung über Parlamentarier den Bundestag tatsächlich in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt oder ob sie vielmehr einen disziplinierenden, politisch begrüßenswerten Effekt hätte.

8. Ein Auskunftsanspruch des J kann sich hier jedoch aus Art. 10 EMRK ergeben.

Nein!

Nach der Rspr des EGMR ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 EMRK ein Recht der Presse auf Zugang zu Verwaltungsinformationen. BVerwG: Es spreche viel dafür, dass das von J als Journalist und somit in seiner Funktion als „public watchdog“ geltend gemachte Auskunftsbegehren von Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst wird. Es sei allerdings nicht ersichtlich, dass die nach innerstaatlichem Recht bestehenden Grenzen des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs – bei Beachtung des Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten – den Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht genügen (RdNr. 18). Ein Auskunftsanspruch des J besteht somit nicht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

28.11.2022, 21:17:09

Ich glaube, euch ist ein Fehler unterlaufen: Bezüglich der Frage, ob die Angelegenheiten zur Immunität dem Bundestag zuzuordnen seien, müsste die Antwort "stimmt" lauten; jedenfalls ergibt sich das meiner Meinung nach aus der Antwort.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

30.11.2022, 16:30:29

Hallo DeliktusMaximus, danke für deine Rückmeldung. Ich denke du meinst folgende Frage: Immunitätsangelegenheiten von Abgeordneten sind Teil der Verwaltungsangelegenheit des Deutschen Bundestages. Da geht es nicht darum, ob sie dem Bundestag zuzuordnen sind sondern ob sie Teil der Verwaltungstätigkeit des Bundestages sind. Das ist aber falsch. Immunitätsangelegenheiten sind nicht Teil der Verwaltung, also des BT als

Behörde

sondern gehören zum geschützten Kern der legislativen Tätigkeit. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Simon

Simon

15.3.2023, 00:21:25

Ich finde die Entscheidung des BVerwG nicht überzeugend. Sofern man der Presse einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch aus Art. 5 I 2 GG zugesteht und diesen mit der Kontrollfunktion der Presse begründet, greift dies mE auch für parlamentarische Angelegenheiten. Auch die Legislative ist Teil der staatlichen Gewalt, und bedarf der Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Das zeigt schon Art. 42 I 1 GG, der die grundsätzliche Öffentlichkeit von Bundestagssitzungen festlegt. Daher fände ich es schlüssiger, hätte das BVerwG eine Abwägung mit der Immunität der Abgeordneten vorgenommen. Dabei könnte man, wie ich finde, durchaus zugunsten des Informationsanspruches argumentieren. Presseberichterstattung beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht so stark wie ein Strafverfahren. Hinzu kommt, dass eine materielle Verletzung des Strafrechts in Rede steht, wodurch sich ein großes öffentliches Interesse an der Berichterstattung ergibt. Durch die Behauptung, der verfassungsrechtliche Auskunftsanspruch umfasse nur Verwaltungshandeln, entzieht sich das BVerwG hier nur einer solchen Abwägung, die es zumindest im Rahmen von Art. 10 EMRK hätte anstellen müssen.

A143

Anna C. 143

29.12.2023, 09:52:13

Liebes Jura Fuchs Team was wären dann Beispiele für Verwaltungstätigkeiten des BT? LG

LELEE

Leo Lee

30.12.2023, 15:25:05

Hallo Anna C. 143, Beispiele für einen verwaltende Tätigkeit des Bundestags wären folgende: Abteilungen für Petitionen und Eingaben, der wissenschaftliche Dienst, Abteilung für Bau und Gebäudemangement und viele mehr. Hierzu kann ich dir den Organisationsplan des deutschen Bundestags sehr empfehlen (findest du hier: https://www.bundestag.de/resource/blob/909948/b5977bb9fb833501911e1ea0ceb15d35/orgplan-de-bf--data.pdf) :). Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir das Jurafuchsteam!

G0D0FM

G0d0fMischief

1.11.2024, 15:12:11

Hallo, in einer vorhergehenden Aufgabe wurde gesagt, das Art. 5 I 2 GG keinen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch begründet. Während in dieser Aufgabe das Gegenteil behauptet wird. Scheinbar scheint es in bestimmten Konstellationen möglich, einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch auf Art. 5 I 2 GG zu stützen. Da sich jedoch nur in Teilen und im Zusammenhang aus beiden Aufgaben ableiten lässt wann dies der Fall ist, wäre es schön, wenn ihr eine gesonderte Aufgabe hinzufügt, in welcher ihr abstrakt den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch darstellt und wann ein solcher zu bejahen bzw. zu verneinen ist. Mir selbst ist dies nämlich noch nicht so ganz klar. Vielleicht wäre es zudem sinnvoll eine zweite Aufgabe hinzuzufügen, in welcher die gedanklichen Prüfungsschritte dargestellt werden.

FalkTG

FalkTG

19.11.2024, 21:00:39

Meines Verständnisses nach geht es hier um die Pressefreiheit die auch Informationsbeschaffung zum Gegenstand hat. Es gibt also 3 Fälle: 1. IFG (hat nichts mit Art. 5 GG zu tun) 2. Pressefreiheit (Bericht + Informationssammlung, konkretisiert durch PresseG) ==> Wenn kein PresseG, dann Art. 5 (dieser Fall!) 3. "Informationsfreiheit" => Unterrichtung aus allgemein zugänglichen Quellen.


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