Strafrecht

BT 5: Verkehrsdelikte

Verbotene Kraftfahrzeugrennen, § 315d StGB

§ 315d Abs. 4 StGB: Keine Einwilligung in ein konkretes Gefährdungsdelikt?

§ 315d Abs. 4 StGB: Keine Einwilligung in ein konkretes Gefährdungsdelikt?

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will mit seinem Motorrad extrem schnell durch die Kieler Innenstadt rasen. O lässt sich von T mitnehmen, da er sich davon einen belebenden Geschwindigkeitsrausch erhofft. Infolge der überhöhten Geschwindigkeiten stürzen sie. O erleidet einige Prellungen.

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Einordnung des Falls

§ 315d Abs. 4 StGB: Keine Einwilligung in ein konkretes Gefährdungsdelikt?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich als Kfz-Führer im Straßenverkehr mit nicht angepasster Geschwindigkeit grob verkehrswidrig fortbewegt (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Ja!

Nicht angepasst ist eine Geschwindigkeit, die eine Geschwindigkeitsbegrenzung verletzt oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderläuft (vgl. auch § 3 Abs. 1 StVO). Die grobe Verkehrswidrigkeit ist bei einem besonders schweren Verstoß gegen Verkehrsregeln gegeben. Ein solcher ist insbesondere bei der doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit anzunehmen. Da T mit seinem Motorrad extrem schnell durch die Kieler Innenstadt gerast ist, hat er sich als Kfz-Führer mit nicht angepasster Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 StVO) grob verkehrswidrig im Straßenverkehr fortbewegt.
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2. Es bestand eine konkrete Gefahr für O als taugliches Gefährdungsopfer (§ 315d Abs. 2 StGB).

Genau, so ist das!

§ 315d Abs. 2 StGB setzt eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn es zu einer Schädigung oder einem Beinahe-Unfall kommt. Ein anderer ist nach h.M. jeder von der Person des Täters verschiedene lebende Mensch, der nicht Tatbeteiligter ist. Dass O den T in seiner Fahrabsicht bestärkt hätte, ist nicht ersichtlich. Allein die bloße Mitfahrt auf dem Motorrad eines Rasers begründet keine (psychische) Beihilfe. O war mithin als taugliches Gefährdungsopfer konkret gefährdet, sogar verletzt.

3. Der Zurechnungszusammenhang wurde nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit durchbrochen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung durchbricht den Zurechnungszusammenhang. Sie ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen, welche den Zurechnungszusammenhang nicht durchbricht. Dabei kommt es nach ganz h.M. darauf an, wer die Tatherrschaft über das Geschehen innehat. O fuhr zwar auf dem Motorrad mit, obwohl er von der Geschwindigkeitsjagd wusste. Die Tatherrschaft lag jedoch allein in den Händen des T als Kfz-Führer. Somit liegt ein Fall der Fremdgefährdung vor.

4. T hat den subjektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht.

Nein!

§ 315d Abs. 2 StGB setzt Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung und des Gefahrerfolgs voraus. Der Täter muss dabei auch die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg im Sinne eines Beinahe-Unfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen und sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfinden. T raste vorsätzlich und verfolgte dabei rücksichtslos das Anliegen, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Hier ist (mangels hinreichender Anhaltspunkte) im Zweifel jedoch davon auszugehen, dass T darauf vertraute, dass keine Gefährdungssituation entstehen würde. T handelte in Bezug auf den Handlungs-, nicht aber den Gefährdungsteil vorsätzlich.

5. T hat den subjektiven Tatbestand des § 315d Abs. 4 i.V.m. Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht.

Genau, so ist das!

Bei § 315d Abs. 4 i.V.m. Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt es sich um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination. Erforderlich ist hinsichtlich des Handlungsteils Vorsatz und hinsichtlich des Gefährdungsteils Fahrlässigkeit (= objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit der Gefahr). Die Sorgfaltspflichtverletzung ergibt sich hier bereits aus dem vorsätzlichen Rasen. Ferner liegt es nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren, dass eine solche Geschwindigkeitsjagd zu einer kritischen Verkehrssituation, also zu einer konkreten Gefahr führt, so dass der Erfolg auch objektiv vorhersehbar war.

6. Nach Ansicht des BGH ist T gerechtfertigt, weil O in den Gefahrerfolg eingewilligt hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach Ansicht des BGH ist die Einwilligung des Gefährdeten bei der Verkehrsgefährdung schlechthin unbeachtlich, weil § 315d Abs. 4 StGB nicht Individualinteressen schütze, sondern vorrangig die allgemeine Verkehrssicherheit, die nicht zur Disposition des Gefährdeten steht. Das Merkmal der konkreten Individualgefährdung habe lediglich eine strafbegrenzende Funktion. Es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor. Eine vielfach in der Lit. vertretene Ansicht betont, dass die konkrete Individualgefährdung eine kumulative Voraussetzung des § 315d Abs. 4 StGB ist, weshalb durch eine Einwilligung das Unrecht des Gefährdungsteils kompensiert werde. Als Auffangtatbestand stünde § 315d Abs. 1 StGB zur Verfügung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DIAA

Diaa

29.9.2023, 11:30:45

Gilt das auch für eine Mitfahrt im Auto? Also wird der Beifahrer in solchem Falle als "anderer" behandelt?

LELEE

Leo Lee

1.10.2023, 12:11:34

Hallo Diaa, genauso ist es! Für eine Mitfahrt im Auto verhält es sich nicht anders. Somit könntest du im Fall das Wort „Motorrad“ mit dem Wort „Auto“ ersetzen und es würde der exakt gleiche Fall rauskommen, da auch der Beifahrer nicht die Tatherrschaft innehat :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AG

agi

16.10.2024, 00:06:53

Ich finde mit der richtigen Argumentation könnte man mit den Informationen aus dem SV durchaus eine Beihilfe des O annehmen, sodass er als taugliches

Tatobjekt

wegfallen würde.

LELEE

Leo Lee

20.10.2024, 12:56:44

Hallo agi, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen, weshalb wir den Text nunmehr entsprechend angepasst haben. Wir möchten uns bei dir vielmals dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AG

agi

16.10.2024, 00:08:58

Vorliegend wird §§ 315 d IV iVm I Nr.3 StGB zitiert. Müsste die Normkette vollständigkeitshalber nicht §§ 315 d IV iVm II, I Nr.3 StGB zitiert werden ?


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