Statthaftigkeit der VK bei Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen


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Klassisches Klausurproblem

R möchte neben seinem Wohnhaus einen Pferdestall errichten. Er beantragt eine Baugenehmigung für einen Stall mit Flachdach. Die zuständige Behörde genehmigt den Bau eines Stalls unter der Maßgabe, dass ein Satteldach statt des Flachdachs gebaut wird.

Einordnung des Falls

Statthaftigkeit der VK bei Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (§§ 68ff. VwGO) klagt R. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. Vorliegend sind Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage voneinander abzugrenzen.

Ja!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (vgl. § 88 VwGO). R begehrt den Erlass einer Baugenehmigung (= Verwaltungsakt) für einen Stall mit Flachdach. Vorliegend ist fraglich, ob R sein Klagebegehren mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) erreichen kann, gerichtet auf Erteilung der von ihm beantragten Baugenehmigung, oder ob er Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) erheben muss, gerichtet auf Beseitigung der behördlichen Maßgabe zur Errichtung eines Satteldachs. Dies hängt davon ab, wie die behördliche Maßgabe zur Errichtung eines Satteldachs verwaltungsrechtlich einzuordnen ist.

2. Verwaltungsakte können mit sog. Nebenbestimmungen erlassen werden.

Genau, so ist das!

Die Hauptregelung eines Verwaltungsakts kann durch zusätzliche Bestimmungen (Nebenbestimmungen) (§ 36 VwVfG) ergänzt oder beschränkt werden. Mit Hilfe von Nebenbestimmungen kann die Behörde auf einen beantragten Verwaltungsakt mit „Ja, aber...“ statt „Nein“ antworten. § 36 Abs. 1 VwVfG regelt Nebenbestimmungen zu gebundenen Verwaltungsakten. § 36 Abs. 2 VwVfG regelt Nebenbestimmungen zu Ermessensverwaltungsakten. Die einzelnen Typen von Nebenbestimmungen sind legal definiert (§ 36 Abs. 2 VwVfG): Befristung, Bedingung, Widerrufsvorbehalt, Auflage und Auflagenvorbehalt.

3. Nebenbestimmungen müssen von Inhaltsbestimmungen des Verwaltungsakts abgegrenzt werden.

Ja, in der Tat!

Nebenbestimmungen unterscheiden sich von Inhaltsbestimmungen eines Verwaltungsakts. Die Abgrenzung erfolgt durch Auslegung aus Sicht des Empfängerhorizonts. Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Wenn die Hauptregelung ohne den Zusatz sinnvoll bestehen bleiben kann, handelt es sich um eine Nebenbestimmung. Inhaltsbestimmungen werden auch als unechte Nebenbestimmungen bezeichnet - im Gegensatz zu echten Nebenbestimmungen.

4. Die behördliche Maßgabe, dass R ein Satteldach bauen muss, ist eine Nebenbestimmung in Form einer Auflage (§ 36 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG).

Nein!

Eine Auflage ist eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Die Maßgabe, dass R ein Satteldach bauen muss, ist abzugrenzen von einer Inhaltsbestimmung. Ohne die Maßgabe über die Dachart bleibt R nur eine Genehmigung eines Stalls ohne Dach. Dies ist aus Rs Sicht keine sinnvolle Genehmigung. Die Maßgabe der Behörde ist damit eine Inhaltsbestimmung. Eine solche Maßgabe wird oft als "modifizierende Auflage" bezeichnet. Sie ist aber gerade keine Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG), sondern eine Inhaltsbestimmung.

5. R begehrt den Erlass eines Verwaltungsakts. Statthaft ist die Verpflichtungsklage.

Genau, so ist das!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). R begehrt den Erlass der Baugenehmigung (= Verwaltungsakt) für einen Stall mit Flachdach. Die Behörde hat mit der Maßgabe, ein Satteldach zu errichten, eine Inhaltsbestimmung, also eine neue Hauptregelung des Verwaltungsakts getroffen. Würde R die Maßgabe zur Errichtung des Satteldachs beseitigen, so bliebe ihm nur eine Genehmigung für einen Stall ohne Dach. R kann sein Klagebegehren daher nur erreichen, indem er auf Erlass der Baugenehmigung in der von ihm beantragten Form - also mit Flachdach - klagt. Statthaft ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO).

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simon175

simon175

10.6.2022, 21:31:45

Welche Klageart wäre statthaft, wenn R gegen eine Nebenbestimmung vorgehen wollen würde?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.6.2022, 11:33:14

Hallo Simon175, bei echten Nebenbestimmungen kommt eine isolierte Anfechtung der Nebenbestimmung in Betracht. Schau Dir hierzu gerne den folgenden Fall an: Diesen Jurafuchs-Fall empfehle ich Dir https://applink.jurafuchs.de/MWkOoj6l2qb beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Paul

Paul

15.11.2023, 13:26:50

Hi zusammen, ich verstehe nicht so ganz, wieso hier keine Auflage vorliegen können soll. Wäre, im Rahmen des hier geschilderten Sachverhalts, nicht wenigstens auch denkbar, dass eine Genehmigung ohne Bestimmung zur Dachart eine Baugenehmigung, wie sie ursprünglich beantragt war, darstellt? Dass ein Fehlen einer Bestimmung zur Dachart zwingend zu einer Genehmigung „ohne Dach“ führen müsste, erschließt sich mir nicht so ganz. In dem zitierten BVerwG-Urteil wird, wenn ich das richtig verstanden habe, darauf abgestellt, dass die Bestimmungen des VA so eng miteinander verbunden sind, dass die Behörde, die eine (Abbruchgenehmigung) zwingend nicht ohne die andere (Ausgleichszahlung) erlassen hätte, also eine einheitliche Ermessensentscheidung vorliege. Getrennt werden könne nur, wenn für die Auflage eigenes Ermessen ausgeübt wurde. Das ist im Sachverhalt für die dort geschilderte Situation aber mE nicht wirklich angelegt. Oder habe ich da etwas einfach komplett falsch verstanden, oder Rspr. oder Normdetails übersehen? Vielen Dank und beste Grüße, Paul

BI

BigLebowski

14.7.2024, 16:42:58

Hi! Hier muss man mMn unterscheiden zwischen einer echten und einer sog. modifizierenden Auflage, die keine Auflage iSd § 36 II Nr. 4 VwVfG ist. Letztere, die hier vorliegt, ist keine Nebenbestimmung. Daher ist sie nicht isoliert anfechtbar. Hierzu ausf. Steffen Detterbeck, VerwR AT, 21. Auflage, 2023; S. 224, Rn. 651 ff.: Eine echte Auflage ist ein Gebot oder Verbot, das zur Vergünstigung HINZUTRITT. Die Auflage muss erst dann befolgt werden, wenn der Adressat des VA die Vergünstigung nutzen will. Beispiel: "In einer Aufenthaltserlaubnis, Geld für die Rückfahrt in das Heimatland zu sparen (BVerwGE 64, 285)." "Von sog. modifizierenden Auflagen ist dann die Rede, wenn die Behörde dem erlassenen Verwaltungsakt Zusätze, Bestimmungen oder Maßgaben beifügt, die den INHALT des Verwaltungsakts betreffen. Es wird deshalb ein Verwaltungsakt erlassen, der INHALTLICH vom Antrag ABWEICHT. Kennzeichnend für derartige modifizierende Auflagen ist, dass die behördlichen Zusätze, Bestimmungen u. s. w. nicht selbständig durchsetzbar sind [...] Verstößt der Bürger gegen eine modifizierende Auflage, verstößt er nicht gegen ein Gebot oder Verbot, sondern handelt ohne Genehmigung." Beispiel: Dieser Sachverhalt. Die Behörde weicht vom Beantragten (Sattel- statt Flachdach, bzw. umgekehrt) ab und verändert die Genehmigung inhaltlich. Würde der Adressat den Stall mit der von ihm gewünschten Dachform bauen, würde er ohne Genehmigung handeln und nicht gegen eine Auflage verstoßen. LG


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