List ist keine taugliche Tathandlung

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der T erklärt seiner Frau O wahrheitswidrig, ihr Essen, welches sie gerade genüsslich zu sich nimmt, sei vergiftet und er stelle ihr das Gegenmittel nur zur Verfügung, wenn sie die Scheidungspapiere unterzeichnet. In Wahrheit hat T dem Essen nichts beigemischt. O unterschreibt.

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Einordnung des Falls

List ist keine taugliche Tathandlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T der O mitteilt, dass das Essen vergiftet ist, hat T an O "Gewalt" ausgeübt (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Indem T der O sagt, dass das Essen vergiftet sei, entfaltet er jedoch keine körperliche Kraft und übt somit auch keinen körperlichen Zwang auf diese aus, um erwarteten Widerstand zu überwinden. Würde man dies bejahen, wäre dies des Weiteren nur schwer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) vereinbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AG

agi

18.10.2024, 17:23:54

Wie würde es ausschauen, wenn er sie im vorliegenden Fall angeschrien hätte? Würde das als Gewalt zählen? (vgl. Hörsall - Fall)

LELEE

Leo Lee

20.10.2024, 08:39:02

Hallo agi, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat ist das ein interessanter Gedanke. Allerdings gibt es in diesem Fall - ausgehend vom anvisierten Ziel des Täters - einen wesentlichen Unterschied zu dem Hörsaal-Fall. Denn dort diente das Rumschreien als MITTEL, die Vorlesung zu Ende zu bringen, sprich das Rumschreien an sich war das Nötigungsmittel, das zum Erfolg führen sollte (und geführt hat). Hätte hier T durch das Rumschreien SELBST die O dazu gebracht, die Scheidungspapiere zu unterschreiben, weil O den Lärm nicht ertragen kann, könnte man hier in der Tat wie im Hörsaalfall eine Nötigung durch Gewalt anprüfen (und sogar bejahen). Schreit er hingegen nur, um O einzuschüchtern, wäre eine Gewalt eher abzulehnen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Sinn § 240 Rn. 29 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

KAT

Katharina

24.10.2024, 15:04:08

Liebes JF-Team, wäre hier auch eine

Drohung mit Unterlassen

denkbar, sodass der Täter mit einem “Nichtgeben" des Gegengiftes droht, wenn die Frau nicht unterschreibt?

LELEE

Leo Lee

27.10.2024, 09:38:45

Hallo Katharina, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wenn wir die

Drohung

hier prüfen würden, wäre wie du völlig richtig erwähnst, auch die

Drohung durch Unterlassen

zu prüfen und zu bejahen. Beachte insoweit, dass die

Drohung mit Unterlassen

streitig ist. Aber in diesem Fall, wo der Täter die Täterin vergiftet, wäre nach allen Ansichten eine solche

Drohung mit Unterlassen

zu bejahen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Sinn § 240 Rn. 85 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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