Maßnahme gleicher Wirkung – Dassonville

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die belgischen Händler Dassonville führen "Scotch Whisky" von Frankreich nach Belgien ein. Nach belgischem Recht ist für eine Einfuhr eine amtliche Bescheinigung des Herkunftslandes der Waren erforderlich ist. Die Händler haben aber keine solche Bescheinigung britischer Behörden vorgelegt.

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Einordnung des Falls

Maßnahme gleicher Wirkung – Dassonville

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV ist in gegenständlicher Hinsicht eröffnet.

Genau, so ist das!

Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV schützt in gegenständlicher Hinsicht die Ein- und Ausfuhr von Unionswaren. Waren sind alle beweglichen, körperlichen Güter, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Unionsware ist gemäß Art. 28 Abs. 2, 29 AEUV aus einem Mitgliedstaat stammende oder rechtmäßig eingeführte und verzollte „Drittware“, die sich im freien Verkehr befindet. Der "Scotch Whisky" stammte zwar nicht aus einem Mitgliedstaat, weil Großbritannien zur Zeit des Urteils noch kein EU-Mitglied war. Der Whisky wurde jedoch rechtmäßig nach Frankreich als Mitgliedstaat eingeführt und verzollt. Es handelt sich bei dem "Scotch Whisky" daher um Unionsware.
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2. Der Anwendungsbereich ist auch in räumlicher Hinsicht eröffnet.

Ja, in der Tat!

Alle Grundfreiheiten setzen ein besonderes transnationales Element voraus. Die Warenverkehrsfreiheit ist daher nur anwendbar, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt. Voraussetzung ist, dass grenzüberschreitende Warenströme zwischen den Mitgliedstaaten betroffen sind. Der Scotch Whisky Soll von Frankreich aus nach Belgien eingeführt werden. Ein grenzüberschreitender Sachverhalt liegt vor.

3. Die belgische Regelung, welche eine Ursprungsbescheinigung fordert, stellt eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar.

Nein!

Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen liegen vor, wenn die Einfuhr bestimmter Waren gänzlich oder teilweise untersagt wird. Dies ist insbesondere bei Einfuhrkontingenten der Fall, welche die Wareneinfuhr nach ihrer Menge, ihrem Wert oder dem Einfuhrzeitraum begrenzen. Vorliegend wird die Einfuhr von Whisky jedoch weder untersagt noch werden Kontingente für die Einfuhr vorgesehen. Die Einfuhr ist unter der Voraussetzung der Herkunftsbescheinigung vielmehr unbegrenzt möglich.

4. Die belgische Regelung, wonach für die Einfuhr eine Herkunftsbescheinigung erforderlich ist, könnte jedoch eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellen.

Genau, so ist das!

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handeln unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen (sog. Dassonville-Formel). Es sind insoweit also nicht nur Maßnahmen gleicher Wirkung erfasst, die Waren aus anderen Mitgliedstaaten offen oder versteckt diskriminieren, sondern auch unterschiedslos wirkende Maßnahmen. Die Dassonville-Formel hat zum Verständnis der Warenverkehrsfreiheit als allgemeines Beschränkungsverbot maßgeblich beigetragen.

5. Die belgische Regelung ist geeignet, den innergemeinschaftlichen Handeln unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich können die Mitgliedstaaten die Einfuhr von Waren an den Nachweis von Ursprungsbescheinigungen knüpfen, wenn dieser von allen Staatsangehörigen in gleicher Weise erbracht werden kann. Die Erlangung der Bescheinigung über den Ursprung der Ware ist jedoch praktisch nur für Direktimporteure aus Großbritannien möglich. Für Importeure, die den Whisky als Unionsware von anderen Mitgliedstaaten aus einführen, ist dieser Nachweis deutlich schwieriger zu beschaffen. Die belgische Vorschrift führt daher zu einer Behinderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dominik

Dominik

5.2.2022, 19:10:46

Ich fände es super, wenn ihr bei solch prägenden Entscheidungen des EuGH auch noch den üblichen Namen in die Oberzeile packen könntet. Mir hilft das sehr den Sachverhalt mit der daraus entwickelten Dogmatik zu verbinden.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.2.2022, 12:53:11

Danke für den Vorschlag, Dominik. Wir haben hier einen Hinweis im Sachverhalt aufgenommen und besprechen gerne noch einmal im Team, in welcher Form wir das auf andere Fälle noch ausdehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

jomolino

1.3.2022, 17:06:35

Wollte gerade anmerken dass ich die Einbindung der Formel in den Sachverhalt nicht gelungen finde, es nimmt das ganze Ergebnis vorweg und verwirrt doch etwas wenn man erstmal an die Formel und nicht an einen Namen denkt..,

OEZ

oezlemxo

11.5.2022, 13:09:42

Hier stimmt doch etwas nicht - im Sachverhalt ist von belgischen Händlern die Rede, die plötzlich die Bescheinigung einer britischen Behörde vorlegen sollen. Sollte dort nicht an erster Stelle „britische Händler“ stehen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.5.2022, 14:38:45

Hallo Oezlemxo, das hat tatsächlich seine Richtigkeit. Zwar hatten Vater und Sohn Dassonville den Scotch Whisky bei französischen Import- und Vertriebsgesellschaften eingekauft. Das Produktionsland war indes Großbrittannien, genauer gesagt Schottland. Entsprechend hatte Belgien hierfür eine Ursprungsbescheinigung aus Großbrittannien verlangt, die es so in Frankreich nicht gab. Dies war dann der Anlass, die Sache vor den EuGH zu bringen und damit europäische Rechtsgeschichte zu schreiben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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