+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K hat bei der Deutschen Bank AG ein Wertpapierdepot, aber bisher noch keine Aktien. Nachdem sie kürzlich von Jeff Bezos‘ und Richard Bransons Start in den Weltraumtourismus gehört hat, fühlt sie sich inspiriert. K beauftragt ihre Bank, Virgin Galactic Aktien im Wert von €50.000 für sie zu kaufen. Die Bank reagiert nicht.
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Einordnung des Falls
Schweigen im Handelsverkehr, § 362 Abs. 1 HGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Schweigen auf ein Vertragsangebot wird grundsätzlich als Annahme gewertet.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Annahme ist eine Willensklärung, mit der das Einverständnis mit dem Antrag ausgedrückt wird. Der objektive Tatbestand liegt in einem Verhalten, das aus Sicht Dritter auf Vorliegen von Handlungs-, Rechtsbindungs- und Geschäftswillen schließen lässt. Ein Schweigen setzt jedoch überhaupt keinen Erklärungstatbestand, es fehlt an jeglichem Verhalten. Schweigen gilt daher nur als Willenserklärung, wenn die Parteien dies vereinbart haben, das Gesetz es bestimmt (etwa in §§ 108 Abs. 2, S. 2, 177 Abs. 2, 516 Abs. 2 S. 2, 1943 BGB, § 362 Abs. 1 HGB) oder beim Schweigen eines Kaufmanns auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben.
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2. Das Schweigen der Deutsche Bank AG auf Ks Auftrag könnte als Annahme des Auftrags gelten, Virgin Galactic Aktien im Wert von €50.000 für K zu kaufen (§ 362 Abs. 1 HGB).
Ja, in der Tat!
§ 362 Abs. 1 HGB normiert eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Voraussetzung ist, dass (1) der Angebotsempfänger Kaufmann ist, (2) sein Betrieb Geschäftsbesorgungen mit sich bringt und zum Anbietenden eine Geschäftsverbindung besteht (S. 1), oder der Kaufmann sich zu einer Geschäftsbesorgung erboten hat (S. 2), (3) ihm ein solches Angebot zugeht und er dieses (4) nicht unverzüglich beantwortet hat. In der Folge gilt das Angebot als angenommen und der Vertrag kommt zustande. § 362 Abs. 1 HGB dient der Sicherstellung von Rechtssicherheit, Leichtigkeit und Schnelligkeit im Handels- und Geschäftsverkehr.
3. Die Deutsche Bank AG ist Kaufmann (§§ 1-6 HGB).
Ja!
Der Empfänger des Angebots muss Kaufmann sein (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB) (=einseitiges Handelsgeschäft). Auf nichtkaufmännische Unternehmensträger ist § 362 Abs. 1 HGB aber analog anwendbar. Vorschriften, die den Kaufmann betreffen, finden auch auf Handelsgesellschaften Anwendung (§ 6 Abs. 1 HGB). Handelsgesellschaften sind solche, die auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet sind, oder denen die Eigenschaft per Gesetz zugewiesen wird.
Die Deutsche Bank AG gilt kraft gesetzlicher Bestimmung aufgrund ihrer Rechtsform als Handelsgesellschaft (§ 3 Abs. 1 AktG) („Form-Kaufmann“).
4. Der Geschäftsbetrieb der Deutsche Bank AG bringt die Besorgung von Geschäften mit sich und zu K besteht eine Geschäftsverbindung (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).
Genau, so ist das!
Geschäftsbesorgung ist jede selbständige, rechtsgeschäftliche oder rein tatsächliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art für einen anderen und in dessen Interesse. Eine Geschäftsverbindung liegt in einer auf Dauer angelegten Beziehung, die einen wiederholten Abschluss von Geschäften erwarten lässt.
Kreditinstitute wie die Deutsche Bank AG haben es typischerweise zum Gegenstand, für ihre Kunden Zahlungs-, Überweisungs-, Einziehungsaufträge und Börsengeschäfte zu tätigen. Hierin liegen rechtsgeschäftliche Tätigkeiten wirtschaftlicher Art im Interesse der Kunden. Das bestehenden Girokontos lässt erwarten, dass K auch in Zukunft solche Geschäfte mit der Deutschen Bank AG tätigen wird.
5. Der Deutsche Bank AG ist ein entsprechendes Angebot über eine Geschäftsbesorgung zugegangen (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).
Ja, in der Tat!
§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB verlangt den Zugang (§ 130 BGB) eines Angebots, welches sich auf die für den jeweiligen Geschäftsbetrieb übliche Geschäftsbesorgung bezieht.
Der zugegangene Antrag des K, Virgin Galactic Aktien zu kaufen, bezieht sich auf eine übliche Geschäftsbesorgung eines Kreditinstituts, wie die Deutsche Bank AG eines ist. Dass gerade K diese Leistung der Bank im Rahmen der Geschäftsbeziehung noch nie in Anspruch genommen hat, steht dem nicht entgegen.
6. Die Deutsche Bank AG hat Ks Angebot unverzüglich beantwortet (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB).
Nein!
Wenn der Kaufmann nicht unverzüglich auf das Angebot antwortet, gilt dieses als angenommen und der Vertrag kommt zustande (§ 362 Abs. 1 HGB). Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB).
Die Deutsche Bank AG hat auf Ks Antrag nicht reagiert.
7. K kann von der Deutsche Bank AG verlangen, dass diese für sie Virgin Galactic Aktien im Wert von €50.000 erwirbt.
Genau, so ist das!
§ 362 Abs. 1 HGB normiert eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, gilt das Angebot als angenommen und der Geschäftsbesorgungsvertrag kommt mit dem Inhalt des Antrags zustande. Der Kaufmann ist zur Ausführung der Geschäftsbesorgung verpflichtet und hat bei zu vertretender Pflichtverletzung Schadensersatz (§§ 280f. BGB) zu leisten.
Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt. Das Schweigen der Deutsche Bank AG gilt als Annahme (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB). Sie ist daher zum Erwerb der Aktien für K verpflichtet. Ist K durch ihre Untätigkeit ein Gewinn entgangen, kann sie diesen nach §§ 280ff. BGB ersetzt verlangen.