Zivilrechtliche Nebengebiete

Handelsrecht

Allgemeine Regeln für Handelsgeschäfte (§§ 343-372 HGB)

Schweigen im Handelsverkehr, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (Grundfall)

Schweigen im Handelsverkehr, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (Grundfall)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Inhaberin I des Fast-Food-Restaurants „BurgerQueen“ verhandelt telefonisch mit dem Lebensmittel-Lieferanten L über den Kauf von Burger Patties. Drei Tage später erhält I ein Schreiben von L: „Auftragsbestätigung: Lieferung von 1.000 Burger Patties zum Preis €500 am 01.10.2024“. I reagiert nicht, freut sich aber über das gute Geschäft.

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Einordnung des Falls

Schweigen im Handelsverkehr, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (Grundfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen I und L ist beim telefonischen Gespräch ein Kaufvertrag über 1.000 Burger Patties zum Preis von €500 zustande gekommen (§ 433 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Vertrag setzt inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen voraus (Angebot und Annahme, §§ 145ff. BGB). Dies schließt eine Übereinstimmung der wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) ein. Der genaue Inhalt des Telefonats ergibt sich nicht aus dem Sachverhalt. Dort ist lediglich von "Verhandlungen" zwischen I und L die Rede, eine klare Einigung zwischen I und L über einen den Abschluss eines Kaufvertrags im Telefongespräch ist daraus nicht zu entnehmen.
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2. Ein Vertrag zwischen I und L über 1.000 Burger Patties zum Preis von €500 (§ 433 BGB) könnte nach den Grundsätzen zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben dadurch zustande gekommen sein, dass I auf das Schreiben von L nicht reagiert hat.

Ja, in der Tat!

Der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens muss diesem widersprechen, wenn er mit dem Inhalt nicht einverstanden ist. Das Unterlassen einer Erklärung gilt aufgrund dieser gewohnheitsrechtlichen Pflicht als Zustimmung zum Inhalt des Schreibens. Voraussetzung ist, dass (1) Kaufleute oder sonstige Unternehmer (2) Vertragsverhandlungen geführt haben und der Empfänger eines (3) zeitlich darauffolgend zugegangenen Bestätigungsschreibens (4) nicht unverzüglich widersprochen hat. Der Absender muss (5) schutzwürdig sein. Schweigt der Empfänger auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, gilt der Inhalt des Schreibens als Vertragsinhalt.

3. I und L sind Kaufleute oder sonstige Unternehmer.

Ja!

Damit die Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben Anwendung finden, müssen die Beteiligten Kaufleute (§ 1-6 HGB) oder sonstige Unternehmer (§ 14 BGB) sein. Die Kaufmannseigenschaft richtet sich nach §§ 1-6 HGB. Unternehmer (§ 14 BGB) ist, wer unternehmerisch am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, und von wem erwartet werden kann, dass er die Gepflogenheiten des kaufmännischen Wirtschaftsverkehrs kennt und anwendet (Kleingewerbetreibende und Freiberufler). I ist Inhaberin eines Fast-Food-Restaurants, L ist Lebensmittel-Lieferant. Auch wenn einer der beiden nicht Kaufmann ist, so nehmen beide Parteien zumindest am Wirtschaftsverkehr teil und sind daher Unternehmer.

4. Zwischen I und L haben Vertragsverhandlungen stattgefunden.

Genau, so ist das!

Vertragsverhandlungen sind Vorgänge, bei denen über die konkreten Konditionen eines zu schließenden Vertrages gesprochen wird. Bei dem Telefonat hat sich I bei L über die Vertragsbedingungen informiert. Es hat daher ein Gespräch über die konkreten Konditionen eines zwischen I und L zu schließenden Lebensmittel-Lieferungsvertrag (§ 433 BGB) stattgefunden.

5. I ist unmittelbar nach den Vertragsverhandlungen ein Bestätigungsschreiben von L zugegangen.

Ja, in der Tat!

Ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben ist ein Schreiben, das den Inhalt eines aus Sicht des Absenders bereits geschlossenen Vertrages wiedergibt. Erforderlich ist, dass der Absender nach dem Inhalt des Schreibens an den Abschluss eines Vertrages während der Vertragsverhandlungen glaubt. Dieses muss in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu den Vertragsverhandlungen zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB). Daraus, dass L der I bereits wenige Tage (unmittelbar) nach den Vertragsverhandlungen eine Auftragsbestätigung geschickt hat, lässt sich folgern, dass L von einem bereits während des Telefonats geschlossenen Vertrags ausgeht. Das Schreiben gibt Liefermenge, Preis und Lieferdatum an und somit den wesentlichen Inhalt des vermeintlich geschlossenen Vertrags.

6. I hat dem Inhalt des kaufmännischen Bestätigungsschreibens unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) nach dessen Zugang widersprochen.

Nein!

Ein Widerspruch liegt in der Erklärung des Empfängers, dass kein Vertrag zu den im Bestätigungsschreiben genannten Bedingungen zustande gekommen ist. Er muss unverzüglich erfolgen, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Wann dies der Fall ist, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Bedeutung des Geschäfts. Ein Widerspruch nach mehr als einer Woche gilt im Regelfall als verfristet. I hat auf das kaufmännische Bestätigungsschreiben des L nicht reagiert.

7. L als Absender des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist schutzwürdig.

Genau, so ist das!

Der Absender eines Schreibens ist nicht schutzwürdig, wenn er im Bestätigungsschreiben von vorher Vereinbarten (1) bewusst abweicht oder (2) inhaltlich so weit davon abweicht, dass er vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen kann. Die Schutzwürdigkeit fehlt auch (3) bei sich kreuzenden Bestätigungsschreiben und (4) wenn der Empfänger den dort bestätigten vermeintlichen Vertragsschluss zuvor ausdrücklich verweigert hat. Keine dieser Fallgruppen ist einschlägig. L ist redlich.

8. Zwischen I und L ist ein Vertrag über die Lieferung von 1.000 Burger Patties zum Preis von €500 zustande gekommen. L hat gegen I einen Anspruch auf Abnahme und Bezahlung (§ 433 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben hat zur Folge, dass der Inhalt des Schreibens als Vertragsinhalt gilt. War der Vertrag vorher bereits mit einem anderen Inhalt geschlossen worden, wird das formlos Vereinbarte nachträglich ergänzt oder abgeändert. War eine rechtswirksame Einigung bisher gescheitert, kommt der Vertrag mit dem Inhalt des Schreibens erst zustande. Die Voraussetzungen liegen vor. Zwischen I und L ist eine rechtswirksame Einigung bisher gescheitert, sodass zwischen ihnen ein Vertrag mit dem Inhalt des kaufmännischen Bestätigungsschreibens zustande kommt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AS

as.mzkw

23.8.2024, 09:55:18

Ich habe es eigentlich so gelernt, dass eine Auftragsbestätigung (wie hier im SV ausdrücklich genannt) gerade kein KBS darstellt. Kann mich jemand aufklären?

JES

jess11O

28.8.2024, 18:53:45

Wenn ich den Fall richtig verstanden habe, handelt es sich nicht um eine Auftragsbestätigung im eigentlichen Sinne, weil während des Telefongesprächs noch gar kein Kaufvertrag zustande gekommen ist.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.9.2024, 12:16:44

Hallo @[as.mzkw](244917), Du hast insofern Recht, als dass wir ein kfm Bestätigungsschreiben grds von einer reinen "Auftragsbestätigung" abgrenzen müssen. Mit "Auftragsbestätigung" ist dabei im Kontext eines kfm Bestätigungsschreibens, anders als bei Verbraucherverträgen, nicht eine bloße deklaratorische Bestätigung einer Bestellung wie etwa in § 312i I 1 Nr 3 BGB genannt (wie Du, @[jess11O](258425), es anzunehmen scheinst). Vielmehr geht es um Fälle, in denen der Absender des Schreibens einen Antrag des Empfängers erstmals annimmt (MüKoHGB/Maultzsch, 5. Aufl 2021, § 346 Rn 167). Objektiv kann es in unserem Fall allerdings gar keine Annahme sein, weil I ja noch kein entsprechendes Angebot abgegeben hat (bzw wir das der Sachverhaltsdarstellung nicht entnehmen können). Nach dem Rechtsgedanken des § 150 BGB kann eine solche "Annahme" als Angebot des L behandelt werden. Bloßes Schweigen darauf kann dann dieselben Konsequenzen haben wie bloßes Schweigen auf ein kfm Bestätigungsschreiben (MüKoHGB/Maultzsch, 5. Aufl 2021, § 346 Rn 168). Ob es sich um eine solche "Annahme" oder vielmehr um ein kfm Bestätigungsschreiben handelt, das schon von einem festen Vertragsschluss ausgeht, ist durch Auslegung zu ermitteln (auch wenn es darauf iE häufig nicht ankommen wird, s oben). Die Bezeichnung als "Auftragsbestätigung" ist dafür irrelevant, auch bei einer solchen Fehlbezeichnung kann ein kfm Bestätigungsschreiben vorliegen (so explizit BGH NJW 1970, 2021). Die Anhaltspunkte in unserer Sachverhaltsdarstellung sind dafür knapp, wir wollen hier (nicht zuletzt aus didaktischen Gründen) von einem kfm Bestätigungsschreiben ausgehen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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