+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nachdem L und A nun zusammenwohnen, will L alte Möbel loswerden. Er stellt einen Schaukelstuhl vor das Haus, damit dieser vom M e.V., der zuvor öffentlich um Möbelspenden gebeten hat, abgeholt werden kann. N denkt erneut, der Stuhl sei zu verschenken und nimmt ihn an sich.

Einordnung des Falls

Abwandlung: Sammelgut für Caritas

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Eigentumserwerb an herrenlosen Sachen ist durch deren Inbesitznahme möglich.

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Ja, in der Tat!

§ 958 BGB regelt, dass jemand, der eine (1) herrenlose, (2) bewegliche Sache in (3) Eigenbesitz nimmt, das Eigentum daran erwirbt, wenn (4) kein Aneignungsverbot oder kein ausschließliches Aneignungsrecht eines anderen besteht. Grundsätzlich kann also die bloße Inbesitznahme einer Sache dazu führen, dass man Eigentümer wird. Es handelt sich um einen Eigentumserwerb kraft Gesetzes.

2. Eine Sache, die einmal im Eigentum eines Dritten stand, kann niemals herrenlos werden.

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Nein!

Eine Sache kann entweder von Anfang an herrenlos sein oder erst später herrenlos werden. Eine Sache, die ursprünglich im Eigentum einer Person stand, kann insbesondere durch Aufgabe des Eigentums an der Sache (Dereliktion) herrenlos werden (§ 959 BGB). Die Dereliktion setzt voraus, dass der Eigentümer, den Besitz an einer beweglichen Sache aufgibt und zwar in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten.Diese Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, ist eine nicht-empfangsbedürftige Willenserklärung. Der Wille, das Eigentum aufzugeben muss aber dennoch irgendwie nach außen hervortreten.

3. Ist der Schaukelstuhl herrenlos?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Vorliegend kommt eine Herrenlosigkeit aufgrund Dereliktion in Betracht. Diese setzt voraus, dass der Eigentümer, den Besitz an einer beweglichen Sache aufgibt und zwar in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten. Diese Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, ist eine nicht-empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach § 133 BGB auszulegen ist.Zwar hat L den Besitz an dem Schaukelstuhl aufgegeben. Ihm war dabei aber gerade nicht gleichgültig, was mit dem Stuhl passiert, sondern er wollte, dass der M e.V. neuer Eigentümer des Schaukelstuhls wird. Indem L den Stuhl an die Straße stellte, hat er einen Antrag an den M e.V. zur Übereignung des Schaukelstuhls abgegeben.

4. Weil der Wille des L nicht erkennbar war, erwirbt N dennoch das Eigentum an dem Schaukelstuhl.

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Nein, das trifft nicht zu!

Die für die Dereliktion notwendige Absicht, das Eigentum an der Sache aufzugeben, ist eine nicht-empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie ist daher gem. § 133 BGB rein nach dem Willen des Äußernden und nicht auch nach § 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Der Wille, das Eigentum aufzugeben, muss klar hervortreten. Es müssen also gerade nicht umgekehrt Indizien vorliegen, die gegen einen Dereliktionswillen sprechen.L wollte das Eigentum an dem Schaukelstuhl nicht zugunsten von irgendjemandem aufgeben, sondern er wollte, dass der M e.V. neuer Eigentümer wird. Ferner stand die Bereitstellung am Straßenrand auch erkennbar in Zusammenhang mit der Sammelaktion des M e.V.

5. Ist N Eigentümerin des Stuhls?

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Nein!

§ 958 BGB regelt, dass derjenige Eigentum erwirbt, der eine (1) herrenlose, (2) bewegliche Sache in (3) Eigenbesitz nimmt, wenn (4) kein Aneignungsverbot oder kein ausschließliches Aneignungsrecht eines anderen besteht.Der Schaukelstuhl des L ist in dem Zeitpunkt, in dem N ihn an sich nimmt, nicht herrenlos. Eine Aneignung nach § 958 BGB scheidet damit aus.

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Edward Hopper

Edward Hopper

30.11.2022, 22:39:01

Wäre hier ein Abhandenkommen zu bejahen? Schließlich hat L den Besitz freiwillig aufgegeben. Oder hat er noch gelockerten Besitz? Irgendeine Art von Besitz muss er ja noch haben da ansonsten der 929 zugunsten des e. V. nicht klappt der eine Übergabe voraussetzt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.12.2022, 09:30:15

Hallo Edward, vielen Dank für die Nachfrage. Eine Übergabe nach § 929 S. 1 BGB hat drei Voraussetzungen: 1. Besitzverlust des Veräußerers, 2. Besitzerlangung des Erwerbers, 3. auf Veranlassung des Veräußerers. (MüKoBGB/Oechsler, 8. Aufl. 2020, BGB § 929 Rn. 53 ff.). Der Besitz muss also nicht zwingend direkt vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen, sodass es unschädlich ist, wenn der Besitzübergang mehraktig erfolgt (also erst Besitzaufgabe durch L und später dann Besitzerwerb durch M e.V.). Gegen die Annahme eines gelockerten Besitzes spricht hier nach mE, dass der Sperrmüll frei zugänglich ist und hier nach der Verkehrsanschauung eigentlich nicht mehr von einer tatsächlichen Sachherrschaft des L gesprochen werden kann (aA aber durchaus vertretbar). Entsprechend liegt dann auch kein Abhandenkommen iSv § 935 BGB vor. N hat durch die Inbesitznahme damit also kein Eigentum begründet. Würde er den Stuhl weiterveräußern, so käme aber ein gutgläubiger Erwerb in Betracht (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Fiona

Fiona

7.10.2023, 19:59:42

Wo ist genau zu erkennen, dass der Stuhl im Zusammenhang mit dem M eV steht? Die N könnte davon nichts gewusst haben, wenn sie nicht den Aufruf oder etc vernommen hat.

LexSuperior

LexSuperior

10.12.2023, 03:38:34

Das ist egal, da hier nur 133 BGB, nicht jedoch 157 berücksichtigt wird. Es spielt also keine Rolle was N dachte. Allein der Wille der die Sache aufgebenden ist entscheidend. (oder?^^)

LexSuperior

LexSuperior

10.12.2023, 03:41:05

Warum wird hier die fehlende Herrenlosigkeit nicht dadurch abgeleitet, dass der M e.V. ein vorrangiges Aneignungsrecht hat?


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