+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bundeskanzler K ist verärgert: In seinen Augen debattiert der Bundestag viel zu lange komplizierte Fachgesetze anstatt die von ihm geliebten Prestigeprojekte zu beschließen. Da K zudem in Meinungsumfragen gut dasteht, will er Neuwahlen.
Einordnung des Falls
Bundestag: Auflösung des Parlaments / Vertrauensfrage
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Bundeskanzler hat die Befugnis, den Bundestag aufzulösen.
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Nein, das trifft nicht zu!
Der Deutsche Bundestag wird immer für eine Legislaturperiode von 4 Jahren gewählt (Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG). In der Weimarer Reichsverfassung konnte der Reichspräsident das Parlament, den Reichtstag, allein auflösen (Art. 25 WRV). Diese Befugnis, von der wiederholt Gebrauch gemacht wurde, wird als eine der wesentlichen Schwächen des parlamentarischen Systems von Weimar gesehen. Weil damals die Parlamentsauflösung augenscheinlich zu leicht gemacht wurde, hat nach dem Grundgesetz weder der Bundeskanzler noch der Bundespräsident die Befugnis, das Parlament aufzulösen.
2. Der Deutsche Bundestag hat ein Selbstauflösungsrecht.
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Nein!
Ein Selbstauflösungsrecht bezeichnet das Recht eines Parlaments, sich durch eigenen Beschluss selbst aufzulösen, um anschließend Neuwahlen zu ermöglichen. Während die Verfassungen anderer Länder (z.B. Österreich) ein solches Recht vorsehen, kennt das Grundgesetz kein Selbstauflösungsrecht des Deutschen Bundestages. Der weitgehende Ausschluss von Auflösungsrechten durch Präsident, Kanzler oder Parlament soll verhindern, dass das parlamentarische System - wie in der Weimarer Republik - durch seine Gegner destabilisiert und durch Dauerwahlkämpfe gelähmt wird.
3. Der Deutsche Bundestag muss für die gesamte Legislaturperiode bestehen bleiben und kann unter keinen Umständen aufgelöst werden.
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Nein, das ist nicht der Fall!
Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen vor regulärem Ablauf der Legislaturperiode abzuhalten, nur in zwei eng umgrenzten Ausnahmefällen vor. Erstens: Nach einer Bundestagswahl findet sich im Bundestag auch im letzten Wahlgang keine Mehrheit für die Wahl eines Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 4 GG). Zweitens (und in der Praxis relevant): Eine vom Bundeskanzler gestellte Vertrauensfrage wird durch den Bundestag abgelehnt und der Bundestag wählt seinerseits keinen anderen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 68 Abs. 1 GG). In beiden Fällen kann dann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und es kommt innerhalb von 60 Tagen zu Neuwahlen.
4. Der Bundeskanzler kann mit der sog. Vertrauensfrage prüfen, ob im Bundestag noch eine Mehrheit der Abgeordneten hinter ihm steht.
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Ja, in der Tat!
Der Bundeskanzler kann auf Antrag überprüfen lassen, ob er noch die Zustimmung der Mehrheit des Bundestagsabgeordneten hat (Vertrauensfrage). Ist dies nicht der Fall, ist der Bundeskanzler zunächst nicht verpflichtet, darauf zu reagieren. Er hat aber die Möglichkeit, den Bundespräsidenten darum zu ersuchen, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen einzuleiten (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). Die Vertrauensfrage wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fünf Mal gestellt, drei mal wurde dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht ausgesprochen, mit der Folge von Neuwahlen (zuletzt 2005 Gerhard Schröder).
5. Der Bundestag kann den Bundeskanzler jederzeit abwählen.
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Ja!
Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums vor (Art. 67 GG). Danach kann der Bundestag dem amtierenden Bundeskanzler sein Misstrauen aussprechen und diesen daraufhin absetzen. Gleichzeitig muss der Bundestag aber einen Nachfolger wählen. Dadurch soll insbesondere verhindert werden, dass - wie in der Weimarer Republik - negative Mehrheiten innerhalb des Parlaments, die sich allein in der Ablehnung der amtierenden Regierung einig sind, die Regierung ohne weiteres stürzen können. Die Regelung in Art. 67 GG gewährleistet somit die Stabilität des Parlaments. Neuwahlen sind damit nicht verbunden.