Bundestag: Auflösung des Parlaments / Vertrauensfrage

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundeskanzler K ist verärgert: In seinen Augen debattiert der Bundestag viel zu lange komplizierte Fachgesetze, anstatt die von ihm geliebten Prestigeprojekte zu beschließen. Da K zudem in Meinungsumfragen gut dasteht, will er Neuwahlen.

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Einordnung des Falls

Bundestag: Auflösung des Parlaments / Vertrauensfrage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Bundeskanzler hat die Befugnis, den Bundestag aufzulösen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Deutsche Bundestag wird immer für eine Legislaturperiode von 4 Jahren gewählt (Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG). In der Weimarer Reichsverfassung konnte der Reichspräsident das Parlament, den Reichtstag, allein auflösen (Art. 25 WRV). Diese Befugnis, von der wiederholt Gebrauch gemacht wurde, wird als eine der wesentlichen Schwächen des parlamentarischen Systems von Weimar gesehen. Weil damals die Parlamentsauflösung augenscheinlich zu leicht gemacht wurde, hat nach dem Grundgesetz weder der Bundeskanzler noch der Bundespräsident die Befugnis, das Parlament aufzulösen.
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2. Der Deutsche Bundestag hat ein Selbstauflösungsrecht.

Nein!

Ein Selbstauflösungsrecht bezeichnet das Recht eines Parlaments, sich durch eigenen Beschluss selbst aufzulösen, um anschließend Neuwahlen zu ermöglichen. Während die Verfassungen anderer Länder (z.B. Österreich) ein solches Recht vorsehen, kennt das Grundgesetz kein Selbstauflösungsrecht des Deutschen Bundestages. Der weitgehende Ausschluss von Auflösungsrechten durch Präsident, Kanzler oder Parlament soll verhindern, dass das parlamentarische System - wie in der Weimarer Republik - durch seine Gegner destabilisiert und durch Dauerwahlkämpfe gelähmt wird.

3. Der Deutsche Bundestag muss für die gesamte Legislaturperiode bestehen bleiben und kann unter keinen Umständen aufgelöst werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen vor regulärem Ablauf der Legislaturperiode abzuhalten, nur in zwei eng umgrenzten Ausnahmefällen vor. Erstens: Nach einer Bundestagswahl findet sich im Bundestag auch im letzten Wahlgang keine Mehrheit für die Wahl eines Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 4 GG). Zweitens (und in der Praxis relevant): Eine vom Bundeskanzler gestellte Vertrauensfrage wird durch den Bundestag abgelehnt und der Bundestag wählt seinerseits keinen anderen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 68 Abs. 1 GG). In beiden Fällen kann dann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und es kommt innerhalb von 60 Tagen zu Neuwahlen (Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG).

4. Der Bundeskanzler kann mit der sog. Vertrauensfrage prüfen, ob im Bundestag noch eine Mehrheit der Abgeordneten hinter ihm steht.

Ja, in der Tat!

Der Bundeskanzler kann auf Antrag überprüfen lassen, ob er noch die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat (Vertrauensfrage). Ist dies nicht der Fall, ist der Bundeskanzler zunächst nicht verpflichtet, darauf zu reagieren. Er hat aber die Möglichkeit, den Bundespräsidenten darum zu ersuchen, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen einzuleiten (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). Die Vertrauensfrage wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fünf Mal gestellt, drei mal wurde dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht ausgesprochen, mit der Folge von Neuwahlen (zuletzt 2005 Gerhard Schröder).

5. Der Bundestag kann den Bundeskanzler unter bestimmen Voraussetzungen jederzeit abwählen.

Ja!

Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums vor (Art. 67 GG). Danach kann der Bundestag dem amtierenden Bundeskanzler sein Misstrauen aussprechen und diesen daraufhin absetzen. Gleichzeitig muss der Bundestag aber einen Nachfolger wählen. Dadurch soll insbesondere verhindert werden, dass - wie in der Weimarer Republik - negative Mehrheiten innerhalb des Parlaments, die sich allein in der Ablehnung der amtierenden Regierung einig sind, die Regierung ohne weiteres stürzen können. Die Regelung in Art. 67 GG gewährleistet somit die Stabilität des Parlaments. Neuwahlen sind damit nicht verbunden. Mehr zum Thema der Beendigung einer Regierungszeit (kontruktives Misstrauensvotum, Vertrauensfrage) findest Du hier im Kapitel zur Bundesregierung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EM

Emma

8.3.2021, 13:57:23

Supi

NIE

Nielas

23.12.2023, 13:19:46

Hallo liebes Jurafuchs-Team, ich bin gerade wieder über die letzte Aussage "Der Bundestag kann den Bundeskanzler jederzeit abwählen." gestolpert. Hier wird die Antwort als richtig angegeben. Ist die Aussage aber nicht eigentlich falsch? Die Abwahl des Bundeskanzlers ist nur unter bestimmten Voraussetzungen und dadurch eben nicht "jederzeit" möglich. Danke für die Bearbeitung und liebe Grüße.

JCF

JCF

25.12.2023, 12:02:52

Bei mir steht: "Der Bundestag kann den Bundeskanzler unter bestimmen Voraussetzungen [!!!] jederzeit abwählen."

LELEE

Leo Lee

25.12.2023, 13:11:41

Hallo Nielas, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat könnte diese Frage etwas missverständlich klingen. Deshalb haben wir den Text nun dahingehend geändert, dass der Bundestag unter den entsprechenden Voraussetzungen zeitlich ungebunden den

Kanzler abwählen

kann :). Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch wünscht dir das Jurafuchsteam!

IS

IsiRider

11.3.2024, 22:43:04

Und ich dachte bisher, es bräuchte Neuwahlen.

Simon

Simon

7.11.2024, 00:13:56

Neuwahlen sind die Folge einer Auflösung des Bundestages, s. Art. 39 I 4 GG.

SAWE

sawe

8.11.2024, 12:28:37

hey, wie steht es denn um die Zeit nach

Auflösung des Parlaments

durch den BP und vor den Neuwahlen (also in den dazwischenliegenden 60 Tagen): Kann der Bundestag in dieser Zeitspanne noch weiter Gesetze beschliessen? dankeschön!

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

12.11.2024, 12:19:29

Hallo @[sawe](245068), eine gute Frage! Die Auflösungsentscheidung des BPräs nach Art 68 I 1 GG hat verfassungsrechtlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Abgeordneten, führt insbesondere nicht zum Verlust ihrer Mandate. Vielmehr endet die Wahlperiode des Bundetags nach Art 39 I 2 GG erst mit Zusammentritt eines neuen Bundestags. Dementsprechend begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Bundestag seine legislative Tätigkeit bis zu diesem Zeitpunkt des neuen Zusammentritts fortsetzt (von Münch/Kunig/Kerkemeyer, GG, 7. Aufl 2021, Art 68 Rn 68). Rein praktisch leuchtet das auch durchaus ein. Zumindest müssten wir uns sonst Gedanken darüber machen, ob/wie politische und gesetzgeberische Handlungsfähigkeit in der Schwebezeit gewahrt werden soll. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

SAWE

sawe

12.11.2024, 21:03:51

Super, vielen Dank! Ich dachte mir schon, dass es ja keine parlamentslose Zeit geben darf. Der Wortlaut « Auflösung » klingt insoweit nur so drastisch! Danke :)

FL

Flohm

13.11.2024, 09:02:55

Bitte ergänzt noch, dass die 60 Tage für Neuwahlen in Art. 39 I S.4 GG festgelegt sind. Gerade weil momentan das Datum der Neuwahlen viel diskutiert wurde.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

13.11.2024, 10:51:26

Hey @[Flohm](210957), danke für den Hinweis. Ich habe den Artikel gerade ergänzt. Mehr (aktuelle) Aufgaben zu dem Thema findest Du übrigens im Kapitel zur Bundesregierung: https://applink.jurafuchs.de/uGRfwKujuOb Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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