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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B, Abgeordneter der A-Fraktion, wird vom Rechtsausschuss des Bundestages als Vorsitzender abgewählt. Neben dem bereits anhängigen Organstreitverfahren begehrt die A-Fraktion vor dem BVerfG, dem B einstweilen zu ermöglichen, seinen Posten wieder effektiv wahrnehmen zu können.

Einordnung des Falls

Abberufung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthaft ist hier ein Antrag der A-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG).

Ja, in der Tat!

Gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Der Antrag ist statthaft, da die A-Fraktion begehrt, dem B einstweilen – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – zu ermöglichen, den Vorsitz im Rechtsausschuss des Bundestages wieder aufzunehmen.

2. Der Antrag ist von vornherein unzulässig, da im Organstreitverfahren aufgrund dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung ein Eilrechtsschutz nicht in Betracht kommt.

Nein!

Auch wenn es sich in der Hauptsache um ein Organstreitverfahren (und nicht etwa eine Verfassungsbeschwerde) handelt, kommt ein verfassungsgerichtliches Eilverfahren (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) grundsätzlich in Betracht. Wenngleich der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren einen erheblichen Eingriff des BVerfG in die Autonomie und originäre Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane bedeutet, scheidet ein Eilverfahren deshalb nicht prinzipiell aus. BVerfG: Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG sei daher grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (RdNr. 25).

3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist unzulässig, wenn das BVerfG die begehrte Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren gar nicht bewirken kann.

Genau, so ist das!

Der Antrag (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) muss zwar keinen konkreten Anordnungsinhalt benennen, weil das BVerfG ohnehin nicht an den Antrag gebunden ist; das BVerfG kann anordnen, was zur vorläufigen Sicherung aus Gründen des Gemeinwohls dringend geboten ist. Dennoch muss die einstweilige Anordnung als Sicherungsmittel für das Hauptsacheverfahren geeignet sein. Sie ist daher regelmäßig unzulässig, wenn das BVerfG eine entsprechende Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren gar nicht bewirken kann (RdNr. 22).

4. Der Antrag der A-Fraktion ist unzulässig, da er auf eine Rechtsfolge gerichtet ist, die im Hauptsacheverfahren nicht bewirkt werden kann.

Nein, das trifft nicht zu!

Im Organstreitverfahren kann nur die Verletzung organschaftlicher Rechte festgestellt werden (§ 67 Abs. 1 BVerfGG). BVerfG: Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreit, in dem z.B. um die Unanwendbarkeit einer Norm gestritten wird, komme daher nicht in Betracht. Allerdings sei die Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten durch einstweilige Anordnung zulässig, wenn es um die vorläufige Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts gehe. Andernfalls könne „die einstweilige Anordnung, der immanent ist, dass die einen Zustand vorläufig regelt (§ 32 Abs. 1 BVerfGG), ihre Funktion nicht erfüllen“ (RdNr. 22f.).

5. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist begründet, wenn sich der angegriffene Hoheitsakt nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.

Nein!

Im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Hauptsache erweist sich von vorherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Auch bei offenem Ausgang der Hauptsache findet grundsätzlich gerade keine summarische Prüfung statt, sondern eine Folgenabwägung nach der sog. Doppelhypothese (RdNr. 25).

6. Fraktionen im Bundestag haben ein Recht auf Gleichbehandlung bzw. auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung.

Genau, so ist das!

BVerfG: Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) erstrecke sich auch auf die Mitwirkungsbefugnisse der Abgeordneten in den Ausschüssen des Bundestages. Grundsätzlich muss jeder Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln, und zwar durch eine möglichst getreue Abbildung der Stärke der Fraktionen (sog. Grundsatz der Spiegelbildlichkeit). Vorliegend stehe der Vorsitz im Rechtsausschuss der A-Fraktion grundsätzlich zu (§ 12 GO-BT). Es sei daher „nicht ausgeschlossen“, dass der A-Fraktion ein Teilhaberecht zusteht, das durch die Abberufung des B beeinträchtigt sein könnte (RdNr. 29).

7. Die Bildung und Ausübung einer organisierten politischen Opposition wird vom Grundgesetz gewährleistet (sog. Grundsatz effektiver Opposition).

Ja, in der Tat!

BVerfG: Der Grundsatz effektiver Opposition folge im Wesentlichen aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG): Die parlamentarische Minderheit müsse die realistische Chance habe, zur Mehrheit zu werden. Dies setze insbesondere voraus, dass die Opposition ihre parlamentarische Kontrollfunktion unabhängig vom Wohlwollen der Parlamentsmehrheit erfüllen kann. Es erscheine hier „nicht von vornherein ausgeschlossen“, dass die Besetzung eines Ausschussvorsitzes als Kontrollrecht in diesem Sinne aufzufassen ist (RdNr. 30f.).

8. Der Verfahrensausgang in der Hauptsache ist somit nicht von vornherein unzulässig und unbegründet.

Ja!

Richtig - laut BVerfG sei eine Beeinträchtigung der Gleichbehandlung der Fraktionen sowie des Grundsatzes effektiver Oppositionen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Insbesondere sei nicht klar, ob eine Beeinträchtigung dieser Rechtspositionen überhaupt und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden könnte (RdNr. 32; vgl. auch § 58 GO-BT). Der Verfahrensausgang in der Hauptsache ist somit offen, sodass eine Folgenabwägung nach der Doppelhypothese vorzunehmen ist.

9. Die Doppelhypothese verlangt eine Abwägung zwischen den Folgen des Ergehens der einstweiligen Anordnung bei Erfolglosigkeit der Hauptsache und den Folgen einer Versagung bei Erfolg in der Hauptsache.

Genau, so ist das!

Richtig! Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Hauptsache aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache jedoch der Erfolg versagt bliebe.

10. Erginge die Anordnung nicht und hätte der Hauptantrag Erfolg, wäre B einstweilen daran gehindert, ein ihm rechtlich zustehendes Amt auszuüben.

Ja, in der Tat!

Während dies zwar eine spürbare Beeinträchtigung des B darstellt, weist das BVerfG darauf hin, dass im vorliegenden Verfahren nicht die Rechtsposition des B, sondern die der A-Fraktion maßgebend ist. Die A-Fraktion hat jedoch die Möglichkeit, ihre derzeitige Beeinträchtigung durch Benennung eines anderen Kandidaten selbst zu verringern. Die A-Fraktion sei daher nicht vollständig an der Erfüllung ihrer Oppositionsaufgaben gehindert (RdNr. 34f.).

11. Erginge die Anordnung und wäre die Hauptsache später erfolglos, würde der Rechtsausschuss wieder von B geleitet und es entstünden keine Nachteile.

Nein!

BVerfG: Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens würde der Rechtsausschuss wieder von B geleitet und damit von einer Person, die – aufgrund der vorangegangenen Abberufung – „das Vertrauen der Ausschussmehrheit offensichtlich nicht besitzt“. Dies gefährde die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses. Zudem greife eine solche Anordnung in das Selbstbestimmungsrecht des Bundestages (Art. 40 Abs. 1 GG) ein, wozu das BVerfG nur in Ausnahmefällen befugt sei (RdNr. 36).

12. Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegt das Interesse der A-Fraktion, sodass B sein Amt wieder aufnehmen darf.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerfG: Auf Seiten der A-Fraktion liegen keine Umstände vor, die den Erlass der einstweiligen Anordnung dringend geboten erscheinen lassen (RdNr. 37). Auch wenn es laut BVerfG nicht ausgeschlossen sei, dass die A-Fraktion durch die Abwahl des B in ihren organschaftlichen Rechten verletzt wurde, habe sie die Nachteile hinzunehmen, die ihr dadurch entstehen, dass B einstweilen nicht ins Amt zurückkehren kann. Das Ergebnis des Organstreitverfahrens (Hauptsache) bleibt abzuwarten, erscheint aber nach den Ausführungen des BVerfG durchaus offen.

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Evan Bermel

Evan Bermel

11.2.2022, 12:07:08

Dürfte man als Student in eine Klausur hier als Ergebnis schreiben: "Der Antrag des A-Fraktion hat kein Aussicht auf Erfolg"? Weil hier, hätte ich das als Ergebnis in der Klausur geschrieben.

VIC

Victor

12.2.2022, 05:42:59

Genau. Das wäre dann das abschließende Ergebnis.

OFAC

omnimodo facturus

9.7.2022, 12:21:43

Kompliment an den Cartoonisten! Man kann Brandner sehr gut identifizieren :)

ASA

asanzseg

23.2.2023, 11:45:28

Für alle die hier (wie ich) auf den Schlauch stehen, eine kurze Herleitung/Ergänzung der Problematik: Die Ausschüsse im Bundestages werden nach den Stärkeverhältnissen der Parteien verteilt. Davon getrennt ist der Vorsitz der Ausschüsse. Dieser wird normalerweise NICHT von den Ausschussmitgliedern gewählt, sondern nach Stärkeverhältnis der Parteien vergeben: d.h. Diejenigen Parteien mit der größten Representanz im Bundestag suchen sich einen Ausschuss(den wichtigsten meistens) aus, und die zweitgrößte den Zweitwichtigstenausschussvoristz. Die AfD (hier A-Fraktion) würde nach diesem System und proportional zu dem Stärkeverhältnis 3 Ausschusvorsitze erhalten (eben ohne Möglichkeit der Wahl, NORMALERWEISE). Jetzt ist das aber so, dass die Ausschussmitglieder den Vorsitzenden der A-Partei "abgewählt" haben. Die Frage ist indessen etwas weiter gefasst als es hier zum Ausdruck kommt. Wenn der Vorsitz (bis jetzt so gut wie immer ) nicht durch Wahlen der Ausschussmitglieder sondern durch Zuweisung nach Stärkeverhältnis erhalten wurde, kann dieses "Recht" durch Abwahl entzogen werden(1.), und wenn ja muss aufgrund des Prinzips der Opposition ZWINGEND ein Mitglied der A-Fraktion gewählt werden (2.)(wenn auch ein anderer) und 3.wenn dies nicht der Fall sein sollte, müssen dann immer Wahlen bzgl. Ausschussvorsitz vorgenommen werden um keine Partei zu benachteiligen? Sodele Roman Ende :D

RAP

Raphaeljura

11.4.2023, 23:49:38

Ich habe es nicht ganz verstanden. Warum sind den die Nachteile der A Fraktion nicht gewichtig genug? Es wurde doch festgestellt, dass sie repräsentiert sein muss. Oder liegt es daran, dass die A Fraktion zunächst eine andere Person benennen muss? Aber dann stellt sich die Frage, wie lange dann dieses Spiel geht ? Die Entscheidung in der Hauptsache kann ja auch lange dauern.

Pilea

Pilea

6.10.2023, 09:45:09

Ganz verkürzt: Die Nachteile der A-Fraktion sind, sollte die Hauptsache der A-Fraktion recht geben, geringer, als die Nachteile des anderen Organs, sollte die Hauptsache der A-Fraktion nicht recht geben. Die letzten Fragen (die, die sich mit der Doppelhypothese beschäftigen), vertiefen das.

JO

JonasRehder

11.2.2024, 13:52:41

Besonderheit ist hier auch noch, dass sich hier eine Erheblichkeitsschwelle in die Doppelhypothese mischt, die dem Grundsatz der Gewaltenteilung entspringt. Demnach reicht es (wie auch in einer der letzten Fragen geklärt) nicht aus, dass der Nachteil höher ist, wenn der Antrag in der Hauptsache Erfolg hat und die einstweilige Anordnung versagt wird. Vielmehr bedarf es aufgrund der nicht abschließenden verfassungsrechtlichen Regelung eines das Selbstbestimmungsrecht eines anderen Organs betreffenden Zustandes eines schweren Nachteils zum Erlass der Anordnung. Ein Fall, in dem das ganze anders herum entschieden wurde und die vorstehenden Erwägungen nochmal vertieft werden, ist der Fall zum Gesetzgebungsverfahren beim GEG (Neuerdings auch bei Jurafuchs mWn, ansonsten BVerfG vom 5. Juli 2023 – 2 BvE 4/23.) Beste Grüße!


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