Öffentliches Recht
Staatsorganisations-Recht
Rechtsstellung des Bundestags & der MdB
Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch polizeiliches Betreten von Abgeordnetenbüros
Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch polizeiliches Betreten von Abgeordnetenbüros
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Am Fenster von Bs Abgeordnetenbüro hängt während des türkischen Staatsbesuchs eine kleine Kurdistan-Flagge. Die Bundestagspolizei, die Bundestagspräsident S unterliegt, geht hinein und entfernt die Flagge, um Ausschreitungen zu verhindern. B ist empört und wendet sich an das BVerfG.
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Einordnung des Falls
Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch polizeiliches Betreten von Abgeordnetenbüros
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Um sich gegen die polizeiliche Maßnahme zu wehren, muss B gegen S ein Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, §§ 63ff. BVerfGG) einleiten.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Betreten der Abgeordnetenräume des B ist zulässiger Antragsgegenstand im Organstreitverfahren (§ 64 BVerfGG), obwohl nicht S selbst, sondern die Polizei gehandelt hat.
Ja!
3. Abgeordnete des Deutschen Bundestags können im Organstreitverfahren grundsätzlich nur eigene organschaftliche Rechte geltend machen (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).
Genau, so ist das!
4. Die Antragsbefugnis des B ergibt sich auch aus einer möglichen Verletzung seiner Rechte aufgrund der Durchsuchung seiner Abgeordnetenräume.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Abgeordneten des Deutschen Bundestags steht aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG das Recht zu, ihnen zugewiesene Räumlichkeiten ohne Beeinträchtigungen durch Dritte nutzen zu können.
Ja!
6. Das polizeiliche Handeln stellt vorliegend einen Eingriff in das Recht des B aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG dar.
Genau, so ist das!
7. Eingriffe in das freie Mandat von Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) können niemals gerechtfertigt sein.
Nein, das trifft nicht zu!
8. Die Polizei beim Deutschen Bundestag übt für den Bundestagspräsidenten die ihm übertragene Polizeigewalt (Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG) in den Gebäuden des Bundestags aus.
Ja!
9. § 23 Abs. 1 DA-PVD gestattet der Polizei beim Deutschen Bundestag das Betreten eines Raums zur Abwehr einer Gefahr.
Genau, so ist das!
10. Vorliegend fehlt es bereits am legitimen Zweck der polizeilichen Maßnahme.
Nein, das trifft nicht zu!
11. Jedenfalls ist die polizeiliche Maßnahme nicht angemessen, da die rechtfertigenden Gründe die Schwere des Eingriffs nicht überwiegen.
Ja!
12. Der Antrag des B ist begründet. S hat ihn durch das Betreten der ihm zugewiesenen Abgeordnetenräume in seinem Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verletzt.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
L. H.
23.1.2021, 09:53:58
Habe ich das überlesen oder wird hier gar nicht auf die Möglichkeit der Beschlagnahme nach Art. 40 Abs. 2 S. 2 Var. 2 GG eingegangen?
FML
10.3.2021, 12:40:08
Ist eher eine Frage der Relevanz. Wäre im Zweifel abzugrenzen ob das reine entfernen der Fahne einer Sicherstellung gleichzusetzen ist.
Wendelin Neubert
11.1.2022, 18:15:47
Hallo L.H., ja das hast du überlesen. Wir gehen auf diese Frage in der vierten Frage und dem dazugehörigen Hinweistext ein. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
iustus
5.4.2021, 11:32:16
Könnte man nicht auch über eine Klage über den VerwaltungsRW nachdenken? zB eine FFK?
Lukas_Mengestu
6.4.2021, 13:42:13
Hallo iustus, sofern eine
verfassungsrechtliche Streitigkeitvorliegt, so ist der Gang zu den Verwaltungsgerichten versperrt (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Insofern scheidet dann auch eine FFK aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
iustus
6.4.2021, 14:26:39
Stimmt. 😅🤣 Wir haben ja zwei Verfassungsorgane und es geht um spezifisches VerfR. Ich habe es mit einem anderen Fall verwechselt, da ging es um die Durchsetzung eines Hausverbots durch die BT-Polizei. Aber da war der Kläger Journalist. Oh Gott ist mir das peinlich. 😅
Lukas_Mengestu
6.4.2021, 14:39:27
Aus eigenen Fehlern lernt man doch bekanntlich am besten! insofern super, dass Du nochmal nachgefragt hast 😊
Pilea
9.2.2023, 14:26:09
Könntet ihr die DA-PVD (?) in den Fragen nochmal verlinken?
Lukas_Mengestu
10.2.2023, 17:24:04
Hallo Pilea, die Dienstanweisung wurde zwar nie offiziell veröffentlicht. "FragdenStaat" hat aber glücklicherweise einmal nachgehakt, sodass wir zumindest Verweise auf das Gesamtdokument (https://fragdenstaat.de/anfrage/dienstanweisung-des-bundestagsprasidenten-zur-polizei-des-bundestages/23706/anhang/ifg_bt_20150121_anlage1.pdf) einbauen konnten. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Pilea
10.2.2023, 18:45:25
Sehr cool!
asanzseg
23.2.2023, 10:39:59
Hi @jurafuchs! mir ist etwas aufgefallen: ihr habt in Frage 3 geschrieben: B könnte eine mögliche Verletzung seiner Rechte aus Art. 40 II S.2 GG geltend machen. Ihr wollt hier darauf hinaus, ob es sich beim Betreten der Räumlichkeiten um eine Durchsuchung handelt, und dann die VSS des Art. 40 II GG vorliegen müssen. Dabei ist Art. 40 II S.2 GG ja an und für sich keine Schutznorm aus derer sich unmittelbar Rechte der Abgeordneten ableiten? Es geht hier ja immer noch um die Rechte aus Art. 38 GG deren Eingriff wenn er die Gestalt des Art. 40 II GG annimmt, dann auch Voraussetzungen erfüllen muss. Oder?
Nora Mommsen
25.2.2023, 10:21:07
Guten Morgen asanzseg, danke für deine Rückfrage. Du hast Recht, dass sich der Abgeordnete nur auf eine Verletzung des Art. 38 GG berufen kann. Diese Rechte werden durch Art. 40 Abs. 2 S. 2 GG lediglich konkretisiert. Die Formulierung war insoweit nicht ganz eindeutig, wir haben sie nun umformuliert. Im vorliegenden Fall konnte sich der Abgeordnete schon nicht darauf berufen, weil gar keine Durchsuchung i.S.d. Art. 40 GG vorlag. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Im🍑nderabilie
6.3.2023, 14:09:48
Kam heute im Examen BaWü dran :)
Lukas_Mengestu
6.3.2023, 16:06:32
Vielen Dank, Im🍑nderabilie. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
22.8.2023, 22:30:37
Liebes Jura-Fuchsteam, vielen Dank für die ausführliche Darstellung. Jedoch fehlen in diesem Kapitel "Staatsorganisationsrecht" eine Einführung sowie die
Prüfungsschemata.
nullumcrimen
24.4.2024, 18:43:27
Warum genau wird das Vorliegen einer Gefahrenquelle bejaht nur um die Angemessenhei zu verneinen weil ein geringes Provokationsrisiko besteht?.
Dogu
29.6.2024, 12:23:26
Ich verstehe nicht ganz, wieso es ausschließlich auf die eigenen Rechte des Organs ankommen soll, wenn § 64 I BVerfGG doch explizit auch die Verletzung von Rechten des Organs, dem er angehört (Bundestag), aufführt.
bebeh102
29.6.2024, 13:32:35
Nach hM handelt es sich bei dem einzelnen Abgeordneten nicht um eine "ständig vorhandene Gliederung des Verfassungsorgans Bundestag". Eine
Prozesstandschaftvon einzelnen Abgeordneten für den Deutschen Bundestag gem. § 64 I BVerfGG kommt deshalb nicht in Betracht.
Dogu
1.7.2024, 12:41:50
Danke für die Info. Wird das noch irgendwie näher begründet? Eine Fraktion ist ja auch nicht dauerhaft im Bundestag (siehe die nicht mehr vorhandene Linksfraktion oder die zeitweilig früher nicht mehr existente FDP-Fraktion).
as.mzkw
29.8.2024, 16:31:13
Woraus ergibt sich die
Parteifähigkeitdes Bundestagspräsidenten iRd Organstreits? Ist er „anderer Beteiligter, der durch das GG mit eigenen Rechten* ausgestattet ist“ (Art. 93 I Nr. 1 Alt. 2 GG)? *Ein solches Recht ist das hier relevante Hausrecht aus Art. 40 II 1 GG, richtig?
Leo Lee
1.9.2024, 08:48:14
Hallo as.mzkw, vielen Dank für die sehr gute Frage! Genauso ist es! Der BTags-Präsident ist in 40 II 1 GG mit eigenen Rechten ausgestattet, weshalb er parteifähig ist. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von der BVerfGE 60, 374 Rn. 19 sehr empfehlen (die Entscheidung findest du hier: https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv060374.html) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo