Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2022

Konkludente Fortsetzung eines Mietverhältnisses?

Konkludente Fortsetzung eines Mietverhältnisses?

12. November 2024

4,8(24.287 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Vermieterin V kündigt Gewerbemieter M fristlos, da M drei Monate keine Miete zahlt. Daraufhin zahlt M das Geld nach. Die Mietsache behält er, obwohl V diese mehrfach herausverlangt. M zahlt die bisherige Miete weiter. Ein Jahr später zieht M aus ohne V für die letzten zwei Monate bezahlt zu haben. § 545 BGB war vertraglich ausgeschlossen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Konkludente Fortsetzung eines Mietverhältnisses?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V könnte gegen M einen Anspruch auf Zahlung der ausstehenden Nutzungsentschädigung aus § 546a Abs. 1 BGB haben.

Ja, in der Tat!

Für einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung (§ 546a Abs. 1 BGB) müssen die Voraussetzungen der Rückgabepflicht nach § 546 Abs. 1 BGB erfüllt sein. Das bedeutet, es muss (1) ein wirksamer Mietvertrag zustande gekommen sein, der aber (2)zwischenzeitlich wieder beendet worden ist. (3)Zudem müsste der Mieter dem Vermieter die Mietsache vorhalten. Rechtsfolge ist die Verpflichtung des Mieters zur Zahlung der für die Dauer der Vorenthaltung vereinbarten Miete bzw. der für vergleichbare Sachen ortsüblichen Miete.Je nach Fallfrage in der Klausur kann zunächst zu prüfen sein, ob ein vertraglicher Anspruch aus dem Mietvertrag besteht (§ 535 Abs. 2 BGB). Dieser setzt allerdings ein noch wirksames Mietverhältnis voraus.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Mietverhältnisse sind nur ordentlich kündbar, weshalb die Kündigung der V unwirksam war.

Nein!

Jede Vertragspartei - also sowohl Mieter als auch Vermieter - kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Dabei gilt der Grundtatbestand des § 543 BGB. Ein wichtiger Grund liegt dabei vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (§ 543 Abs. 1 BGB).

3. V konnte M zunächst wirksam außerordentlich fristlos kündigen, weil M mit der Miete in Verzug war (§ 543 BGB).

Genau, so ist das!

Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung liegt insbesondere vor, wenn der Mieter (1) für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder (2) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Erbringt der Schuldner schuldhaft eine fällige und einredefreie Leistung nicht, so kommt er in Verzug (§ 286 BGB). Nach § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ist in diesem Fall keine vorherige Abmahnung nötig. M war mit der Mietzahlung zwei Monate in Verzug, sodass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vorlag.

4. Durch die Nachzahlung der ausstehenden Miete durch M ist die Kündigung der V aber nachträglich unwirksam geworden, sodass das Mietverhältnis fortbesteht (§ 569 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB wird die Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs befriedigt wird. Jedoch gilt der § 569 BGB nur für Wohnraummietverhältnisse. In § 578 Abs. 1, Abs. 2 BGB werden § 569 Abs. 1 BGB und unter bestimmten Umständen auch § 569 Abs. 1 BGB für entsprechend anwendbar erklärt. Dies gilt jedoch nicht für § 569 Abs. 3 BGB. Zwar hat M die ausstehende Miete nachgezahlt, jedoch gilt der § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nur für Wohnraummietverhältnisse. Die Wirksamkeit der Kündigung des Gewerberaums bleibt durch die Nachzahlung unberührt.

5. Das Mietverhältnis wurde aber aufgrund Ms fortgesetztem Verbleib in dem Gewerberaum auf unbestimmte Zeit verlängert (§ 545 BGB).

Nein!

Nach § 545 BGB kann sich ein eigentlich beendetes Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit verlängern, wenn der Mieter den Gebrauch an der Mietsache widerspruchslos fortsetzt. Es handelt sich dabei um dispositives Recht. Ein Ausschluss des § 545 BGB ist sowohl individualvertraglich als auch formularvertraglich wirksam möglich. M und V haben die Anwendung des § 545 BGB formularvertraglich wirksam ausgeschlossen, sodass es auf ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 545 BGB nicht ankommt. Das Mietverhältnis wurde durch die Weiternutzung nicht auf unbestimmte Zeit verlängert.

6. Beendete Mietverhältnisse können grundsätzlich konkludent neu begründet werden.

Genau, so ist das!

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung können die Parteien eines beendeten Mietverhältnisses konkludent ein neues Mietverhältnis auf Grundlage des beendeten Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit begründen. Dazu muss sich im Einzelfall feststellen lassen, dass dies Parteiwillen und -interesse entspricht (RdNr. 35). Das wird regelmäßig angenommen, wenn dem Mieter einerseits widerspruchslos die Räume überlassen wurden und andererseits der Vermieter die Miete entgegennahm und die Annahme eines fortbestehenden Vertragsverhältnisses der Interessenlage der Parteien entsprach (RdNr. 36).

7. V hat das Entgelt von M widerspruchslos entgegengenommen, sodass das Mietverhältnis konkludent neu begründet wurde.

Nein, das trifft nicht zu!

Allein die Zahlung des der Miete entsprechenden Entgelts soll nicht ausreichend sein, um einen konkludenten Neuabschluss eines Mietverhältnisses zu begründen. Denn der bisherige Mieter schuldet beim Verbleib in der Mietssache diesen Betrag ohnehin als gesetzliche Nutzungntschädigung (§ 546a Abs. 1 BGB). OLG: Aus Vs Verhalten lasse sich nicht darauf schließen, dass sie ein neues Mietverhältnis begründen wolle. Vielmehr habe sie dem ausdrücklich widersprochen, indem sie mehrfach von M die Herausgabe des Mietobjekts gefordert habe (RdNr. 37ff.). Es wurde kein neues Mietverhältnis konkludent begründet.

8. M hat gegen die bestehende Rückgabepflicht aus § 546 BGB verstoßen, sodass V ein Anspruch auf Zahlung der Nutzungsentschädigung zusteht.

Ja!

Das Mietverhältnis zwischen M und V wurde durch die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam beendet. M war verpflichtet, das Mietobjekt herauszugeben, ist seiner Pflicht jedoch nicht nachgekommen. V hat daher einen Anspruch auf Zahlung der ausstehenden Nutzungsentschädigung. Mit seiner Entscheidung machte das OLG deutlich, dass es für die konkludente Begründung eines Mietverhältnisses nicht ausreichend ist, dass der Vermieter die Nutzungsentschädigung einige Monate entgegennimmt, sofern er den Herausgabeanspruch fortgesetzt geltend macht.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Sambadi

Sambadi

19.10.2023, 18:13:47

Reicht die alleinige Aufforderung zur Herausgabe über einen so langen Zeitraum wirklich aus? Weil V hätte innerhalb des Jahres ja auch eine Räumungsklage einreichen können um Ihr Recht durchzusetzen. So aber ist V in einer bequemen Position, dass Sie über ein ihr beliebigen Zeitraum nur zu sagen braucht „ich will dich raus haben“, aber trotzdem die Miete entgegennehmen kann und faktisch nur die Vorzüge Ihrer Position als Vermieterin genießt, ohne an irgendwelche Pflichten gebunden zu sein. Zumal ja nach dieser Argumentation kein Mietverhältnis besteht und sie die „Miete“ als Nutzungsentschädigung behalten darf.

GVE

gottloser Vernunftsjurist

22.1.2024, 23:22:16

Das lässt sich auch hören. Irgendwo müsste es da ja auch eine Grenze geben, die hier in dem Urteil noch nicht ausgelotet wurde. Da das nicht geschehen ist, wird die Grenze, die dann ein neues, konkludent zustande gekommenes MV indiziert, noch weiter hinten liegen.

TI

Timurso

26.8.2024, 12:33:34

Ich muss meinen beiden Vorrednern hier widersprechen. Ich finde es 1. absolut gerechtfertigt, dass V in einem solchen Fall besser gestellt ist, schließlich ist sie in der Nutzung ihres Eigentums erheblich eingeschränkt. Und 2. ist meiner Meinung nach auch für die Konstruktion eines konkludenten Vertrages kein Raum, wenn die V dem ausdrücklich widerspricht. Und zwar unabhängig davon, wie viel Zeit seit der Beendigung des Mietvertrags vergangen ist. Beides sehe ich auch nicht dadurch eingeschränkt, dass die V klagen könnte. Sie hat keine

Obliegenheit

, ihre absoluten Rechte gerichtlich geltend zu machen. Es ist vielmehr das Problem des Mieters, wenn er gegen den Willen der V die Herausgabe verweigert und dadurch einen rechtswidrigen Zustand aufrechterhält.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen