Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2022

Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Absage einer Hochzeitsfeier

Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Absage einer Hochzeitsfeier

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M und F schließen mit V 2019 einen Raummietvertrag für eine im Mai 2020 geplante Hochzeit mit 70 Gästen. M und F zahlen die Miete. Ab April 2020 sind größere Ansammlungen aufgrund einer Coronaschutzverordnung untersagt. M und F verlangen Rückzahlung. V bietet Alternativtermine für 2021 an.

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Einordnung des Falls

Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Absage einer Hochzeitsfeier

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M und F könnte ein Rückzahlungsanspruch gegen V zustehen, wenn die Miete nach § 536 Abs. 1 BGB auf Null gemindert war (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Dies setzt voraus, dass der Bereicherungsschuldner (1) etwas (2) durch Leistung des Bereicherungsgläubigers (3) ohne Rechtsgrund erlangt hat (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB). Für eine Mietzahlung besteht insoweit kein Rechtsgrund, als der Mietzahlungsanspruch des Vermieters gemindert ist. Anders als das Kauf- und Werkrecht (§§ 441 Abs. 4 S. 1; 638 Abs. 4 S. 1 BGB) regelt das Mietrecht keinen eigenständigen Rückzahlungsanspruch für den Fall, dass der Mieter mehr als die geminderte Miete gezahlt hat. Zahlt der Mieter trotz Kenntnis des Mangels ohne Vorbehalt weiterhin die volle Miete, so ist § 814 Alt. 1 BGB zu beachten.
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2. Der Mietzahlungsanspruch könnte gemindert sein (§ 536 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Minderung setzt voraus: (1) Bestehen eines Mietvertrags (§ 535 BGB, (2) Vorliegen eines Mangels zur Zeit der Überlassung der Mietsache (§ 536 BGB), (3) Kein Ausschluss der Minderung (§§ 536 Abs. 1a, 536b, 536c Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB). Die mietrechtliche Minderung erfolgt kraft Gesetzes (ipso iure) und nicht durch Erklärung. Sie ist also kein Gestaltungsrecht. Im Übrigen sind die Gewährleistungsrechte auch nicht durch die zu Beginn der Corona-Pandemie eingeführte Sondervorschrift des Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB gesperrt. Denn Sinn der Norm ist nicht die Beschränkung, sondern die Erweiterung der Mieterrechte in von Corona beeinflussten Sachverhalten.

3. Im Mietrecht gilt primär der subjektive Mangelbegriff.

Ja!

Ein Mangel liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Mietsache (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten (Soll-)Beschaffenheit abweicht (subjektiver Mangelbegriff). Die Soll-Beschaffenheit bestimmt sich primär nach den Vereinbarungen der Parteien; hilfsweise wird sie unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks nach der Verkehrsanschauung bestimmt. Ebenso wie im Kaufrecht kann sich der Mangel auch aus der Beziehung der Mietsache zur Umwelt ergeben. Voraussetzung ist aber stets, dass der Mangel die Tauglichkeit der Sache zu dem vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder nicht unerheblich mindert (§ 536 Abs. 1 S. 1, S. 3 BGB).

4. Die coronabedingte Unzulässigkeit der Hochzeit stellt einen Mangel der vermieteten Räume dar, sodass die Miete auf Null gemindert war (§ 536 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen stellen dann einen Mangel dar, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache und nicht auf persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters beruhen. Kontaktbeschränkungen nach der Corona-Verordnung knüpfen an die erhöhte Infektionsgefahr bei größeren Menschenansammlungen an. Die Nutzung der Räume als solche ist nicht verboten. Bezugspunkt des Verbots ist daher nicht die Beschaffenheit, der Zustand oder die Lage der Räume, sondern das Gefahrpotential der konkreten Nutzungsart. Danach liegt kein Mangel der Mietsache vor.

5. Kann ein Mangel aber deshalb angenommen werden, weil vertraglich der Nutzungszweck (= Hochzeitsfeier mit 70 Leuten) vereinbart wurde?

Nein, das trifft nicht zu!

Voraussetzung wäre, dass die Auslegung der vertraglichen Nutzungszweckvereinbarung (§§ 133, 157 BGB) ergibt, dass der Vermieter diese unbedingt gewährleistet. Die Durchführbarkeit der beabsichtigten Nutzung müsste also Teil der Soll-Beschaffenheit sein. Ohne besondere Umstände kann ein redlicher Mieter der Vereinbarung eines Mietzwecks keine unbedingte Einstandspflicht des Vermieters entnehmen. Dass der Vermieter - in Abweichung von der gesetzlichen Risikoverteilung - eine Nutzung unter allen erdenklichen Umständen gewährleisten möchte, kann nur angenommen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte ersichtlich sind.

6. M und F können den Mietvertrag außerordentlich kündigen (§ 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB), sodass ihnen ein Rückzahlungsanspruch nach § 547 Abs. 1 BGB zusteht.

Nein!

Die außerordentliche Kündigung setzt (1) eine Kündigungserklärung und (2) einen wichtigen Grund voraus. Über § 547 BGB könnte die im Voraus für eine nach der Beendigung des Mietverhältnisses liegende Zeit gezahlte Miete zurückverlangt werden. Die Mietsache war nicht mangelhaft. Damit liegt kein wichtiger Grund (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) vor, sodass eine Kündigung und damit mangels Beendigung des Mietverhältnisses auch ein Anspruch aus § 547 BGB ausscheidet. Eine Kündigungserklärung bedürfte hier nicht der Schriftform des § 569 BGB! Diese Norm gilt nach ihrer systematischen Stellung nur für die Wohnraummiete.

7. M und F könnte ein Rückzahlungsanspruch gegen V zustehen, wenn der Mietzahlungsanspruch des V erloschen ist (§§ 326 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Rückzahlungsanspruch setzt voraus: (1) Gegenseitiger Vertrag, (2) Bewirken der Gegenleistung, (3) Untergang des ursprünglich entstandenen Anspruchs auf die bewirkte Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 BGB), (4) Keine Anspruchserhaltung (z.B. § 326 Abs. 2 BGB). Auf den ersten Blick scheint der Anspruch nach erklärtem Rücktritt (§§ 326 Abs. 5, 346 Abs. 1 BGB) neben § 326 Abs. 4 BGB überflüssig zu sein. Bedeutsam ist die Rücktrittsmöglichkeit jedoch bei Teilleistungen, wenn der Gläubiger an der noch möglichen Restleistung kein Interesse hat (beachte aber § 323 Abs. 5 BGB).

8. Der Mietzahlungsanspruch (§ 535 Abs. 2 BGB) des V ist erloschen, da die Erfüllung seiner Pflicht aus § 535 Abs. 1 BGB unmöglich geworden ist (§ 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Unmöglichkeit einer Leistung (§ 275 BGB) setzt die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolges durch den Schuldner voraus. Die Coronaverordnung untersagt nicht die gewerbliche Vermietung von Räumen. Da V nicht die Durchführung der Hochzeitsfeier zu einem bestimmten Zeitpunkt (= Fixgeschäft), sondern nur die Überlassung der Räume schuldete, liegt keine Unmöglichkeit vor. Ein Anspruch nach §§ 326 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB scheidet aus. Eine Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass das Hochzeitspaar nur die Räumlichkeiten gemietet hatte, nicht aber weitere vertragliche Leistungen im Zusammenhang der Hochzeit wie die Bewirtung mit V vereinbart hatten. Wäre etwa ein Bewirtungsvertrag geschlossen worden, hätte Unmöglichkeit vorgelegen. § 275 Abs. 1 BGB setzt einen „Anspruch auf Leistung“ voraus. Was nicht geschuldet ist, kann auch nicht unmöglich werden. Und V trifft - wie oben gezeigt - nach § 535 Abs. 1 BGB keine unbedingte Einstandspflicht.

9. Allerdings könnten M und F Vertragsanpassung verlangen, wenn die Voraussetzungen von § 313 Abs. 1 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) vorliegen.

Ja!

Eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass sich (1) Umstände, die zur Vertragsgrundlage geworden sind, nach Vertragsschluss (reales Element) (2) so schwerwiegend geändert haben, dass die Parteien den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten (hypothetisches Element) und (3) einer Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist (normatives Element).Die Störung der Geschäftsgrundlage ist als Ausnahme vom Grundsatz der Vertragstreue eine absolute Ausnahmevorschrift. Vorrangig ließe sich auch noch eine ergänzende Vertragsauslegung prüfen.Hier solltest Du in der Klausur ganz eng am Gesetz arbeiten, um gutes und sauberes methodisches Arbeiten zu zeigen. Das ist wichtiger, als auswendig gelernte Begrifflichkeiten wie reales Element oder normatives Element.

10. Hat sich durch die Covid-19-Pandemie ein Umstand, der Vertragsgrundlage geworden ist, nach Vertragsschluss verändert?

Genau, so ist das!

Geschäftsgrundlage sind solche Vorstellungen, die weder zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung gemacht wurden, noch einseitiges, für die andere Seite nicht erkennbares Motiv geblieben sind. Als sog. große Geschäftsgrundlage liegt jedem Vertrag die Vorstellung zugrunde, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert wird. Aufgrund der vielfältigen Corona-Bekämpfungsmaßnahmen und den damit verbundenen erheblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen hat sich die Geschäftsgrundlage geändert.

11. Die Störung der Geschäftsgrundlage ist auch schwerwiegend.

Ja, in der Tat!

Schwerwiegend ist eine Störung der Geschäftsgrundlage dann, wenn die Parteien den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten, wenn sie die Störung der Geschäftsgrundlage vorhergesehen hätten. Hätten V, M und F gewusst, dass die Hochzeitsfeier pandemiebedingt nicht im geplanten Umfang stattfinden kann, hätten sie den Vertrag nicht so abgeschlossen. Denn redliche Mietvertragsparteien hätten das mit einer Pandemie verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters geregelt, sondern eine vertragliche Anpassungsmöglichkeit vorgesehen. Dies bestätigt Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB. Die Begriffe „schwerwiegend“ in § 313 Abs. 1 BGB und „wesentlich“ in Abs. 2 sind synonym.

12. Ist M und F ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar?

Ja!

Unzumutbar ist das Festhalten, wenn ansonsten untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbare Folgen drohten. Bei der Bewertung der Rechtsfolgen kommt der vertraglichen Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt V das Risiko der Gebrauchstauglichkeit (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB), und M das Verwendungsrisiko. Durch die Corona-Pandemie hat sich jedoch nicht das Verwendungsrisiko des M, sondern das allgemeine Lebensrisiko einer Systemkrise verwirklicht, das mietvertraglich weder der einen noch der anderen Seite allein zugewiesen werden kann.

13. Da das Risiko der Corona-Pandemie keiner Partei zugewiesen werden kann, ist die Miete zwischen M/F und V hälftig zu teilen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ziel der Vertragsanpassung ist es, den Vertrag so zu ändern, dass ein weiteres Festhalten am Vertrag wieder zumutbar ist. Um in die Vereinbarung der Parteien nicht weiter einzugreifen, als es durch die veränderten Umstände geboten ist, kommt eine pauschale hälftige Teilung nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21, hier bei Jurafuchs). Vielmehr bedarf es einer umfassenden Einzelfallabwägung. Eine Auflösung des Vertragsverhältnisses als intensivster Eingriff in die ursprüngliche Regelung kommt daher nur in Betracht, wenn eine Vertragsanpassung unmöglich oder unzumutbar ist (§ 313 Abs. 3 BGB).

14. Der Anspruch von M und F auf Vertragsanpassung ist auf die von V angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt (§ 313 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ziel der Vertragsanpassung ist es, den Vertrag so zu ändern, dass ein weiteres Festhalten am Vertrag wieder zumutbar ist. V hat mehrere Ausweichtermine angeboten. Diese waren weit genug entfernt, um M und F eine Planung unter Berücksichtigung der Pandemie zu ermöglichen. Da im Mai 2020 nirgendwo größere Personengruppen erlaubt waren, ist eine Neuplanung auch nicht aufgrund des damit verbundenen Aufwands unzumutbar. Dies würde das Pandemierisiko allein V auferlegen. Der Anspruch ist damit auf Vereinbarung eines Alternativtermins beschränkt. Im Originalfall kam hinzu, dass die standesamtliche Trauung bereits 2018 erfolgt war. Der BGH betonte, dass deshalb kein schutzwürdiges Interesse an einer Veranstaltung gerade im Mai 2020 vorlag. Wenn M und F schon zwei Jahre zwischen standesamtlicher Hochzeit und geplanter Feier gewartet hatten, sei ihnen eine erneute Verlegung auch zumutbar. Ganz ähnlich entschieden hat der BGH einen werkvertraglichen Fall, in dem eine Hochzeit Corona-bedingt nicht stattfinden konnte und das Hochzeitspaar die ursprünglich engagierte Fotografin nach der Pandemie nicht mehr engagieren wollte (BGH, Urt. v. 27.04.2023 – VII ZR 144/22).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JAEL

Jael

30.4.2022, 16:30:25

Ihr seid echt klasse! Danke für die schnelle Aufarbeitung! 😍

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.5.2022, 10:44:51

Vielen Dank, Jael. Das gebe ich sehr gerne an den Autor weiter :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tobias Rexler

Tobias Rexler

17.5.2022, 14:28:12

War exakt so bei mir der Fall :) Haben die Feier erfolgreich kostenfrei um 1 Jahr verschoben.

IS

IsiRider

30.4.2023, 11:19:44

Was ist unter Sozialexistenz zu verstehen? Muss man den Begriff auslegen, ist der gesetzlich verankert oder nur Argument der Rspr.?

Sambajamba10

Sambajamba10

7.8.2023, 13:46:40

Argument der Rechtsprechung - Soll einfach bedeuten, ob man durch einen unveränderten Vertrag in seiner sozialen/wirtschaftlichen Existenz bedroht ist. Aber gerade das braucht es eben nicht, um die Unzumutbarkeit zu bejahen

HEXC

hexchenm

21.6.2024, 13:21:59

Könntet ihr diesen Fall bitte auch nich zur aktuellen Rechtsprechung ZR hinzufügen? „Ganz ähnlich entschieden hat der BGH einen werkvertraglichen Fall, in dem eine Hochzeit Corona-bedingt nicht stattfinden konnte und das Hochzeitspaar die ursprünglich engagierte Fotografin nach der Pandemie nicht mehr engagieren wollte (BGH, Urt. v. 27.04.2023 – VII ZR 144/22).“


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