Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Geschäftsfähigkeit

Sonderfall: Einverständnis des anderen Teils mit fehlender Einwilligung - dann schwebende Unwirksamkeit eines einseitigen RG

Sonderfall: Einverständnis des anderen Teils mit fehlender Einwilligung - dann schwebende Unwirksamkeit eines einseitigen RG

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die 17-jährige K hat von V ein WG-Zimmer gemietet. K erklärt V die Kündigung, obwohl beide wissen, dass K ihre Eltern noch nicht um Erlaubnis gefragt hat. V kommt die Kündigung gelegen, weil er das Zimmer anderweitig benötigt. Er will abwarten, was Ks Eltern dazu sagen.

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Einordnung des Falls

Sonderfall: Einverständnis des anderen Teils mit fehlender Einwilligung - dann schwebende Unwirksamkeit eines einseitigen RG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Um den Mietvertrag mit V wirksam zu kündigen, benötigt K die Einwilligung der Eltern.

Ja, in der Tat!

Ein einseitiges, nicht lediglich rechtlich vorteilhaftes Rechtsgeschäft des Minderjährigen ist nur wirksam, wenn er es mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters vornimmt (§ 111 S. 1 BGB). Eine Kündigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Da sie für K einen Mietvertrag beendigt, ist sie nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, weil sie auch Ks Rechte aus dem Vertrag beseitigt.
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2. Die Kündigung ist nach h.M. schwebend unwirksam (§ 180 S. 2 Alt. 2 BGB analog, § 108 Abs. 1 BGB), weil V von der fehlenden Einwilligung wusste.

Ja!

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das der Minderjährige ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vornimmt, ist unwirksam (§ 111 S. 1 BGB). Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Erklärungsempfänger mit der Vornahme des Geschäfts ohne Einwilligung einverstanden ist. Die h.M. wendet in diesem Fall den § 180 S. 2 Alt. 2 BGB analog an, was dazu führt, dass das einseitige Rechtsgeschäft nicht endgültig, sondern gemäß § 108 BGB nur schwebend unwirksam ist. V war auch ohne Einverständnis von Ks Eltern damit einverstanden, dass K die Kündigung ihm gegenüber erklärt. Die Kündigung ist schwebend unwirksam.

3. Wenn Ks Eltern die Kündigung genehmigen, wird diese wirksam.

Genau, so ist das!

Da die Kündigung schwebend unwirksam ist, können Ks Eltern sie gemäß § 180 S. 2 Alt. 2 BGB analog i.V.m. § 108 Abs. 1 BGB genehmigen. Dadurch wird sie wirksam.

4. Einseitige Rechtsgeschäfte von Minderjährigen sind auch dann vollständig unwirksam und können nicht geheilt werden, wenn der Vertragspartner mit der Vornahme des Geschäfts ohne Einwilligung einverstanden ist (§ 111 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 111 BGB schützt den Erklärungsempfänger vor Schwebezuständen. Die Norm passt aber nicht auf den Fall, dass dieser freiwillig auf Schutz verzichtet, indem er mit der einwilligungslosen Vornahme des einseitigen Rechtsgeschäfts einverstanden ist. Da dies auch nicht anderweitig gesetzlich geregelt ist, besteht eine planwidrige Regelungslücke. Somit kommt eine Analogie in Betracht. Diese hat zwei Voraussetzungen: eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage. Die Interessenlage ist mit § 180 S. 2 Alt. 2 BGB< vergleichbar, wonach ein einseitiges Rechtsgeschäft eines Vertreters ohne Vertretungsmacht bei Einverständnis des Erklärungsempfängers schwebend unwirksam ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SI

silasowicz

11.8.2023, 18:48:36

Ich verstehe nicht ganz, warum die Regelungslücke planwidrig ist, man könnte doch auch so argumentieren, dass Schwebezustände aus Gründen des Minderjährigenschutzes gerade nicht gewünscht sind und § 111 deswegen abschließend ist.

QUIG

QuiGonTim

25.9.2023, 09:35:17

Bei der Vermeidung von Schwebezuständen geht es allein um die Interessen des Erklärungsempfängers. Er muss die rechtlichen Folgen einer wirksamen Willenserklärung (z.B. Beendigung des Mietverhältnisses) tragen, obwohl er keinen Einfluss auf das einseitige Rechtsgeschäft hat. Deshalb soll bei einseitigen Rechtsgeschäften möglichst schnell Klarheit herrschen. Dem Minderjährigenschutz wird hingegen mit der Anwendung von §

108 BGB

genüge getan.

Jakob G.

Jakob G.

9.8.2024, 13:45:55

Stimme @[QuiGonTim](133054) zu, wobei der Minderjährigenschutz vorliegend nach meiner Ansicht in § 111 1 BGB wurzelt. S. 2 schützt die Einwilligungsberechtigten (idR Eltern), indem auch eine vorgelegte und gefälschte Einwilligung auf einer tatsächlich gegebenen Einwilligung beruhen muss. Und der Zurückweisungsausschluss des S. 3 den*die Erklärungsempfänger*in.

TO

TomBombadil

7.2.2024, 16:21:52

Hallo zusammen, wenn ich recht erinnere, wird in einer Frage darauf abgestellt, dass der Empfänger wisse, dass die Eltern noch nicht zugestimmt haben, weshalb die Erklärung (lediglich) schwebend unwirklich sein soll. In der Antwort wird dann aber eher darauf abgestellt, dass der Empfänger auf den Schutz vor Schwebezuständen verzichtet, also eher aktiv handelt und nicht bloß um die fehlende Zustimmung weiß. Es wäre vielleicht gut, wenn sich diese Wertung auch in der Frage wiederfinden würde.

JUL

julius.frotscher

20.10.2024, 00:18:35

Der Text der Aufgabe spricht viel darüber, dass V mit der Willenserklärung trotz mangelnder Einwilligung einverstanden ist - dies entspricht aber nicht dem Text der Aufgabe. Dort wird zwar erwähnt das ihm die Kündigung gelegen kommt. Es wird aber nicht gesagt das er der Künding gegenüber der Minderjährigen auch explizit zustimmt - im Gegenteil wird darauf verwiesen das er abwarten möchte was die Eltern dazu sagen - das klingt für mich zumindest nach einer expliziten Zurückweisung.

JUL

julius.frotscher

20.10.2024, 00:20:24

Der Text der Aufgabe spricht viel darüber, dass V mit der Willenserklärung trotz mangelnder Einwilligung einverstanden ist - dies entspricht aber nicht dem Text der Aufgabe. Dort wird zwar erwähnt das ihm die Kündigung gelegen kommt. Es wird aber nicht gesagt das er der Künding gegenüber der Minderjährigen auch explizit zustimmt - im Gegenteil wird darauf verwiesen das er abwarten möchte was die Eltern dazu sagen - das klingt für mich zumindest nach einer expliziten Zurückweisung.

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

23.10.2024, 16:38:35

Ich finde den Sachverhalt auch etwas irritierend.

BEN

benjaminmeister

12.11.2024, 17:51:31

Wollte hier im ersten Moment auch direkt zustimmen, dass die Aufgabe so etwas unklar ist, allerdings wirft sie so doch eigentlich eine sehr interessante (weitere) Frage auf: Muss der Empfänger seine Zustimmung/Einverständnis zu der fehlenden Einwilligung nach außen zeigen/kommunizieren, oder reicht schon ein innerer (unerklärter) Verzicht aus? Unabhängig davon, hat der vorliegende Fall aber auch die Besonderheit, dass man das Einverständnis hinsichtlich der fehlenden Zustimmung bei genauer Betrachtung durch Auslegung nach dem

objektiven Empfängerhorizont

(§§ 133, 157 BGB) aus der Aussage des V in der Sprechblase herauslesen kann. Seine Aussage mit dem Abwarten ergibt ja nur Sinn, wenn er sich damit einverstanden erklärt, dass die Kündigung nicht wegen § 111 BGB unwirksam sein soll. Also sogesehen liegt hier ein nach außen zum Ausdruck gebrachter Verzicht auf die Einwilligung doch vor und keine explizite Zurückweisung (weil es der wegen § 111 BGB gar nicht bedarf und außerdem würde die eher so aussehen, dass V die Ungültigkeit erklärt also gar nicht auf eine nachträgliche Genehmigung verweisen würde!).


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