Luftpumpe als Scheinwaffe?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

O steht vor einer Bar. Neben sich hat sie ihre Tasche abgestellt. Weil T in dieser Geld vermutet, hält er O eine große Luftpumpe wie ein Gewehr vor und fordert sie auf, zu gehen. O hält die Luftpumpe für ein Gewehr und flieht ängstlich. T rennt mit der Tasche davon, nimmt das Geld raus und wirft die Tasche weg.

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Einordnung des Falls

Luftpumpe als Scheinwaffe?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich wegen Raubes strafbar gemacht haben, indem er O die Luftpumpe vorhielt und die Handtasche mitnahm (§ 249 Abs. 1 StGB).

Ja!

Der Raub ist ein zweiaktiges Delikt, das alle Elemente der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) und des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) enthält. Objektiv setzt der Raub daher (1) die Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache sowie (2) den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels voraus. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des (3) raubspezifischen Zusammenhangs verknüpft diese Elemente miteinander und charakterisiert den Unrechtsgehalt des Raubes.
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2. Hat T die Tasche weggenommen?

Genau, so ist das!

Die Tathandlung beim Raub ist zunächst die Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache (§ 249 Abs. 1 StGB). Eine Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Sie ist für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Indem T die Os in die Flucht geschlagen hat, hat er ihre tatsächliche Sachherrschaft an der Tasche, einer fremden, beweglichen Sache, gegen ihren Willen aufgehoben. Durch die Mitnahme der Tasche hat er eigenen Gewahrsam begründet.Beim Raub ist es nach hM ausreichend, dass sich die Sache bei Einsatz des Nötigungsmittels im Gewahrsam des Opfers befindet. Gibt es infolge der Nötigung den Gewahrsam auf, steht das einer Wegnahme nicht entgegen.

3. Indem T der O die Luftpumpe wie ein Gewehr vorhielt, drohte er ihr mit einer Gefahr für Leib oder Leben.

Ja, in der Tat!

Drohung ist das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Im Gegensatz zur bloßen Nötigung (§ 240 StGB) muss beim Raub (§ 249 StGB) das Übel eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben sein. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Drohung wirklich ausführbar ist; es reicht, wenn der Täter den Anschein der Ernstlichkeit erweckt. Die Drohung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Indem T der O die Luftpumpe wie ein Gewehr vorhielt, erweckte er den Anschein, er werde sie damit verletzen, wenn sie seiner Aufforderung nicht Folge leisten würde. Somit liegt eine (konkludente) Drohung für Leib und Leben vor.

4. T drohte der O auch, um die Wegnahme zu ermöglichen.

Ja!

Die h.M. setzt beim Raub als raubspezifischen Zusammenhang Finalität voraus, was nicht zuletzt an dem Wortlaut „unter Anwendung“ fest gemacht wird. Die Nötigungsmittel werden gerade zur Erzwingung der Wegnahme eingesetzt. Es kommt dabei maßgeblich auf die Vorstellung des Täters (subjektiv) und nicht auf einen Ursachenzusammenhang (Kausalität) zwischen Nötigung und Wegnahme an.

5. Hatte T auch Zueignungsabsicht bezüglich der Tasche.

Nein, das ist nicht der Fall!

Im subjektiven Tatbestand verlangt der Raub Vorsatz sowie die Absicht rechtswidriger Zueignung. Erforderlich ist dafür der Enteignungsvorsatz als der Vorsatz (mindestens dolus eventualis) dauerhafter Enteignung sowie die Aneignungsabsicht als die Absicht der (zumindest) vorübergehenden Aneignung. Die Zueignung muss zudem rechtswidrig sein. Nimmt der Täter ein Behältnis nur weg, um sich dessen Inhalt anzueignen, das Behältnis jedoch wegzuwerfen, liegt Zueignungsabsicht nur hinsichtlich des Inhalts vor.T hatte es von Anfang an nicht auf die Tasche, sondern auf den Inhalt, namentlich das Geld der O, abgesehen. Die Tasche wollte er von Anfang an wegwerfen. Es fehlt bei der Wegnahme diesbezüglich an der Aneignungsabsicht.

6. Bezüglich des Geldes ist der subjektive Tatbestand jedoch erfüllt.

Ja, in der Tat!

Im subjektiven Tatbestand verlangt der Raub Vorsatz sowie die Absicht rechtswidriger Zueignung. Erforderlich ist dafür der Enteignungsvorsatz als der Vorsatz (mindestens dolus eventualis) dauerhafter Enteignung sowie die Aneignungsabsicht als die Absicht der (zumindest) vorübergehenden Aneignung. Die Zueignung muss zudem rechtswidrig sein. T handelte vorsätzlich und mit der Absicht, sich das Geld rechtswidrig zuzueignen. Es sind weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe erkennbar. T hat sich wegen Raubes nach § 249 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

7. T könnte mit seiner Handlung auch den Qualifikationstatbestand des schweren Raubes erfüllt haben (§ 250 StGB).

Ja!

Der schwere Raub nach § 250 StGB ist eine Qualifikation zu § 249 Abs. 1 StGB und erfasst Fälle, die im Verhältnis zum Grundtatbestand eine gesteigerte Gefährlichkeit aufweisen. Die Tatbestände des ersten Absatzes ziehen eine Freiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren nach sich. Erfüllt der Täter auch die weiteren Voraussetzungen aus § 250 Abs. 2 StGB, ist eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vorgesehen.Durch den ausdrücklichen Verweis in § 252 StGB bzw. § 255 StGB (“gleich einem Räuber”) werden die Qualifikationstatbestände aus § 250 StGB auch für den räuberischen Diebstahl sowie die räuberische Erpressung relevant.

8. Durch den Einsatz der Luftpumpe hat T ein gefährliches Werkzeug verwendet (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB verlangt zunächst das Vorliegen eines gefährlichen Werkzeugs. Das gefährliche Werkzeug als Tatmittel taucht an verschiedenen Stellen im StGB auf und seine Definition ist insbesondere umstritten, wenn bereits strafbar ist, dass der Täter das Werkzeug bloß bei sich führt. Anders als beim Beisichführen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB setzt § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB jedoch die Verwendung voraus, sodass nach der Rechtsprechung letztlich ein Gleichlauf mit der Definition bei der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erzielt werden kann. Ein gefährliches Werkzeug ist danach ein Gegenstand, der nach seiner konkreten Verwendungsart im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Vorliegend hat T der O die Luftpumpe als Drohmittel wie eine Schusswaffe vorgehalten. Bei dieser konkreten Art Verwendungsart war sie nicht geeignet, erhebliche Verletzungen bei O hervorzurufen.

9. T hat durch das Mitführen der Luftpumpe aber ein gefährliches Werkzeug bei sich geführt und § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB verwirklicht.

Nein, das trifft nicht zu!

Da § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB keine Verwendung voraussetzt, ist für den Begriff des gefährlichen Werkzeugs ein Gleichlauf mit § 224 StGB nicht möglich. Der Wortlaut bestimmt, dass zumindest eine objektive bzw. abstrakte Gefährlichkeit vorliegen muss. Darüber hinaus ist der Begriff streitig. Die herrschende Ansicht folgt überwiegend einer abstrakt-objektiven Betrachtungsweise. Danach handelt es sich um ein gefährliches Werkzeug, wenn aufgrund der objektiven Beschaffenheit eine Eignung zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen festgestellt werden kann (waffenähnliche Gefährlichkeit). Diese entfalle bei Gegenständen mit neutraler Gebrauchsfunktion. Eine solche Waffenersatzfunktion ist bei einem Gegenstand wie einer Luftpumpe nicht ohne weiteres gegeben. Sie ist kein gefährliches Werkzeug. Im Ausgangsfall hatte der BGH die Nr. 1a StGB nicht geprüft, in der Klausur solltest Du sie aber zwingend thematisieren.

10. T könnte aber durch das Mitführen der Luftpumpe die Qualifikation nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB verwirklicht haben.

Ja!

Gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB ist ein schwerer Raub anzunehmen, wenn der Täter „sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (…)”. Es wird also bereits das Beisichführen von Gegenständen, die nicht unter § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB fallen, erfasst. Subjektiv muss beim Täter eine Verwendungsabsicht vorliegen.Die Vorschrift ist wortgleich zu § 244 Abs. 1 Nr. 1b StGB, sodass dort die gleichen Probleme bei der Bestimmung des gefährlichen Werkzeuges auftauchen. Da bereits das „Beisichführen“ genügt, kann - anders als bei der gefährlichen Körperverletzung - nicht auf eine konkrete Verwendung abgestellt werden.

11. Scheinwaffen wie die Luftpumpe sind nie vom schweren Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB stellt nach der Konzeption des Gesetzgebers einen Auffangtatbestand dar und fordert anders als Nr. 1a kein gefährliches Werkzeug, sondern “sonst ein Werkzeug”. Daher erfasse Nr. 1b grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d.h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird.

12. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB möglichst weit auszulegen.

Nein, das trifft nicht zu!

Weil § 250 Abs. 1 StGB eine Mindeststrafe von nicht unter drei Jahren Freiheitsstrafe anordnet, hält der BGH eine restriktive Auslegung für angezeigt. Gegenstände, die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und daher nicht dazu geeignet sind, mit ihnen auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken, sollen nicht in den Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB fallen (RdNr. 7). Es genüge nicht, wenn die Drohwirkung eines Gegenstandes nach der Verkehrsanschauung maßgeblich auf täuschenden Erklärungen beruhe. Ihren Anfang nahm die restriktive Auslegung der Vorschrift mit der sog. Plastikrohr-Entscheidung (BGHSt 38, 116). Dieser folgten zahlreiche andere Beispielsfälle, der populärste darunter ist vermutlich die Labello-Entscheidung (BGH NJW 1996, 2663).

13. Ist Ts Luftpumpe für einen objektiven Beobachter offensichtlich ungefährlich und daher kein sonstiges Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB?

Nein!

BGH: Setze man eine Luftpumpe als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen ein, könne man mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen einwirken. Deshalb sei sie „ihrer Art nach“ dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Eine Luftpumpe sei deshalb objektiv nicht offenkundig ungefährlich. (RdNr. 8). Die Luftpumpe ist geeignet, eine Drohwirkung zu erzeugen, da sie durchaus als Schlagwerkzeug eingesetzt werde kann. Die Täuschung des T tritt dahinter zurück. Vorliegend ist die Luftpumpe daher zumindest als „sonstiges Werkzeug“ im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu klassifizieren.

14. T erfüllt auch subjektiv den § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB.

Genau, so ist das!

Anders als bei § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB genügt ein bloßes Beisichführen im Falle des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nicht. Vielmehr muss der Täter das Werkzeug oder Mittel bei sich geführt haben, um den Widerstand einer anderen Person mit Gewalt oder Drohung zu verhindern oder zu überwinden (sog. Verwendungsabsicht). Vorliegend wollte T die Luftpumpe zielgerichtet als Drohmittel verwenden und setzte sie zudem auch tatsächlich in beabsichtigter Weise ein. T erfüllt also auch subjektiv den § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Klima-Kleber

Klima-Kleber

18.9.2023, 10:13:49

Die letzte Frage habe ich verneint, weil der Täter ja gerade keinen Vorsatz dahingehend zu haben scheint, dass die Luftpumpe schlagend eingesetzt werden soll/kann, sondern nur im Hinblick auf den Einsatz als Drohmittel. Objektiv liegt § 250 I Nr. 1 b) aber nur wegen der Eignung als Schlagwerkzeug vor und nicht wegen der Eignung als Drohmittel. Meines Erachtens korrespondieren objektiver und subjektiver Tatbestand zumindest in dem von euch dargestellten Fall nicht… Wo liegt mein Fehler?

LAY

Lay

19.9.2023, 10:33:30

Mir fehlen auch ein paar Infos zur Beschaffenheit der Luftpumpe. Wie groß? Wie schwer? Welches Material? Ich würde nämlich nicht behaupten, dass sich jede Luftpumpe als Schlagwerkzeug handelt...

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.9.2023, 11:45:56

Hallo ihr beiden, um den Tatbestand einzugrenzen, differenziert die Rechtsprechung in der Tat zwischen objektiv ungefährlichen Gegenständen, die schon nach ihrem Erscheinungsbild keine Gefährlichkeit aufweisen (zB Labello) und den sonstigen Scheinwaffen, die zwar keine gefährlichen Werkzeuge/Waffen darstellen, aber zumindest objektiv eine gewisse Gefährlichkeit aufweisen (zB täuschend echte Spielzeugwaffe). Gemessen an diesem Maßstab hat der BGH und das LG Essen in diesem Fall bei der Luftpumpe durchaus eine objektive Gefährlichkeit angenommen. Subjektiv muss der Täter zwar eine Gebrauchsabsicht aufweisen. Es genügt aber, wenn der Täter das Tatmittel zur Drohung verwenden will und sich vorstellt, der Bedrohte nehme die Drohung ernst und glaube, der Täter könne sie realisieren und nicht nur unerhebliche Verletzungen zufügen. Die Absicht muss sich also nicht auch auf den Einsatz beziehen (vgl. hierzu ausführlich BGH NJW 1990, 2570 = https://research.wolterskluwer-online.de/document/68c117f9-7c59-48c1-8784-deb7d4420abb). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

19.9.2023, 09:55:42

Ich finde, im Sachverhalt wird nicht ganz deutlich, ob das Opfer die Luftpumpe gar nicht sieht, oder ob es die Drohung/dass es eine Luftpumpe ist, nicht erkennt. Außerdem ist mir nicht ganz klar geworden, wo diese Information in den Subsumtionen verwertet wurde. In der Mitte gab es zweimal leere Erklärungskästen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.9.2023, 11:31:21

Hallo Pilea, durch diese Information sollte ein Hinweis auf die Scheinwaffenproblematik gegeben werden. Auch Scheinwaffen fallen nach der Rspr. jedenfalls unter § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB, sofern sie nicht "offenkundig" ungefährlich sind (zB Labello). Da von der Luftpumpe durchaus eine erhöhte Gefährlichkeit ausgeht, ist die Qualifikation erfüllt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Cosmonaut

Cosmonaut

15.2.2024, 17:13:17

@[Lukas_Mengestu](136780) Diese Argumentation verstehe ich nicht: Wieso wird auf die Gefährlichkeit der Luftpumpe als solcher abgestellt, wenn doch das Opfer die Luftpumpe GERADE NICHT als eine solche, sondern als Gewehr wahrgenommen hat. Im Rahmen von 250 I Nr 1b (!) hat die Gefährlichkeit des Gegenstandes doch gar keine Bedeutung (im Ggs. zu Nr. 1a). Regelmäßig wird doch selbst den Täter höchstpersönlich die (objektiv-abstrakte) Gefährlichkeit des genutzten Gegenstandes nicht interessieren, sondern nur die Waffen-Attrappen-Tauglichkeit desselben… Selbst die Argumentation des BGH zugrunde gelegt, blicke ich dann erst recht nicht, wieso man beim Schlüssel unter der Jacke dann eine Scheinwaffe bejaht. Mit meinem Postschlüssel / Kellerschlüssel kann ich doch nun wirklich nichts verletzen (=offenkundig ungefährlich). Bitte helft meinem Verständnis doch auf die Sprünge, ich verzweifle, vielen Dank!

Cosmonaut

Cosmonaut

16.2.2024, 11:13:09

edit: es kommt schlichtweg auf das objektive Erscheinungsbild des verwendeten Schlüssels an; insoweit führt die (ansonsten flawless) Zeichnung in dem Jurafuchs-Fall ein wenig in die irre (hier ungefährlicher Schlüssel zu sehen): Nach Lektüre des Urteils scheint mir, dass in deren SV eher ein „Schlüsselbund“ einschlägig war —> „Schlagwerkzeug“). Bzgl einem Briefkasten- oder simplen, stumpfen Kellerschlüssel alleine würde wohl auch ein „objektiver Betrachter“ von Ungefährlichkeit sprechen müssen, womit die Täuschung im Vordergrund stünde. BGH: „Nach dem weiten Wortlaut der Norm ist es zwar nicht erforderlich, dass das mitgeführte Werkzeug oder Mittel seiner Beschaffenheit nach objektiv geeignet ist, das Opfer durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu nötigen. Als tatbestandsqualifizierende Drohungsmittel scheiden nach st. BGH-Rspr. solche Gegenstände aus, bei denen die Drohungswirkung nicht auf dem objektiven Erscheinungsbild des Gegenstands selbst, sondern (allein oder jedenfalls maßgeblich) auf täuschenden Erklärungen des Täters beruht (vgl. BGHSt 38, 116, 118 f.; BGH, NStZ 1997, 184; NStZ 2007, 332, 333; NStZ 2011, 278; 703). Liegt danach aus der Sicht eines objektiven Betrachters auf das äußere Erscheinungsbild die objektive Ungefährlichkeit des Gegenstands offenkundig auf der Hand, liegt kein Fall des § 250 I Nr. 1b vor“ (Rn. 7, NJW 2018, 90). Schlüssel: „Bei dem vom Angeklagten mitgeführten Schlüssel, den er so in der Hand gehalten habe, dass die Zeugin diesen für ein Messer halten sollte, müsste es sich um ein „sonstiges Werkzeug“ handeln […]. Ein Schlüssel ist – anders als etwa ein Plastikrohr (BGHSt 38, 116, 117 ff.) oder ein Holzstück (BGH NStZ-RR 1996, 356) – ohne Weiteres geeignet, bei einer Verwendung als Schlag- oder Stoßwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen durchaus ernsthafte Verletzungen zu verursachen. Von einer objektiven Ungefährlichkeit kann insoweit nicht die Rede sein. Dass die Drohwirkung des eingesetzten Schlüssels auch auf dem täuschenden Verhalten des Angeklagten beruht, steht der Anwendung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nicht entgegen“ (Rn. 8).

MEEN

meentangled

19.9.2023, 16:22:10

Hallo, danke für die Aufbereitung des Falls! Eine Anmerkung: Ich weiß, dass das nicht das Problem des Falles ist, aber mit gefiele in der Subsumtion unter Wegnahme noch ein kleiner Schlenker, dass Wegnahme auch dann erfüllt (dh der Gewahrsam des O auch aufgehoben ist), wenn sie die Tasche abstellt und flüchtet. Ja, das ist nicht so umstritten (zweiaktiger TB; der Gewahrsam muss nur bei Einsatz des Nötigungsmittels und nicht beim "nehmn der Tasche" vorliegen) aber es würde kurz an das Subsumstionsproblem erinnern und alles ein bisschen genauer machen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.9.2023, 17:58:40

Vielen Dank für den Hinweis, meentangled! Wir haben das noch präzisiert :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sophix58

Sophix58

8.10.2023, 08:21:03

Hätte man hier nicht sogar eine Abgrenzung zur räuberischen Erpressung vornehmen müssen?

MAX

Maxi97

27.9.2023, 00:02:49

Hätte mir noch eine Bewertung der Entscheidung des BGH gewünscht. Im Lichte der vorherigen Entscheidungen wirkt diese extrem komisch, wo ist jetzt der große Unterschied zu einem Plastikrohr, kann ja auch als schlagwerkzeug verwendet werden. Insbesondere die Tatsache, dass der BGH hier mit der Gefährlichkeit argumentiert ist einfach irrational => diese betrifft ja eigentlich 250 I Nr 1 Lit a und sollte gerade nicht für lit b beachtet werden. Bin eh im Referendariat und muss dem BGH folgen aber aus dogmatischer Sicht würde ich im ersten Examen eine andere Ansicht als hier vertreten.

Cosmonaut

Cosmonaut

15.2.2024, 17:07:24

Danke, du bringst mein inneres Störgefühl auf den Punkt. Es wirkt inkonsequent bei einer „Scheinwaffe“ mit der trotzdem im Gegenstand liegenden Gefährlichkeit zu argumentieren. Offensichtlich nimmt das Opfer die Luftpumpe ja gerade nicht als solche wahr (weshalb es nicht von Belang sein kann, was ein objektiver Dritter über die Gefährlichkeit derselben urteilt), sondern nimmt O ja ein Gewehr wahr.

VALA

Vanilla Latte

28.9.2023, 12:26:08

Ich verstehe nicht, wieso hier eine Wegnahme vorliegt. Abgrenzung zur räuberischen Erpressung ist ja, dass das Opfer hierbei die Sache gibt. Wenn ich die Tasche fallen lasse, ist das nicht wie ein Geben? Und zweite Frage: wieso war die Luftpumpe in dem Fall ein sonstiges Werkzeug, wenn doch hier die Täuschung im Vordergrund stand? Er hat die Pumpe doch als Schusswaffe getarnt, was sie eindeutig nicht war und nicht als sonstiges Werkzeug? Und ich gehe davon aus, dass man eine Luftpumpe schon eindeutig erkennt. Ähnlich wie beim Plastikrohr. Ansonsten könnte man auch dabei argumentieren, dass man damit das Opfer hätte schlagen können.

Paul

Paul

24.10.2023, 09:04:14

Das ist die Sachverhaltsschilderung im Originalurteil. Die Tasche wurde nicht fallengelassen, sondern stand auf dem Tisch neben dem Opfer und befand sich damit noch in ihrem (gelockerten) Gewahrsam. Mit dieser Darstellung ist es nach dem äußeren Erscheinungsbild und damit nach dem BGH wohl eine Wegnahme. Bei der hier vorliegenden Sachverhaltsschilderung hätte ich auch meine Zweifel, eine Wegnahme anzunehmen. „Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte am Abend des 26.

Apr

il 2022 der Geschädigten ihre Handtasche wegnehmen, um sich Wertgegenstände und Bar

geld

zu verschaffen. Ihre Tasche hatte die Geschädigte, die sich in Gesellschaft von zwei Freunden rauchend vor dem Eingangsbereich einer Gaststätte befand, neben sich auf einem Tisch abgestellt. (…) Wie vom Angeklagten beabsichtigt, erkannten weder die Geschädigte noch ihre Begleiter die Luftpumpe als eine solche. Vielmehr besorgten sie den Einsatz einer Schusswaffe und liefen daher in das Lokal. Der Angeklagte nahm die zurückgelassene Handtasche an sich und verließ die Örtlichkeit. Bevor er sich der Tasche entledigte, entnahm er ihr das Portemonnaie der Geschädigten, um es nebst Inhalt wie u. a. Bar

geld

zu behalten.“ http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&az=4%20StR%2061/23&nr=133364

Paul

Paul

24.10.2023, 09:07:26

Wie ich sehe, wurde der Sachverhalt jetzt auch entsprechend angepasst :)

Cosmonaut

Cosmonaut

15.2.2024, 17:05:02

Hallo, Ich bin verwirrt: Wir haben den Fall „Schlüssel unter Jacke“ auch unter Scheinwaffe subsumiert, soweit ich mich erinnere. Ich sehe aber nicht, wie ein Schlüssel jemals wahrhaft gefährlich eingesetzt werden kann. Könnte jemand noch einmal erklären, inwieweit der Schlüssel-Fall mit diesem Luftpumpenfall vergleichbar ist. Dank und Gruß

TI

Timurso

15.2.2024, 21:18:32

So wie eine Luftpumpe als Schlagwerkzeug eingesetzt werden kann, kann ein Schlüssel wohl als Stichwaffe/-werkzeug eingesetzt werden. Beides jetzt nicht super gefährlich, aber eben auch nicht ungefährlich. Ein Schlüsselbund kann auch ähnlich eines Schlagringes eingesetzt werden.

Cosmonaut

Cosmonaut

16.2.2024, 11:09:15

@[Timurso](197555) Danke dir, Du hast recht, habe die entsprechenden Stellen in den Urteilen mal nachgelesen. Es kommt wohl stark auf die Art des verwendeten Schlüssels an (wobei mir nach Lektüre des Urteils in deren SV eher ein „Schlüsselbund“ einschlägig zu sein schien —> „Schlagwerkzeug“). Bzgl einem Briefkastenschlüssel alleine würde wohl auch ein „objektiver Betrachter“ von Ungefährlichkeit sprechen müssen. Da Jurafuchs immer sagt, die Zeichnungen gehören zum SV und hier in der Zeichnung ein simpler, stumpfer Kellerschlüssel zu sehen war, erklärt sich die Verwirrung wohl daraus. „Nach dem weiten Wortlaut der Norm ist es zwar nicht erforderlich, dass das mitgeführte Werkzeug oder Mittel seiner Beschaffenheit nach objektiv geeignet ist, das Opfer durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu nötigen. Als tatbestandsqualifizierende Drohungsmittel scheiden nach st. BGH-Rspr. solche Gegenstände aus, bei denen die Drohungswirkung nicht auf dem objektiven Erscheinungsbild des Gegenstands selbst, sondern (allein oder jedenfalls maßgeblich) auf täuschenden Erklärungen des Täters beruht (vgl. BGHSt 38, 116, 118 f.; BGH, NStZ 1997, 184; NStZ 2007, 332, 333; NStZ 2011, 278; 703). Liegt danach aus der Sicht eines objektiven Betrachters auf das äußere Erscheinungsbild die objektive Ungefährlichkeit des Gegenstands offenkundig auf der Hand, liegt kein Fall des § 250 I Nr. 1b vor“ (Rn. 7, NJW 2018, 90). oSchlüssel: „Bei dem vom Angeklagten mitgeführten Schlüssel, den er so in der Hand gehalten habe, dass die Zeugin diesen für ein Messer halten sollte, müsste es sich um ein „sonstiges Werkzeug“ handeln […]. Ein Schlüssel ist – anders als etwa ein Plastikrohr (BGHSt 38, 116, 117 ff.) oder ein Holzstück (BGH NStZ-RR 1996, 356) – ohne Weiteres geeignet, bei einer Verwendung als Schlag- oder Stoßwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen durchaus ernsthafte Verletzungen zu verursachen. Von einer objektiven Ungefährlichkeit kann insoweit nicht die Rede sein. Dass die Drohwirkung des eingesetzten Schlüssels auch

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

4.4.2024, 18:19:39

Ich sehe es sogar umgekehrt: Ein Schlüssel (in der Faust) kann bei einem Faustschlag erhebliche Verletzungen verursachen, während eine für gewöhnlich aus Aluminium gefertigte, hohle Fahrradpumpe aus meiner Sicht nicht geeignet ist, um jemanden schwer zu verletzen. Kommt es hier letztlich auf die Argumentation an, bzw muss man eine martialische Kreativität an den Tag legen, um dem Korrektor oder der Korrektorin in der Klausur zu erklären, wie der Täter den Gegenstand anwenden müsste?

MUS

MusterschüLAW

5.5.2024, 18:41:37

@[Cosmonaut](188718) zitiert oben ein Urteil und darin heißt es, dass die Gegenstände als gefährliches Werkzeug ausscheiden, deren Drohungswirkung auf täuschenden Erklärungen des Täters beruhen. Die Luftpumpe erscheint für den objektiven Betrachter ohne Erklärung nicht als gefährlich. Gerade wenn man sieht, dass die Luftpumpe wie eine Waffe gehalten wird, ist der Einsatz als Schlagwerkzeug für mich nicht naheliegend. Das Vortäuschen einer Schusswaffe hat doch auch eher den Sinn, das Ganze schnell und ohne körperliche Schäden für das Opfer durchzuführen, was die Annahme eines gefährlichen Werkzeuges für mich noch weniger naheliegend macht. Kann jemand helfen?

AN

Anne

18.6.2024, 11:50:01

Ich verstehe nicht ganz wieso bei § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB auf die Gefährlichkeit der Luftpumpe abgestellt wird und gesagt wird, dass diese als Schlagwerkzeug benutzt werden kann. Gleichwohl wird aber die Luftpumpe als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB abgelehnt. Hier würde die abstrakt-objektive Betrachtungsweise doch auch dazu gelangen können, dass Luftpumpen aufgrund ihrer Schlagfunktion, eventuell auch gezielt gegen den Kopf, durchaus eine Verletzungseignung zukommen könnte, oder?


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