Referendariat

Die Revisionsklausur im Assessorexamen

Zulässigkeit der Revision

Erklärung in unmittelbarem Anschluss an die Urteilsverkündung

Erklärung in unmittelbarem Anschluss an die Urteilsverkündung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist wegen Raubes angeklagt. Ihre Verteidigerin Viktoria (V) hat kurz vor der Verhandlung ihre Zulassung verloren. A weiß davon nichts. V tritt trotzdem für sie auf. Im Anschluss an ihre Verurteilung gibt A nach Beratung mit V zu Protokoll, auf Rechtsmittel verzichten zu wollen.

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Einordnung des Falls

Erklärung in unmittelbarem Anschluss an die Urteilsverkündung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit der Rechtsmittelverzicht wirksam ist, muss der Erklärende sich der Tragweite seiner Erklärung bewusst sein.

Genau, so ist das!

Explizit geregelt ist in § 302 Abs. 1 S. 2 StPO lediglich die Unwirksamkeit des Verzichts im Falle einer vorangegangenen Verständigung. In Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, dass die Erklärungen auch aus anderen Gründen unwirksam sein können. Inhaltlich setzt die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts voraus, dass sich der Erlärende der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist. Daran fehlt es jedenfalls, wenn der entgegen § 140 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StPO unverteidigte Angeklagte den Rechtsmittelverzicht in unmittelbarem Anschluss an die Urteilsverkündung erklärt hat.
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2. Da A wegen Raubes (§ 249 StGB) angeklagt ist, liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§ 140 StPO).

Ja, in der Tat!

Wird dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt, so liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Der Angeklagte muss in diesem Fall zwingend im Prozess durch einen Verteidiger vertreten werden.Der Raub ist im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr strafbewehrt und damit ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) Wird ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers durchgeführt, so liegt ein absoluter Revisionsgrund vor (§ 338 Nr. 5 StPO), der für genommen schon geeignet ist, zur Aufhebung des Urteils und erneute Verhandlung zu führen.

3. A konnte sich durch V als Wahlverteidigerin im Prozess vertreten lassen.

Nein!

Als Verteidiger können in erster Linie Rechtsanwälte sowie die Rechtslehrer an deutschen Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt gewählt werden (§ 137 Abs. 1 StPO).V hatte ihre Zulassung verloren und war damit keine Rechtsanwältin mehr. Somit konnte sie A nicht wirksam vertreten.

4. Hat A den Rechtsmittelverzicht wirksam erklärt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Inhaltlich setzt die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts voraus, dass sich der Erlärende der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist. Daran fehlt es jedenfalls, wenn der entgegen § 140 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StPO unverteidigte Angeklagte den Rechtsmittelverzicht in unmittelbarem Anschluss an die Urteilsverkündung erklärt hat.A nahm unwissentlich an der Verhandlung ohne den gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Beistand einer zugelassenen Verteidigerin teil. Ihr fehlte damit die rechtsstaatlich unverzichtbare Rechtsberatung. Da ihre Verteidigung insoweit übergebührlich eingeschränkt war, ist ihr Rechtsmittelverzicht unwirksam.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FI

Fischerino

9.12.2023, 12:21:46

wäre hier hinsichtlich der Verteidigung nicht § 146a StPO entsprechend anzuwenden, sodass grundsätzlich doch ersteinmal von der Zulässigkeit der Verteidigung und der entsprechenden Rücknahme/des Verzichts auszugehen ist?

Fräulein Cowds

Fräulein Cowds

10.12.2023, 12:02:32

Ich könnte mir vorstellen, dass eine entsprechende Anwendung nicht überzeugend ist, da die Annahme einer wirksamen Erklärung zu Lasten des Verurteilten wirken würde.

FI

Fischerino

10.12.2023, 12:12:32

hab jetzt nochmal genauer nachgeschaut: "Ist die Zulassung eines Rechtsanwalts bereits erloschen, kann er nur unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 Verteidigungshandlungen wirksam vornehmen (zum Problem der rückwirkenden Wirksamkeit von Prozesshandlungen, wenn die Rücknahme der Zulassung durch Wiedereinsetzung wegfällt: BGH JR 1987, 236 mAnm Vollkommer JR 1987, 225). Der Rechtsmittelverzicht durch einen solchen (anerkannten) Scheinverteidiger ist unwirksam und führt zur Wiedereinsetzung in die Versäumung der Rechtsmittelfrist (BGHSt 47, 238 = NJW 2002, 1436 mAnm Beulke NStZ 2002, 443)." (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 138 Rn. 4)


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