Wiedereinsetzung: unverschuldete Säumnis

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird in seiner Anwesenheit am 22.12 verurteilt. Er teilt seiner Verteidigerin am Freitag, 23.12., telefonisch mit, sie solle Revision einlegen. Da V zu diesem Zeitpunkt auf einer Weihnachtsfeier ist und schon einige Tassen Glühhwein getrunken hat, vergisst sie das Telefonat und legt keine Rechtsmittel ein. A erfährt hiervon am Montag, 2.1.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Wiedereinsetzung: unverschuldete Säumnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann A am 2.1. die Revision noch fristgerecht einlegen (§ 341 Abs. 1 StPO)?

Nein!

Ist der Angeklagte bei Verkündung des Urteils anwesend (Regelfall, vgl. § 231 Abs. 1 StPO), so kann er bis spätestens eine Woche nach der Urteilsverkündung Revision hiergegen einlegen (§ 341 Abs. 1 StPO).A war während der Urteilsverkündung anwesend, weswegen es für den Fristbeginn nicht auf die Zustellung des Urteils, sondern die Vekündung am 22.12 ankommt. Die Einlegungsfrist endete eine Woche später und damit am Donnerstag, 29.12 (§ 43 Abs.1 StPO).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Revisionseinlegung wäre dennoch zulässig, wenn A Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt würde (§§ 44, 45 StPO).

Genau, so ist das!

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein wirksamer Wiedereinsetzungsantrag setzt voraus, dass er zulässig und begründet ist. Zulässig ist er, wenn (1) der Antrag innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird (§ 45 Abs. 1 StPO), (2) die versäumte Hanldung innerhalb derselben Frist nachgeholt wird (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) und die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden (§ 45 Abs. 2 S. 1 StPO). Begründet ist er, wenn der Antragsteller (1) an der Einhaltung der Frist gehindert ist und (2) ihn diesbezüglich kein Verschulden trifft.

3. Könnte A am 2.1. noch einen zulässigen Wiedereinsetzungsantrag stellen?

Ja, in der Tat!

Zur Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags gehört, dass (1) der Antrag innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird (§ 45 Abs. 1 StPO), (2) die versäumte Handlung innerhalb derselben Frist nachgeholt wird (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) und die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden (§ 45 Abs. 2 S. 1 StPO).A wusste nicht, dass V vergessen hatte, die Revision einzulegen. Davon erhielt er erst am 2.1. Kenntnis. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung kann also noch bis zum 9.1. gestellt werden. Bis dahin müsste A auch die Revisionseinlegung nachgeholt haben.Die Glaubhaftmachung kann notfalls auch noch nach Ablauf der Antragsfrist nachgeholt werden.

4. Stellt die verpasste Einlegungsfrist eine Verhinderung iSd § 44 StPO dar?

Ja!

Eine Verhinderung iSd § 44 StPO liegt vor, wenn der Antragssteller die Frist einhalten wollte, sie aber nicht eingehalten hat. Wer von einem befristeten Rechtsbehelf dagegen bewusst keinen Gebrauch gemacht hat, ist nicht an der Einlegung „gehindert“.A wollte Revision einlegen und war hier dadurch gehindert, dass V den entsprechenden Auftrag vergessen hat.

5. Hat A es selbst verschuldet, dass er an der rechtzeitigen Revisionseinlegung gehindert war?

Nein, das ist nicht der Fall!

An einem Verschulden an der Verhinderung fehlt es, wenn bei Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalles der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung ausgeschlossen werden kann. Maßgebend sind dabei die dem Antragsteller mögliche und zumutbare Sorgfalt und die allgemeinen Umstände.A war anwaltlich vertreten und hatte seine Verteidigerin mit der Revisionseinlegung beauftragt. Damit hat er grundsätzlich alles Erforderliche getan, um eine rechtzeitige Einlegung sicherzustellen. Allein der Umstand, dass V den Anruf auf einer Weihnachtsfeier entgegen nahm und schon etwas Alkohol getrunken hatte, verpflichtet ihn nicht dazu, vor Ablauf der Einlegungsfrist noch einmal zu kontrollieren, ob sie die Revision tatsächlich eingelegt hat.Die Rechtsprechung ist im Interesse der materiellen Gerechtigkeit recht großzügig im Hinblick auf ein etwaiges Mitverschulden des Angeklagten.

6. A muss sich aber das Verschulden ihrer Verteidigerin zurechnen lassen, weswegen der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Begründet ist der Wiedereinsetzungsantrag, wenn die Versäumung der Frist unverschuldet erfolgte. Anders als im Zivilprozess (vgl. § 85 ZPO) wird dem Angeklagten im Strafprozess das Verschulden seines Verteidigers aber nicht zugerechnet.Zwar hat V die Revisionseinlegung schlicht vergessen und damit schuldhaft unterlassen. Davon hatte A aber keine Kenntnis. Ihm ist diesbezüglich auch kein Mitverschulden vorzuwerfen, sodass er die Revisionseinlegungsfrist unverschuldet versäumt hat.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Breiter Kneipenschläger

Breiter Kneipenschläger

9.12.2023, 15:08:55

Bei der Frage "Könnte A am 2.1. noch einen zulässigen Wiedereinsetzungsantrag stellen?", ist in der Antwort Handlung falsch geschrieben.

LELEE

Leo Lee

10.12.2023, 08:01:39

Hallo Lackschuh, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben den Fehler nunmehr korrigiert :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


© Jurafuchs 2024