Bargeschäft des täglichen Lebens (Trennungs- und Abstraktionsprinzip)


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K geht zum Straßenkiosk des V und verlangt eine Tafel Vollmilchschokolade. Er bekommt sie ausgehändigt, legt passend 1 € Kaufpreis auf die Theke und geht nach Hause.

Einordnung des Falls

Bargeschäft des täglichen Lebens (Trennungs- und Abstraktionsprinzip)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag) und dazugehöriges Verfügungsgeschäft (z.B. Übereignung einer Sache) sind zwei verschiedene, voneinander zu trennende Rechtsgeschäfte.

Genau, so ist das!

Das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft und die Änderung der Rechtszuordnung (= Verfügungsgeschäft) sind nach BGB voneinander zu unterscheiden. Diese Unterscheidung bezeichnet man als Trennungsprinzip. Zu trennen sind die beiden Rechtsgeschäfte auch dann, wenn sie wirtschaftlich gesehen – wie zumeist beim Barkauf im täglichen Leben – einen einheitlichen Vorgang bilden.

2. V und K haben während des Geschehens am Kiosk drei Rechtsgeschäfte miteinander abgeschlossen.

Ja, in der Tat!

Der Schokoladenkauf am Kiosk teilt sich nach dem Trennungsprinzip in ein Verpflichtungsgeschäft und zwei Verfügungen auf: (1) V und K haben einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) über die Tafel Schokolade geschlossen. Dabei werden für V und K die wechselseitigen Verpflichtungen und Ansprüche aus § 433 Abs. 1 S.1, Abs. 2 BGB begründet. (2) V und K haben eine dingliche Einigung zur Übereignung der Schokoladentafel geschlossen (§ 929 S. 1 BGB). (3) V und K haben zudem eine dingliche Einigung zur Übereignung des Bargeldes (§ 929 S. 1 BGB) geschlossen.Gerade in Anfängerklausuren musst Du für die Korrektorin erkennbar zwischen den verschiedenen Geschäften differenzieren. Aber auch im Examen darfst Du Dir hier keine Fehler erlauben.

3. Wäre der Kaufvertrag zwischen V und K aus irgendeinem Grund unwirksam, hätte dies keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der dinglichen Einigungen über die Schokolade und das Geld.

Ja!

Trotz der Unwirksamkeit des Kaufvertrags wäre K Eigentümer der Schokolade und V Eigentümer des Bargelds geworden. Ist das Verpflichtungsgeschäft (Kauf) unwirksam, das Verfügungsgeschäft (Übereignung) wirksam, bedeutet dies, dass die Verfügung ohne eine entsprechende Verpflichtung hierzu vorgenommen wurde. Die Tatsache, dass die Übereignung wirksam ist, bedeutet nur, dass der Verkäufer die Sache nicht aufgrund seines Eigentums nach § 985 BGB zurückverlangen kann. Die Rückabwicklung erfolgt nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt.1 BGB (Leistungskondiktion): Der Käufer hat Besitz und Eigentum wegen der Unwirksamkeit des Kaufvertrags ohne rechtlichen Grund erlangt und ist zur Herausgabe verpflichtet.

4. Ist die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts abhängig von der Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nicht nur hinsichtlich des Zustandekommens zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ist zu trennen, sondern auch hinsichtlich der rechtlichen Wirksamkeit (Abstraktionsprinzip): Die Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäfts ist losgelöst („abstrakt“) von der Wirksamkeit des anderen Rechtsgeschäfts zu beurteilen. Mängel des einen Geschäfts beeinträchtigen die Wirksamkeit des anderen Geschäfts nicht. Allerdings gibt es Fälle, in denen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft an demselben Fehler leiden und deshalb beide - allerdings jeweils für sich genommen - unwirksam sind ("Fehleridentität"). Bedeutung hat dies insbesondere bei der Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB), der beschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 106ff. BGB) sowie bei Verstoß gegen gesetzliche Verbote (§ 134 BGB) und bei Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB).Die Unabhängigkeit von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ist ein goldenes Prinzip, das NIEMALS missachtet werden darf. Eine Missachtung führt in den meisten Fällen zum Nichtbestehen der Klausur!

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VO846

VO 846/2007

20.11.2019, 15:44:08

Das stimmt so nicht. Es könnten sich Auswirkungen für das Verfügungsgeschäft je nach Fallgestaltung ergeben. Stichwort

Fehleridentität

EAS

Eassy

5.12.2019, 20:45:44

Naja

EAS

Eassy

5.12.2019, 20:47:40

Meiner Meinung nach handelt es sich bei der

fehleridentität

nicht um eine Ausnahme der abstrakten Beurteilung. Der gleiche Fehler erfasst nur ausnahmsweise beide Geschäfte. Nichts desto trotz muss er getrennt geprüft werden. Somit wird das trennungsprinzip doch gerade umgesetzt

JO

Jose

19.7.2021, 14:27:54

In der Fallfrage stand "grds.", was darauf hinweist, dass es Ausnahmen gibt. Außerdem wirkt sich nach mEn vorzugsweiser Ansicht der Fehler beim Verpflichtungsgeschäft tatsächlich nicht auf das Verfügungsgeschäft aus, er "schlägt" NICHT "durch", sondern der selbe (identische) Fehler führt auch zur Unwirksamkeit des Verfügungsgeschäfts. Gab da vor kurzem 1 guten Artikel in der JuS, aber weiß leider grad die Fundstelle nicht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.10.2021, 18:03:24

@Jose: Du meintest vermutlich, Meier/Jocham, Die

Fehleridentität

als Verwirklichung des Abstraktionsprinzips, JuS 2021, 494. Kann das sein?

KLE

kleinerPadawan

14.3.2023, 09:52:39

Ich bin wegen der Formulierung der Frage auch etwas ins Straucheln gekommen. Präziser wäre es tatsächlich ein "grundsätzlich" einzubauen, um deutlich zu machen, dass die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäft ausnahmsweise auch auf die Verfügungsgeschäfte durchschlagen kann.

NIC

Nichtswisser

29.12.2019, 01:05:08

Bei den "drei Rechtsgeschäften" ist es etwas ungenau zu sagen, dass die

Übereignung

des Bargeldes nur ein Rechtsgeschäft darstelle. Schließlich hängt die Anzahl wegen des Spezialitätsgrundsatzes von der Anzahl der einzeln übertragenen Geldwertzeichen ab. Und gerade die wird hier offen gelassen (die Zeichnung mit mehreren Münzen mal unbeachtet gelassen :D)

MAUS

Maus

2.1.2020, 21:26:20

Aber wäre es nicht etwas unzweckmäßig, wenn man für jedes einzelne Geldstück und für jeden einzelnen Schein je ein Rechtsgeschäft annimmt? Wir haben gelernt, dass es sich um ein Rechtsgeschäft handelt, sofern das Geld passend gegeben wird. Bekommt man allerdings Wechselgeld, so findet ein weiteres Rechtsgeschäft statt.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

22.1.2020, 14:16:48

Berechtigter Einwand! K zahlt jetzt passend 1€ :)

Whale

Whale

17.6.2024, 14:42:52

Weshalb kann man denn nicht, wie beim Verpflichtungsgeschäft, alle Verfügungsgeschäfte in ein Verfügungsgeschäft zusammenfassen? ich nehmen an, das würde bei der Rückabwicklung zu sehr unpraktischen Aufteilungen des einen Geschäfts führen, oder?

Harun

Harun

22.10.2021, 16:51:52

Auch hier sollte das “Durchschlagen” der

Fehleridentität

herausgenommen werden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.10.2021, 18:01:06

Danke für den Hinweis, Harun. Wir haben hier jetzt deutlich gemacht, dass es eben nicht um ein "Durchschlagen" geht. Vielmehr führt der gleiche Fehler, unabhängig voneinander, zur Unwirksamkeit der beiden Geschäfte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LAW

Law_yal_life

18.9.2023, 11:01:43

Also wenn das VERPFLG unwirksam ist, dann an §§ 985, 812 ff. denken? Was ist wenn das VERFÜGG unwirksam ist? Dann bestehen ja die ASe weiter fort.. aber die Übertragung des Eigentums hat nicht geklappt? Dann hat das ja nichts mit §§ 812 zu tun oder? Weil wir haben ja einen Rechtsgrund? Nach 985 können wir das aber wegen dem Vorliegen einer

Vindikationslage

herausverlangen? Aber ist das nichts rechtsmissbräulich? Weil ja so oder so der eine die Pflicht hat, die Sache zu übereignen? Ist das dann nicht § 242 BGB? Oder sogar schon nicht dolo agit? So dass derjenige der die Sache hat, obwohl er nicht ETMER geblieben ist behalten darf?

BL

Blotgrim

2.3.2024, 09:39:37

Wenn das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist haben wir nur 812 ff. sofern das Verfügungsgeschäft wirksam ist . Das Herausverlangen nach 985 wenn das Verfügungsgeschäft unwirksam ist würde ich nicht per se als rechtsmissbräuchlich betiteln. Bspw kann es ja sein, dass ich bei dem Verfügungsgeschäft darüber getäuscht wurde, dass mein Gegenüber seine Leistung erbracht hat obwohl das nicht der Fall ist. Jetzt meine Leistung zurück zu verlangen bis die Gegenleistung tatsächlich erbracht wurde ist ja nicht rechtsmissbräuchlich, sondern mein gutes Recht. Die Rückabwicklung kann oft vielleicht unnötig oder kleinlich wirken, rechtsmissbräuchlich Verhalten braucht aber ein bisschen mehr bspw. widersprüchliches Verhalten damit es überhaupt denkbar ist

LAW

Law_yal_life

18.9.2023, 11:05:09

Verstehe das mit der

Fehleridentität

an sich schon. Vielleicht zur Kontrolle: Ausnahmsweise sind beide RG aufgrund es gleichen Mangels unwirksam? Ist das jetzt ein Durchbruch vom Abstraktionsprinzip? Eigentlich ja oder? Es gibt doch so Fälle wo man von der

Fehleridentität

ausgehen kann zb Arglistige Täuschung- Könnt ihr mir vllt die anderen Fälle auch nennen? Das ich mir im groben das so merken kann? Und ich frage mich halt wie genau baue ich das in einem Gutachten ein? Wie leite ich das sauber ein? Wie formuliere ich das?

BL

Blotgrim

2.3.2024, 09:25:06

Ich würde nicht sagen, dass eine Durchbrechung des Abstraktionsprinzips vorliegt es ist halt der selbe Fehler der die Geschäfte zu Fall bringt, aber theoretisch sind sie unabhängig voneinander. Aber um noch ein anderes Beispiel zu nennen, werfe ich die Drohung in den Raum, also wenn ich dich zum Vertragsschluss und zur

Übereignung

durch bspw. willensbeugende Gewalt zwinge

SW

Swiss

15.11.2023, 22:17:22

Ich halte es für angebracht , dass an dieser Steller der Bedeutungsgehalt des Abstraktionsprinzips noch deutlicher hervorgehoben wird , in dem die Leser darauf hingewiesen werden , dass die „Goldene Kuh „ NIEMALS geschlachtet werden darf, sonst fällt man GARANTIERT durch die Prüfung!

LELEE

Leo Lee

18.11.2023, 18:43:03

Hallo Swiss, vielen Dank für diese sehr wichtige Anmerkung! Wir finden deine Aussage völlig richtig und wichtig. Mithin haben wir diese als Klausurhinweis ergänzt :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

GGL

GGL

9.7.2024, 13:11:47

Ich fände es an dieser Stelle angebracht, die Erklärung des Abstraktionsprinzips mit einem oder mehreren auf den vorhandenen Fall bezogenen Beispiel/Beispielen zu ergänzen. Etwa: "Obwohl das Verpflichtungsgeschäft zwischen K und V etwa wegen der Geschäftsunfähigkeit (usw.) von K gem. § 104 BGB unwirksam war, so bleibt...". Ich finde man würde das wichtige Konzept dadurch noch anschaulicher und zugänglicher für die Nutzer gestalten.


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