Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Abgabe und Zugang von Willenserklärungen

Vorübergehende Störung der Geistesfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) beim Empfänger

Vorübergehende Störung der Geistesfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) beim Empfänger

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mieter M hat Freunde zu sich nach Hause eingeladen, um zu grillen und sich anschließend zu betrinken. Vermieter V wirft am Nachmittag durch den Briefschlitz von Ms Haustür die Kündigung. M zerfetzt das Schreiben ungelesen im volltrunkenen Zustand (3,0 Promille).

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Einordnung des Falls

Vorübergehende Störung der Geistesfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) beim Empfänger

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung wird erst wirksam, wenn M wieder nüchtern ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Empfangsbedürftige WE unter Abwesenden werden wirksam mit Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Zugang einer verkörperten WE erfordert, dass sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und unter normalen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist. Für Erklärungen an Personen, die bewusstlos oder die nur vorübergehend nicht im Besitz ihrer geistigen Kräfte sind (§ 105 Abs. 2 BGB), gilt nicht § 131 BGB ("Wirksamwerden gegenüber nicht voll Geschäftsfähigen"), sondern § 130 BGB. Da es auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen ankommt, gehen WE unter Abwesenden auch dann wirksam zu, wenn sich der Empfänger in einem § 105 Abs. 2 BGB entsprechenden Zustand befindet.
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2. Die Kündigung ist an dem Tag wirksam geworden, als V sie in den Briefschlitz eingeworfen hat.

Ja, in der Tat!

Durch Einwurf in den Briefschlitz ist die Erklärung so in den Machtbereich des M gelangt, dass er Kenntnis nehmen konnte. Unter normalen Umständen war die Kenntnisnahme noch am selben Abend zu erwarten. Die tatsächliche Kenntnisnahme (Phase 4) ist für den Zugang und das Wirksamwerden der Erklärung irrelevant.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PIE

Pierre

6.11.2019, 12:12:37

Die Lösung ist falsch. Unter Abend, egal wie früh, versteht man erst die Zeit ab 18 Uhr. Das liegt nach den üblichen Postzustellzeiten daher Zugang erst am nächsten Tag. (BAG vom 26.03 2015 2 AZR 483/14 Textziffer 38)

ARE

Arendt

7.11.2019, 17:22:12

Das wäre so, wenn es sich um einen Briefkasten handeln würde. Der Text spricht jedoch von einem Briefschlitz und auch die Zeichnung zeigt, dass der Brief im Flur der Wohnung liegt. Es ist vertretbar, anzunehmen, dass M unter gewöhnlichen Umständen auch nach dem frühen Abend noch durch den Flur seiner Wohnung geht und das Schreiben zur Kenntnis nimmt.

COC

Cocinelli

11.11.2019, 16:26:22

Ich sehe das ähnlich wie Pierre. Zum einen gibt es Hausflure, die nicht genutzt werden (müssen), wenn man sich in der Wohnung aufhält und somit fällt einem nicht zwangsläufig ein durch den Briefschlitz entworfener Brief in die Wohnung auf. Zum anderen muss man eben nicht damit rechnen, noch nach 18 Uhr Briefe zu erhalten. Deswegen kann man meines Erachtens auch nicht davon ausgehen, dass jemand unter gewöhnlichen Umständen Kenntnis erlangt haben würde, denn unter normalen Umständen wird keine Post mehr nach 18 Uhr zugestellt.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

13.11.2019, 11:06:57

Interessante Diskussion! Uns ging es weniger um die Frage, wann Abends ein Brief zugeht, als darum, wie zu bewerten ist, dass der Empfänger sich in einem § 105 Abs. 2 BGB entsprechenden Zustand befindet. Wir haben deshalb den Sachverhalt leicht geändert und die Zustellung auf den Nachmittag verschoben. Damit sollte der Fall für alle eindeutig sein. Zur Frage der Zustellung am "frühen Abend": Da sehen wir es wie Arendt. Nach unserem Sachverhalt und unserer Illustration liegt der Brief IN DER WOHNUNG (nicht: im Treppenhaus / Hausflur). Da würden ohne Sorge mit Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Umständen am selben Tag rechnen, auch wenn der Einwurf nach 18 Uhr erfolgen würde. Aber das Thema ist zugegebenermaßen sehr strittig. Und unser Fall ist auch eher praxisfern, denn wer bekommt heutzutage noch den Brief direkt in die Wohnung eingesteckt? Interessant vielleicht auch eine neue Entscheidung des BAG zum Thema (22.8.2019, 2 AZR 111/19): Der Vollzeitarbeitnehmer sei nicht als Maßstab für allgemeine Gepflogenheiten geeignet, weil nur eine Minderheit der Bevölkerung Vollzeitarbeitnehmer sei. Besprechung u.a. auf LTO: https://www.lto.de/recht/kurioses/k/bag-2azr111-19-kuendigung-

klagefrist

-zustellung-post-hausbriefkasten.

REA

Rea

12.7.2020, 21:53:05

In der Fallbeschreibung steht dass der Vermieter die Kündigung am Nachmittag in den Briefschlitz einwirft. Somit ist der Zugang bis 18:00 Uhr anzunehmen und der Tag des Zugangs ist somit der gleiche wie der Einwurftag.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

12.7.2020, 22:00:20

Hallo Rea, ja in der aktuellen Fassung des Falls ist das unproblematisch ;)

Rechthaber

Rechthaber

5.11.2024, 18:05:50

Man kann eine parallele zu den Krankheitsfällen anführen, da die schuldhafte Herbeiführung eines Rausches vielmehr wie die Krankheit aus der Riskosphäre des Empfängers stammt, also nicht anders behandelt werden kann


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