Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Raub (§ 249 StGB)

Wegnahme fremder beweglicher Sache – Abgrenzung § 255: Fall mit privilegierter Gebrauchsanmaßung

Wegnahme fremder beweglicher Sache – Abgrenzung § 255: Fall mit privilegierter Gebrauchsanmaßung

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Unter Anwendung von vis absoluta beschafft sich die T das in dessen Gewahrsam befindliche Auto des O, um damit eine Spritztour zu machen. Nachdem sie eine Stunde mit dem Auto durch die Stadt gefahren ist, gibt sie dem O das Auto zurück, so wie sie von Anfang an beabsichtigt hatte.

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Einordnung des Falls

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach Ansicht der Rechtsprechung hat T den Gewahrsam des O an seinem Auto gebrochen und es damit weggenommen.

Genau, so ist das!

Gewahrsam wird gebrochen, wenn er gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird. Dies ist nicht der Fall, wenn ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vorliegt. Wann das beim Raub der Fall ist, wird uneinheitlich beantwortet. Nach der Rechtsprechung fehlt es an einem tatbestandsausschließenden Einverständnis, wenn sich das Tatgeschehen nach dem äußeren Erscheinungsbild als ein „Nehmen“ des Täters und nicht als ein „Geben“ des Opfers darstellt. Dann liegt somit eine Wegnahme vor. T beschafft sich eigenständig das Auto unter Anwendung von Gewalt. Entsprechend des äußeren Erscheinungsbildes liegt nach Ansicht der Rechtsprechung somit eine Wegnahme vor.
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2. Auch nach Ansicht der Literatur hat T den Gewahrsam des O an seinem Auto gebrochen und es ihm damit weggenommen.

Ja, in der Tat!

Nach anderer Ansicht in der Literatur ist die innere Willensrichtung des Opfers entscheidend. Glaubt das Opfer, eine Schlüsselposition innezuhaben, also einen unerlässlichen Mitwirkungsakt für den Gewahrsamswechsel leisten zu müssen, liegt bei Vorname dieses Mitwirkungsakts ein Einverständnis vor. Denn das Opfer verfügt dann mit einem sog. Rest an Freiwilligkeit über eigenes Vermögen. T handelt unter Anwendung von vis absoluta, um sich das Auto zu beschaffen. Ein „freiwilliger“ zur Zielerreichung unerlässlicher Mitwirkungsakt des O liegt nicht vor.

3. T hat sich folglich nach beiden Ansichten wegen Raubes gem. § 249 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Nein!

In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Raubes jedenfalls auch voraus, dass der Täter mit Zueignungsabsicht handelt. Diese zerfällt in den (mindestens Eventual-)Vorsatz dauerhafter Enteignung sowie die Absicht der (zumindest) vorübergehenden Aneignung. T hatte von Anfang an beabsichtigt, das Auto dem O zurückzugeben (Rückführungswille). Sie nahm also nicht billigend in Kauf, den O dauerhaft aus seiner Eigentümerstellung zu verdrängen.

4. Nach Ansicht der Rechtsprechung liegt ein tauglicher Nötigungserfolg vor, sodass sich T wegen räuberischer Erpressung (§§ 253, 255 StGB) strafbar gemacht hat.

Genau, so ist das!

Die Rechtsprechung sieht den Raub als lex specialis zur räuberischen Erpressung. Gemäß des Wortlauts ist damit ausreichend, dass der Täter das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Mit der Wegnahme des Autos geht auch die Duldung der Wegnahme durch O einher.

5. Auch nach Literaturansicht liegt auch ein tauglicher Nötigungserfolg vor, sodass sich T auch danach wegen räuberischer Erpressung (§§ 253, 255 StGB) strafbar gemacht hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Literaturansicht besteht ein strenges Exklusivitätsverhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung, sodass für einen tauglichen Nötigungserfolg eine (freiwillige) Vermögensverfügung des Opfers erforderlich ist. T handelte indes mit vis absoluta, sodass schon ein Wegnahme vorliegt. Demnach käme nur noch eine Strafbarkeit nach § 248b StGB, den §§ 223 ff. StGB sowie § 240 Abs. 1 StGB in Betracht. Der vorliegende Fall wird häufig als Argument gegen die Ansicht der Rechtsprechung ins Feld geführt. Denn durch eine Strafbarkeit der T nach §§ 253, 255 StGB würde die Privilegierung der Gebrauchsanmaßung in § 248b StGB umgangen. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass es widersinnig erscheint, den mit vis absoluta und damit mit der schwersten Form der Gewalt vorgehenden Täter zu privilegieren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

I-m-possible

I-m-possible

29.7.2022, 14:39:23

Man gelangt also mit der Rspr. zur räuberischen Erpressung und mit der Lit. zum Raub. Richtig ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.8.2022, 14:56:38

Hallo I-m-possible, nach beiden Ansichten prüft man den Raub und lehnt diesen im Ergebnis ab, da es hierfür an der

Zueignungsabsicht

fehlt. Für die Rspr. ist dies kein großes Problem, da sie im Anschluss die räuberische Erpressung bejahen kann. Dieser Weg ist der hL versperrt, da für sie Raub und räuberische Erpressung in einem Exklusivitätsverhältnis stehen. Ist der objektive Tatbestand des Raubes erfüllt, kann somit nach hL nicht zugleich eine räuberische Erpressung vorliegen. Da es aber an der

Zueignungsabsicht

fehlt, kann die hL auch nicht aus Raub bestrafen. Es verbleibt allein der Rückgriff auf den unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248b Abs. 1 StGB). Dessen Strafrahmen (Geldstrafe- drei Jahre Freiheitsstrafe) ist indes deutlich geringer, als der des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung (mindestens 1 Jahr Freiheitsstrafe). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Yas

Yas

1.8.2022, 23:09:43

Aber vorliegend schließt die Verwendung von

vis absoluta

doch eine Vermögensverfügung aus oder nicht ?

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

1.8.2022, 23:18:03

Jawohl, bei

vis absoluta

wird dem Opfer die freie Willensbetätigung oder Willensbildung absolut unmöglich gemacht; dem Opfer wird also schlechthin jede Möglichkeit zu handeln genommen. Und eine Verfügung setzt ein Bewusstsein zur Willensbildung voraus.

Yas

Yas

1.8.2022, 23:21:53

Das heißt §§253,255 wären nach Ansicht der Literatur nicht zu bejahen

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

1.8.2022, 23:29:02

Nein. §§ 253, 255 setzen (ungeschrieben) nach der Literatur eine Vermögensverfügung voraus. Bei

vis absoluta

entfällt eine Strafbarkeit nach §§ 253,255

PET

Petrus

17.2.2023, 18:14:34

Wie sieht es bezüglich der Abgrenzung aus, wenn das Opfer genötigt wird einen PIN (den nur das Opfer kennt) für ein entferntes Geldversteck herauszugeben und der Täter sich die Beute sodann selbst holt?

Edward Hopper

Edward Hopper

21.5.2023, 22:30:48

Rsp würde sagen wegnahme da äußeres Erscheinungsbild er holt es sich. Lit würde sagen selbstschadigung da bei pin weggabe eine vermogensverfugung stattfindet in Form von Gewinnaussicht (genau so wie auch bei 263).

Klima-Kleber

Klima-Kleber

11.4.2023, 13:41:59

Wie sollte der Streit aus klausurtaktischer Sicht entschieden werden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.4.2023, 17:51:51

Hallo Klima-Kleber, "klausurtaktisch" kannst Du zumindest im ersten Examen beide Ansichten gut vertreten, sodass Du hier die Auffassung wählen solltest, deren Argumente Dir mehr liegen (bzw. die Du Dir besser merken kannst). Egal wem Du folgst, Du schneidest Dir hier keine relevanten Prüfungspunkte ab und die unterschiedlichen Strafrahmen der Delikte spielen im ersten Examen keine Rolle. Im zweiten Examen solltest Du dagegen der Rechtsprechung des BGH folgen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

28.8.2023, 16:30:24

Wie kann sie sich ein Auto unter Anwendung

vis absoluta

beschaffen, wenn es doch in ihrem Gewahrsam steht? Oder meint ihr mit "dass in dessen Gewahrsam steht" dass der Wagen im Gewahrsam des O steht?

SOF

Sofia

15.9.2023, 16:55:25

Es ist gemeint, dass das Auto im Gewahrsam des O steht. Daher wird der

Gewahrsamsbruch

angenommen :)

RAP

Raphaeljura

11.11.2023, 01:52:18

Ihr nehmt eine Wegnahme an. Diese liegt aber nicht vor, da keine dauerhafte

Enteignung

beachsichtigt ist. Wenn nun eine Wegnahme nicht erfolgt, dann kann schon deshalb kein Raub vorliegen, und es nur zu einer raueberischen Erpressung kommen. Richtig?

LELEE

Leo Lee

12.11.2023, 10:10:55

Hallo Raphaeljura, genauso ist es! Bei diesem Problem ist es besonders wichtig – wie du es anmerkst – dass man zwischen der Wegnahme auf obj. Ebene und

Zueignungsabsicht

auf subj. Ebene unterscheidet. Wenn die Wegnahme gegeben ist (nach beiden Ansätzen) jedoch nicht die

Zueignungsabsicht

, dann ist für die Literatur eben Schluss (also keine Erpressung mehr), weil die Erpressung eben auf obj. Ebene lt. Literatur eine Weggabe erfordert, die nicht gegeben ist bei einer Wegnahme. Für die Rspr. Ist dies kein Problem, weil nicht explizit eine Wegnahme für die Erpressung nötig ist, da in jedem Raub (und damit Übertragung der Sache) auch eine Erpressung liegt. Also hat du völlig recht mit deiner Aussage. I.Ü. kann ich dir die Lektüre von Fischer StGB 70. Auflage § 253 Rn. 14 f. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Sambajamba10

Sambajamba10

15.12.2023, 13:12:45

@[Raphaeljura](207944) Wegnahme ist ein objektives TBM und hat zunächst nichts mit einer dauerhaften

Enteignung

zu tun. Du vermengst hier verschiedene Ebenen miteinander. Eine Wegnahme lag vor, es lag nur keine

Zueignungsabsicht

mangels

Enteignung

s

vorsatz

es vor. Dein zweiter Satz hingegen ist völlig richtig.


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